Выбрать главу

Nicht, daß Alvin über Naturrecht und ähnliche Dinge laut hätte sprechen können. Es gab nicht viel Gelegenheit für Gespräche. Gewiß, er war nahe bei Ta-Kumsaw, nie mehr als eine Armlänge von ihm entfernt. Doch Ta-Kumsaw sprach fast nie mit Alvin, und wenn er es doch tat, so sagte er nur Dinge wie »Fang einen Fisch« oder »Komm jetzt mit mir«. Ta-Kumsaw machte deutlich, daß er jetzt keine Freundschaft für Alvin mehr hegte, ja, daß er tatsächlich eigentlich überhaupt keinen Weißen bei sich haben wollte. Ta-Kumsaw lief schnell, wie es die Art der Roten war, und niemals blickte er sich um, um nachzusehen, ob Alvin Schritt hielt.

Einmal, nachdem sie ein Dorf verlassen hatten, das so aufgebracht worden war, daß Alvin um seinen eigenen Skalp fürchten mußte, hatte Alvin sich aufgelehnt und gefragt: »Warum laßt Ihr mich ihnen nichts davon erzählen, wie Ihr und ich und Geschichtentauscher alle gemeinsam den Achtgesichtigen Hügel bestiegen haben?« Doch Ta-Kumsaws einzige Antwort bestand darin, so schnell zu laufen, daß Alvin den ganzen Tag rennen mußte, um mit ihm Schritt zu halten.

Obwohl er jede Sekunde mit Ta-Kumsaw zusammen war, konnte Alvin sich nicht erinnern, sich jemals im Leben derart einsam gefühlt zu haben. Warum gehe ich dann nicht? fragte er sich. Warum gehe ich mit ihm? Es macht nicht gerade Spaß, und ich helfe ihm doch nur dabei, einen Krieg gegen mein eigenes Volk vom Zaun zu brechen, und es wird ständig kälter, als hätte die Sonne es aufgegeben, weiterhin zu scheinen, und als müßte die Welt nur noch aus grauen, kahlen Bäumen und blendendem Schnee bestehen.

Warum machte Alvin weiter? Teilweise lag es an Tenskwa-Tawas Prophezeiung, daß Ta-Kumsaw niemals sterben würde, solange Alvin bei ihm blieb. Alvin mochte Ta-Kumsaws Gesellschaft zwar nicht genießen, doch er wußte, daß er ein großer und guter Mann war, und wenn Alvin sein Leben irgendwie schützen konnte, dann mußte er es tun.

Doch es war noch mehr als das, mehr als die Verpflichtung, die er gegenüber dem Propheten empfand, für seinen Bruder Sorge zu tragen; es war auch mehr als das Bedürfnis, die schreckliche Bestrafung seiner Familie mitzutragen, indem er die Geschichte von Tippy-Canoe im ganzen Land des roten Mannes erzählte. Es war auch nicht die Zeit der Worte, sondern die des Gespürs für das, was richtig war. Die Welt verändert sich, und irgendwie bin ich Teil dessen, was sie vorantreibt. Ta-Kumsaw baut etwas auf, er bringt die roten Menschen zusammen, um etwas aus ihnen zu machen.

Es war das erste Mal, daß Alvin begriff, wie man mit Menschen etwas aufbauen konnte, daß die Roten, wenn Ta-Kumsaw sie durch seine Reden dazu brachte, mit einem Herz zu empfinden und mit einer Hand zu handeln, zu etwas Größerem wurden, als nur ein paar Stämmen; und etwas Derartiges aufzubauen, das war doch ein Akt wider den Entmacher, gegen den großen Urschöpfer, oder nicht?

Ta-Kumsaw erschafft etwas Neues, wo es vorher nichts gab, doch dieses Neue wird nicht ohne mich entstehen.

Es erfüllte ihn mit der Furcht, etwas zu erschaffen, das er nicht verstand; gleichzeitig aber auch der Drang, die Zukunft zu schauen. Also machte er weiter, drängte voran, verschliß seine Kräfte, sprach mit Roten, die am Anfang mißtrauisch und am Ende haßerfüllt waren, und starrte die meiste Zeit auf den Rücken Ta-Kumsaws, der vor ihm immer tiefer in den Wald hineinlief. Das Grün des Holzes wurde gold und rot, dann, mit den Herbstregen in den kahlen Bäumen schwarz, und schließlich grau und weiß und still. All seine Sorgen, all seine Entmutigung, all seine Verwirrtheit, all seine Trauer über die schrecklichen Dinge, die er kommen sah und die schrecklichen Dinge, die er in der Vergangenheit geschaut hatte — all dies verwandelte sich in eine müde Abneigung gegen den Winter, in ein ungeduldiges Warten darauf, daß die Jahreszeit wechselte, daß der Schnee schmolz und der Frühling kam und danach der Sommer.

Der Sommer: jene Zeit, da er zurückblicken und all dies hier als Vergangenheit würde betrachten können. Im Sommer würde er ziemlich genau wissen, wie alles sich entwickelte, zum Guten oder Bösen, ohne diese gräßliche, schneeweiße Frucht, die alle anderen Gefühle verbarg, so wie der Schnee die Erde verbarg.

Bis Alvin eines Tages merkte, daß die Luft tatsächlich etwas wärmer zu werden schien, und daß der Schnee auf dem Gras schon fast verschwunden war. Genau an diesem Tag wandte sich Ta-Kumsaw gen Osten, er stand auf einer Hügelkette, oben auf einem Fels, um im nördlichen Teil des weißen Staats von Appalachee auf ein Tal hinunterzublicken, das mit Farmen des weißen Mannes übersät war.

Es war ein Anblick, wie ihn Alvin noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte; nicht wie in der französischen Stadt Detroit, wo die Menschen alle dicht aufeinandergedrängt lebten, aber auch nicht wie im Wobbish-Land mit seinen spärlichen Siedlungen, wo jede Farm wie eine Schneise im Laubwald wirkte. Hier waren die Bäume alle ordentlich aufgereiht, um die Felder der Farmen voneinander abzugrenzen. Nur auf den Hügeln, die das Tal umgrenzten, war der Baumbewuchs wieder etwas wilder. Und da der Boden in den letzten Tagen weicher geworden war, brachen dort Farmer, mit ihren Pflügen die Erde auf, bearbeitete ebenso sanft und seicht das Antlitz der Erde, wie es die Steinklingen der roten Krieger auf ihren Schenkeln taten, die Klinge lehrend, zu dürsten, die Erde lehrend, zu ertragen, damit, so wie das Blut unter den Messern der Roten aufstieg, Weizen oder Mais oder Roggen oder Hafer aus den Wunden der Erde wachsen mochten. Dieses ganze Tal wirkte gebrochen wie ein altes Pferd.

Ich dürfte nicht so empfinden, dachte Alvin. Ich sollte froh sein, wieder Land der Weißen zu sehen. Im ganzen Tal stiegen Rauchfahnen aus hundert Kaminen empor. Hier gab es Menschen, Kinder, die wieder im Freien spielen konnten, nachdem sie den ganzen Winter lang eingesperrt gewesen waren, Männer, die in der kalten Luft des Frühjahrs schwitzten, während sie ihrer Arbeit nachgingen, schwer schaffende Pferde, aus deren Nüstern Dampf aufstieg. Es war doch wie zu Hause, oder nicht? Es war die Zivilisation: ein Haushalt, der an den anderen angrenzte, Ellenbogenkämpfe, die Parzellierung des Landes, bis niemand mehr auch nur einen Zweifel hatte, wem jeder Zoll davon gehörte, wer das Nutzrecht hatte und wer ein Eindringling war und besser weiterzog.

Doch nach diesem Jahr, das er fort war und unter den Roten verbracht hatte, ohne jemals einen weißen Mann zu Gesicht zu bekommen, sah Alvin dieses Tal nicht mehr mit den Augen eines Weißen. Er sah es wie ein Roter, und so erschien es Alvin wie das Ende der Welt.

»Was tun wir hier?« fragte Alvin Ta-Kumsaw.

Anstatt zu antworten, stieg Ta-Kumsaw einfach den Berg hinab ins Tal des weißen Mannes, ganz so, als hätte er ein Recht dazu. Alvin konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, folgte ihm aber.

Als sie durch ein halbgepflügtes Feld stapften, schrie der Farmer ihnen zu Alvins Überraschung nicht etwa zu, daß sie auf die Furchen achtgeben sollten, er hob nur den Blick, blinzelte sie an und winkte. »Howdy, Ike!« rief er.

Ike?

Und Ta-Kumsaw hob die Hand zum Gruß und schritt weiter.

Alvin hätte am liebsten laut losgelacht. Ta-Kumsaw war hier so bekannt, daß ein Weißer auch auf diese Entfernung wußte, wer er war. Ta-Kumsaw, der heftigste Weißenhasser im ganzen Waldgebiet, wurde mit dem Namen eines Weißen gerufen!

Doch Alvin war zu klug, um eine Erklärung dafür zu fordern. Er folgte Ta-Kumsaw einfach, bis sie schließlich am Ziel angelangt waren.