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Schutz
Der Traum des ältesten Sohnes
Die Kamele hatten sich unter dem Schatten der großen Palmwedel versammelt, die der Wetschik und seine Söhne zwischen einer Gruppe von vier Bäumen neben dem Bach zu einem Dach verwoben hatten. Elemak beneidete sie — der Schatten dort war gut, der Bach war kühl, und die Bäume fingen die Brise ein, so daß die Luft dort niemals so stickig war wie in den Zelten. Er war für heute morgen mit der Arbeit fertig, und während der Hitze des Tages gab es jetzt nichts Nützliches mehr zu tun. Sollten Vater und Nafai und Issib doch ihren Schweiß übereinander vergießen, während sie sich in Vaters Zelt um den Index der Überseele drängten. Was wußte die Überseele denn schon? Sie war nur ein Computer — Nafai selbst hatte dies gesagt, in seiner pubertären, fanatischen Frömmigkeit. Warum sollte Elemak sich also mit einem Gespräch mit einer Maschine abgeben? Sie verfügte über eine gewaltige Bibliothek an Informationen … na und? Elemak war mit der Schule fertig.
Also saß er im heißen Schatten der Südklippe und wußte, daß er höchstens noch eine Stunde lang ruhen konnte, bevor die Sonne so hoch stieg, daß der Schatten verschwinden würde und er sich einen anderen Platz suchen mußte. Das störte Elemak eigentlich nicht — als er noch Karawanen geführt hatte, hatte er sich darauf verlassen, davon geweckt zu werden, damit er, wenn sie in Oasen rasteten, während des Tages nicht zu lange schlief. Ihn machte vielmehr so wütend, daß er seine ständige Nutzlosigkeit so deutlich spürte wie Magenschmerzen. Sie reisten nicht, sie warteten lediglich hier in der Wüste — und worauf? Auf nichts. Die Überseele sagte, daß Basilika zerstört werden und die Welt Harmonie in Krieg und Schrecken zusammenbrechen würde. Es war lächerlich unwahrscheinlich, daß so etwas geschehen würde. Die Welt hatte schon vierzig Millionen Jahre überstanden, ohne von einem Krieg verwüstet zu werden. Nun standen zum ersten Mal zwei große Reiche kurz vor einem Zusammenstoß, und die Überseele benahm sich, als handelte es sich um ein kosmisches Ereignis.
Ich hätte ja noch verstehen können, Basilika zu verlassen, sagte er sich, wenn wir unser Vermögen mitgenommen hätten und in eine andere Stadt gezogen wären und dort neu angefangen hätten. Ausschlaggebend für den Handel mit Pflanzen ist das Wissen in Vaters Kopf und meinem, nicht die Gebäude oder die Hilfskräfte. Wir hätten reich sein können. Statt dessen sitzen wir hier in der Wüste, haben unser gesamtes Vermögen an meinen Halbbruder Gaballufix verloren, und nun hat Nafai ihn ermordet, und wir können nie wieder nach Basilika zurückkehren, und selbst, wenn wir es könnten, wären wir noch immer arm, warum es also überhaupt erst versuchen?
Bis auf die Tatsache, daß sogar Armut in Basilika immer noch besser wäre als das sinnlose Warten hier in der Wüste, in diesem elenden kleinen Tal, das kaum die Pavianherde bachabwärts ernähren kann. Selbst jetzt konnte er ihr Bellen und Heulen hören. Tiere, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie Menschen oder Hunde waren. Genau das sind wir jetzt auch, nur daß wir nicht einmal so klug waren, Gefährtinnen mitzunehmen, als wir gingen, damit wir jetzt wenigstens einen vernünftigen Stamm bilden könnten.
Trotz des unregelmäßigen Lärms der Paviane und des gelegentlichen Blökens der Kamele schlief Elemak bald ein. Er erwachte kurz darauf, hatte zumindest diesen Eindruck; er fühlte die brennende Hitze der Sonne auf seiner Kleidung und ging also davon aus, daß die Sonne ihn geweckt hatte. Aber nein, es war etwas anderes gewesen; in seiner Nähe bewegte sich ein Schatten. Mit geschlossenen Augen überlegte er, wo sein Messer war, und rief sich das Gelände um ihn herum in Erinnerung zurück. Dann sprang er mit einer plötzlichen Bewegung auf, das lange Messer in der Hand, und blinzelte in das helle Sonnenlicht, um zu sehen, wo sein Feind war.
»Ich bin es nur!« kreischte Zdorab.
Elemak steckte das Messer angewidert wieder zurück. »Man schleicht sich nicht leise an jemanden an, der in der Wüste schläft. Auf diese Weise kann man zu Tode kommen. Ich habe dich für einen Räuber gehalten.«
»Aber so leise war ich doch gar nicht«, hielt Zdorab berechtigt dagegen. »Du hingegen warst auch sehr laut. Ich nehme an, du hast geträumt.«
Es störte Elemak, daß er im Schlaf gesprochen hatte. Doch nun, da Zdorab es erwähnte, fiel ihm ein, daß er tatsächlich geträumt hatte, und er erinnerte sich mit bemerkenswerter Klarheit an den Traum. Er hatte noch nie so einen deutlichen Traum gehabt, jedenfalls nicht, daß er sich daran erinnerte, und das machte ihn nachdenklich. »Was habe ich gesagt?« fragte Elemak.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Zdorab. »Es war eher ein Murmeln. Ich kam her, weil dein Vater dich sprechen möchte. Sonst hätte ich dich niemals gestört.«
Es stimmte. Zdorab war der vollendete Diener, die meiste Zeit über unsichtbar, aber immer hilfsbereit — selbst, wenn er völlig unfähig war, was hier in der Wüste, in der die Talente eines Schatzmeisters ziemlich nutzlos waren, meistens der Fall war. »Danke«, sagte Elemak. »Ich komme sofort.«
Zdorab wartete nur einen Augenblick lang — das Zögern, das alle guten Dienstboten früher oder später an den Tag legten, dieser kurze Moment, in dem ihren Herren noch etwas einfallen konnte, bevor sie gingen. Dann war er verschwunden, watschelte unbeholfen den flachen Hang hinab und dann über den trockenen, steinigen Boden zu Wetschiks Zelt.
Elemak zog seine Wüstenrobe hoch und pinkelte ins Offene hinaus, wo die Sonne seinen Urin in wenigen Augenblicken verdunsten würde, bevor sich zu viele Fliegen versammeln konnten. Dann ging er zum Bach, trank aus der hohlen Hand, spritzte Wasser auf sein Gesicht und über seinen Kopf und ging erst dann zu dem Zelt, in dem Vater und alle anderen warteten.
»Nun«, sagte Elemak, als er eintrat. »Habt ihr alles erfahren, was die Überseele euch beibringen kann?«
Nafai betrachtete ihn mit seinem typisch mißbilligenden Blick. Elemak wußte, daß er Nafai eines Tages die Prügel seines Lebens verabreichen mußte, nur um ihm beizubringen, nicht diesen Gesichtsausdruck aufzusetzen, zumindest nicht Elemak gegenüber. Er hatte schon einmal versucht, ihm diese Prügel zu verabreichen, und dabei herausgefunden, daß er es beim nächsten Mal ein gutes Stück von Issibs Stuhl entfernt tun mußte, damit die Überseele das Transportmittel nicht übernehmen und sich einmischen konnte. Doch im Augenblick war nichts zu gewinnen, wenn er sich anmerken ließ, daß ihm Nafais rotzige Frechheiten unter die Haut gingen; also tat Elemak so, als habe er nichts gesehen.
»Wir müssen uns allmählich an die Jagd machen«, sagte Vater.
Elemak schloß augenblicklich halb die Augen und dachte darüber nach, was das zu bedeuten hatte. Sie hatten genug Vorräte für acht oder neun Monate mitgenommen — für ein Jahr, wenn sie sparsam damit umgingen. Doch Vater sprach davon, auf die Jagd zu gehen. Das konnte nur bedeuten, daß er nicht damit rechnete, innerhalb eines Jahres in die Zivilisation zurückzukehren.
»Wie wäre es denn, wenn wir auf dem Äußeren Markt Lebensmittel einkaufen«, sagte Meb.
Elemak pflichtete ihm aus vollem Herzen bei, sagte aber nichts, als Vater Meb eine Vorlesung darüber hielt, daß es unmöglich war, irgendwann in nächster Zeit nach Basilika zurückzukehren. Er wartete, bis die kleine Szene von allein ein Ende genommen hatte. Armer Meb — wann würde er lernen, den Mund zu halten und nur das zu sagen, was einem zum Vorteil geriet?
Erst, als alle schwiegen, ergriff Elemak das Wort. »Wir können auf die Jagd gehen«, sagte er. »Für die Wüste handelt es sich um verhältnismäßig üppiges Land, und ich schätze, daß wir einmal die Woche Beute machen können – ein paar Monate lang.«