»Du liebst deine Stadt, nicht wahr?« fragte Muuzh, denn nun wußte er, was er zu dem Mann gesagt haben mußte. Selbst an meinen schlechten Tagen bin ich gerissen, dachte Muuzh mit einiger Zufriedenheit. Gerissen genug, um gottessichere Pläne zu schmieden.
»Ja, allerdings.« Plötzlich standen Tränen in den Augen des Mannes. »Verzeih mir, aber jemand anders hat mich das ebenfalls gefragt, bevor ich Basilika verließ. Nun weiß ich durch dieses Vorzeichen, daß du ein aufrichtiger Diener der Überseele bist und ich dir vertrauen kann.«
Muuzh sah dem Mann ruhig in die Augen, um ihm zu zeigen, daß sein Vertrauen in der Tat angemessen war.
»Komm nach Basilika, Herr. Komme mit einem Heer. Stelle die Ordnung auf den Straßen wieder her und treibe die Söldner hinaus. Dann werden die Frauen Basilikas nichts mehr zu befürchten haben.«
Muuzh nickte weise. »Eine beredtsame und edle Bitte, die ich aus ganzem Herzen gern erfüllen würde. Doch ich bin ein Diener des Imperators, und du mußt die Lage deiner Stadt unserem Fürsprecher hier erklären, der in unserem Lager Augen und Ohren und Herz des Imperators ist.« Während Muuzh sprach, erhob er sich, trat vor den Fürsprecher und verbeugte sich. Er hörte, daß hinter ihm Plod und der Soldat aus Basilika ebenfalls aufstanden und sich verbeugten.
Bestimmt ist Plod klug genug, um zu wissen, was ich vorhabe, dachte Muuzh mit einem Anflug von Furcht. Bestimmt hat er in diesem Augenblick schon das Messer aus der Scheide gezogen, um es in meinen Rücken zu stoßen. Bestimmt weiß er, daß er dies tun muß, oder diese,Klinge aus Basilika, die ich in meinen Händen halte, wird zustoßen und ihm mit einem sauberen Hieb den Kopf von den Schultern trennen, sobald ich mich erhebe.
Doch Plod war nicht so klug, und deshalb schoß sein Blut aus dem Hals und spritzte durch das Zelt, als er zusammenbrach und sein Kopf an einem Ende der halb durchtrennten Wirbelsäule hin und her schwang.
Muuzh’ Schlag war so schnell erfolgt, so glatt, daß weder der Basilikaner noch der Fürsprecher begriffen, wieso Plod auf einmal tot war. Das gab Muuzh genug Zeit, die basilikanische Klinge unter den Rippen des Fürsprechers hochzutreiben und sein Herz zu durchbohren, bevor der Fürsprecher auch nur ein Wort sagen oder sich von seinem Stuhl erheben konnte.
Dann wandte sich Muuzh an den zitternden Basilikaner.
»Wie heißt du, Soldat?«
»Smelost, Herr. Wie ich es dir schon gesagt habe. Ich habe dich in keiner Hinsicht belogen, Herr.«
»Das weiß ich. Ich habe dich auch nicht belogen. Diese Männer waren entschlossen, mich daran zu hindern, deiner Stadt zu Hilfe zu eilen. Deshalb habe ich sie hier zusammengebracht. Wenn es dein Wunsch ist, daß ich dir helfe, war es unumgänglich, sie zuvor zu töten.«
»Was immer du sagst, Herr.«
»Nein, nicht, was immer ich sage. Nur die Wahrheit, Smelost. Diese beiden Männer waren Spione, die jede meiner Bewegungen überwachen, jedes meiner Worte hören und ständig meine Treue dem Imperator gegenüber einschätzen sollten. Dieser hier« — er deutete auf Plod — »hat einen Traum, den ich gehabt hatte, als Zeichen meiner Treulosigkeit interpretiert und es dem Fürsprecher mitgeteilt. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bevor sie mich gemeldet hätten und ich mein Kommando verloren hätte, und wer hätte Basilika dann noch retten können?«
»Aber wie wirst du ihren Tod erklären?« fragte Smelost.
Muuzh sagte nichts.
Smelost wartete. Dann warf er noch einen Blick auf die Leichen. »Ich verstehe«, sagte er. »Sie sind durch meine Klinge umgekommen.«
»Wie sehr liebst du deine Stadt?« fragte Muuzh.
»Mit ganzem Herzen.«
»Mehr als das Leben?« fragte Muuzh.
Smelost nickte ernst. In seinen Augen stand Furcht, doch er zitterte nicht.
»Wenn meine Soldaten glauben, daß ich Plod und den Fürsprecher getötet habe, werden sie mich in Stücke reißen. Aber wenn sie glauben — nein, wenn sie wissen —, daß du es warst und ich dich dafür getötet habe, werden sie mir in meinem rechtschaffenen Zorn folgen. Ich werde ihnen sagen, daß du einer der Söldner warst. Ich werde deinen Namen in den Schmutz ziehen. Ich werde sagen, daß du Basilika verraten hast und verhindern wolltest, daß ich der Stadt zu Hilfe eile. Aber weil sie diese Lügen über dich glauben, werden sie mir folgen, und wir werden deine Stadt retten.«
Smelost lächelte. »Anscheinend ist es mein Schicksal, um so mehr für meine Stadt tun zu können, um so mehr meine Stadt meinen Verrat verachten wird.«
»Es ist ein schrecklicher Tag, wenn ein Mann sich zwischen der scheinbaren und der wirklichen Treue entscheiden muß, doch dieser Tag ist heute für dich gekommen.«
»Sag mir, was ich zu tun habe.«
Muuzh weinte fast vor Bewunderung für den Mut und die Ehre dieses Mannes, als er das einfache Schauspiel erklärte, das sie inszenieren mußten. Wenn ich nicht einer höheren Sache dienen würde, dachte Muuzh, würde ich mich zu sehr schämen, um einen Menschen von dieser Ehre zu täuschen. Aber um Pravo Gollossas willen bin ich zu jeder schrecklichen Schandtat bereit.
Einen Augenblick später, in einer Flaute des Sturms, begannen Muuzh und Smelost zu brüllen und zu toben, und Muuzh stieß einen hohen Schrei aus, von dem Zeugen später beschwören würden, daß es sich um den Todesschrei des Fürsprechers handelte. Als die Soldaten dann aus ihren Zelten stolperten, sahen sie Smelost, der schon aus einer Schenkelwunde blutete, aus dem Zelt des Generals springen, in der Hand ein Kurzschwert, von dem Blut tropfte. »Für Gaballufix! Tod dem Imperator!«
Der Name Gaballufix hatte nicht die geringste Bedeutung für die Gorajni-Soldaten, doch das würde sich schon bald ändern. Sie interessierten sich vielmehr für den letzten Teil von Smelosts Ruf — Tod dem Imperator. Niemand konnte so etwas in einem Lager der Gorajni sagen, ohne lebendig gehäutet zu werden.
Doch bevor jemand den Mann erreichen konnte, taumelte der General selbst aus dem Zelt. Er blutete aus einer Armwunde und hielt sich den Kopf; offensichtlich hatte er dort einen Schlag abbekommen. Der General — der große Vozmuzhalnoi Vozmozhno, Muuzh genannt, wann immer sie glaubten, er könne sie nicht hören — hielt eine Streitaxt in der linken Hand — in der linken, nicht in der rechten! — und holte mit ihr gegen den Nacken des Meuchelmörders aus, spaltete ihn bis zum Herzen. Er hätte dies nicht tun sollen; jeder wußte, daß man den Mann hätte lebendig ergreifen und zu Tode foltern müssen. Doch dann sank der General zu ihrem Entsetzen auf die Knie — der General, der Eis statt Blut in den Adern hatte, sank auf die Knie und weinte bitterlich, schrie aus den Tiefen seiner Seele: »Plodorodnui, mein Freund, mein Herz, mein Leben! Ach, Plod! Gott hätte mich nehmen und dich am Leben lassen sollen!«
Seine Trauer war sowohl glorreich als auch schrecklich anzusehen, und ohne offen ein Wort darüber fallen zu lassen, faßten die Soldaten, die seine Klage gehört hatten, den Entschluß, niemandem von seinem blasphemischen Vorschlag zu erzählen, Gott habe die Welt vielleicht unpassend geordnet. Als sie das Zelt betraten, verstanden sie genau, warum Muuzh sich vergessen und den Meuchelmörder mit eigener Hand getötet hatte, denn wie hätte ein Sterblicher zusehen können, daß jemand sowohl seinen liebsten Freund als auch den Fürsprecher so grausam ermordete, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren?
Bald verbreitete sich die Nachricht durchs Lager, daß Muuzh tausend kräftige Soldaten auf einen Gewaltmarsch durch die Berge mitnehmen würde, um die Stadt Basilika einzunehmen und die Partei des Gaballufix zu zerschlagen, eine so wagemutige und verräterische Gruppe von Männern, daß sie es gewagt hatte, einen Meuchelmörder gegen den General der Gorajni auszuschicken. Zu schade für sie, daß Gott die Gorajni so sehr liebte, daß er nicht duldete, daß ihr Muuzh durch Verrat ums Leben kam. Statt dessen hatte Gott Muuzh’ Herz mit rechtschaffenem Zorn erfüllt, und Basilika würde bald erfahren, was es bedeutete, Gott und die Gorajni zu ihren Herren zu haben.