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»Das geht dich nichts an«, erwiderte Becca. »Sagen wir einmal, daß ein neuer Webstuhl gebaut und nach Westen gebracht wurde.«

»Aber Ta-Kumsaw hat gesagt, daß kein Weißer jemals den Fluß nach Westen überqueren würde. Und der Prophet hat es auch gesagt.«

Ta-Kumsaw drehte sich langsam auf dem Boden um, ohne sich zu erheben. »Alvin«, sagte er, »du bist noch ein Junge.«

»Und ich war noch ein Mädchen«, erinnerte ihn Becca, »als ich dich zum ersten Mal liebte.« Sie wandte sich an Alvin. »Es ist meine Tochter, die den Webstuhl in den Westen gebracht hat. Sie konnte dorthin gehen, weil sie nur zur Hälfte weiß ist.« Wieder streichelte sie Ta-Kumsaws Haar. »Isaac ist mein Mann. Meine Tochter Wieza ist seine Tochter.«

»Mana-Tawa«, sagte Ta-Kumsaw.

»Eine Weile glaubte ich, daß Isaac hierbleiben würde, um bei uns zu leben. Doch dann sah ich, wie sich sein Faden von uns fortbewegte, obgleich sein Körper noch bei uns war. Ich wußte, daß er zu seinem Volk gehen würde. Ich wußte, weshalb er zu uns gekommen war, ganz allein aus dem Wald. Es gibt ein Verlangen, das noch tiefer gründet als das Verlangen des roten Mannes nach dem Gesang des lebenden Waldes, tiefer als die Sehnsucht des Schmieds nach dem heißen, feuchten Eisen, tiefer sogar noch als das Sehnen des Rutengängers nach dem hohlen Herz der Erde. Dieses Verlangen hat Ta-Kumsaw in unser Haus geführt. Damals war meine Mutter noch die Weberin am Webstuhl. Ich habe Ta-Kumsaw Lesen und Schreiben gelehrt; er hat sämtliche Bücher im Tal gelesen, und dann haben wir nach Philadelphia um weitere Bücher geschickt, und die hat er auch gelesen. Damals hat er dann seinen eigenen Namen gewählt, den Namen des Mannes, der die Principia geschrieben hat. Als wir volljährig wurden, hat er mich geheiratet. Ich habe ein Baby bekommen. Er ist fortgegangen. Als Wieza drei Jahre alt war, kam er zurück, hat einen Webstuhl gebaut und sie nach Westen über den Berg gebracht, damit sie bei seinem Volk lebt.«

»Und Ihr habt Eure eigene Tochter ziehen lassen?«

»Ja, wie einst eine meiner Vorfahrinnen an ihrem alten Webstuhl saß und ihre Tochter ziehen ließ, über den Ozean in dieses Land.« Becca lächelte Alvin traurig an. »Jeder von uns hat seine Aufgabe, aber es gibt keine Aufgabe, die nicht auch ihren Preis hätte. Als Isaac sie mitnahm, befand ich mich bereits in diesem Zimmer. Alles, was geschehen ist, war gut.«

»Ihr habt Ihn nicht einmal gefragt, wie es Eurer Tochter geht, als wir hier eintrafen! Ihr habt ihn immer noch nicht gefragt.«

»Ich brauchte ihn nicht zu fragen«, antwortete Becca. »Den Hütern des Webstuhls widerfährt nichts Böses.«

»Nun, und wenn Eure Tochter jetzt fort ist, wer soll dann einst Euren Platz einnehmen?«

»Vielleicht wird irgendwann ein anderer Ehemann kommen. Einer, der in diesem Haus bleibt und mir einen andern Webstuhl baut und… und noch einen weiteren für eine Tochter, die noch nicht geboren ist.«

»Und was geschieht danach mit Euch?«

»Das sind viele Fragen, Alvin«, sagte Ta-Kumsaw. Doch seine Stimme war sanft und müde. Alvin aber hegte keine Ehrfurcht vor dem Ta-Kumsaw, der die Bücher des weißen Mannes las, und so beachtete er den milden Tadel nicht.

»Was geschieht mit Euch, wenn Eure Tochter Euren Platz einnimmt?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Becca. »Aber es heißt, daß wir dann an den Ort zurückkehren, aus dem die Fäden entspringen.«

»Was tut ihr da?«

»Wir spinnen.«

Alvin versuchte sich Beccas Mutter vorzustellen und ihre Großmutter und die Frau davor, alle in einer Reihe. Er versuchte sich vorzustellen, wie viele es sein mochten, wie sie alle an ihren Spinnrädern saßen und Fäden aus der Spindel hervortreten ließen, einen weißen Faden, der irgendwohingehen würde, hingehen und verschwinden, bis er irgendwann riß.

Und während er sich dies vorstellte, meinte er auch, daß er etwas von diesem Gewebe verstand. Davon, wie es immer kräftiger wurde, wie jeder Faden darin verwoben wurde. Wie jene, die oben am Rande des Tuchs umhersprangen und nur gelegentlich ins mittlere Muster eindrangen, nur wenig zur Stärke des Tuchs beitrugen, aber viel zu seiner Farbe. Während manche, deren Farbe kaum zu sehen war, am tiefsten verwoben und alles zusammenhielten. In diesen verborgenen, verbindenden Fäden lag etwas Gutes. Von diesem Augenblick an sollte Alvin immer wieder einen ruhigen Mann oder eine stille Frau bemerken, die von den anderen kaum beachtet wurden und dennoch das Leben eines Dorfs zusammenhielten und alles miteinander verbanden. Stumm sollte Alvin solchen Menschen in seinem Herzen Ehre erweisen, weil er wußte, wie ihr Leben den Stoff kräftigte.

Er dachte auch an die vielen Fäden, die an jenem Punkt endeten, an dem Ta-Kumsaws Schlacht stattfinden sollte. Es war, als hätte Ta-Kumsaw an das Tuch die Schere angelegt.

»Gibt es denn keine Möglichkeit, die Dinge zu heilen?« fragte Alvin. »Gibt es denn keine Hoffnung darauf, diese Schlacht von vorneherein zu verhindern, damit alle diese Fäden nicht zerstört werden?«

Becca schüttelte den Kopf. »Selbst wenn Isaac sich weigern würde hinzugehen, würde die Schlacht doch ohne ihn stattfinden. Nein, die Fäden werden durch nichts zerstört, was Isaac getan hat. Sie sind in jenem Augenblick zerrissen, als irgendein roter Mann sich zu einer Handlung entschied, die mit Sicherheit seinen Tod in der Schlacht bedeuten mußte. Sollte dir das Sorgen machen, so kann ich dir sagen, daß dies nicht zu jener Zeit war, als du und Isaac umherwanderten und den Tod predigten. Ebensowenig hat Old Hickory Menschen getötet. Ihr seid alle nur umhergegangen und habt verschiedene Wege gewiesen. Sie hätten euch nicht glauben müssen. Sie hätten sich nicht zum Sterben entscheiden müssen.«

»Aber sie wußten doch gar nicht, was sie da wählten.«

»Sie wußten es doch«, widersprach Becca. »Wir wissen es immer. Wir gestehen es uns zwar nicht ein; erst im Augenblick des Todes selbst, Alvin, erkennen wir unser ganzes Leben und begreifen, wie wir an jedem Tag unseres Lebens die Art unseres Todes gewählt haben.«

»Und was ist, wenn irgend jemandem etwas auf den Kopf fällt?«

»Dann hat er es sich ausgesucht, genau dort zu sein, wo so etwas passieren kann, und er hat nicht nach oben geschaut.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Alvin. »Ich glaube, daß die Menschen immer ändern können, was auf sie zukommt, und ich glaube auch, daß manchmal Dinge geschehen, die niemand haben wollte.«

Becca lächelte ihn an und streckte den Arm aus. »Komm her, Alvin. Laß mich dich festhalten. Ich liebe deinen schlichten Glauben, Kind. Diesen Glauben möchte ich festhalten, auch wenn ich selbst nicht daran glauben kann.«

Sie hielt ihn eine Weile fest, und ihr Arm fühlte sich so sehr wie der seiner eigenen Mutter an, kräftig und sanft zugleich, daß er ein wenig weinte. Er war zu klug, darum zu bitten, seinen eigenen Faden schauen zu dürfen, obwohl er sich vorstellte, daß sein Faden leicht zu finden sein mußte — es war der eine Faden, der in jenem Teil des Stoffs geboren worden war, welcher dem weißen Mann gehörte, der aber hinüberwechselte und grün wurde. Bestimmt war er grün, wie die Fäden der Anhänger des Propheten.

Einer Sache war er sich auch gewiß, daß er nicht einmal fragte, obwohl er sich wahrhaftig nicht scheute, jede Frage zu stellen, die ihm einfieclass="underline" Er war sicher, daß Becca wußte, welcher Faden Ta-Kumsaw gehörte, und er wußte auch, daß seiner und Ta-Kumsaws Faden miteinander verknüpft waren, zumindest für eine Weile. Solange Alvin bei ihm blieb, würde Ta-Kumsaw am Leben bleiben. Alvin wußte, daß die Prophezeiung zwei Wege kannte: Jenen, in dem Alvin zuerst starb und Ta-Kumsaw allein zurückließ, der dann ebenfalls sterben würde; und jener, in dem keiner von beiden starb und ihre Fäden weiterliefen, bis sie schließlich verschwanden.

Alvin verbrachte die Nacht auf einer Matte auf dem Fußboden der Bibliothek. Er schlief ein, nachdem er ein paar Seiten in einem Buch gelesen hatte, das von einem Mann namens Adam Smith geschrieben war. Er wußte nicht, wo Ta-Kumsaw schlief, und er wollte auch nicht danach fragen. Alvin war klar, daß es Kinder nichts anging, was ein Mann mit seiner Frau tat; doch er fragte sich, ob Ta-Kumsaws Hauptgrund, hierher zurückzukehren, nicht so sehr sein Wunsch gewesen war, den Webstuhl zu betrachten, sondern vielmehr das Verlangen, von dem Becca gesprochen hatte. Das Bedürfnis, eine weitere Tochter für Beccas Webstuhl zu zeugen. Alvin fand, daß es keine schlechte Idee war, das Gewebe des weißen Amerika den Händen der Tochter eines roten Mannes zu überantworten.