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Sie hatte ein kleines Schnütchen um ihren Mund geschminkt, das ganz reizend aussah. Sie betrachtete sich aus verschiedenen Blickwinkeln, und es gefiel ihr. Doch es war zu hell. Sie mußte mehr Rouge auflegen, oder man konnte es hinter der ersten Reihe nicht mehr sehen.

»Wenn du es noch runder machst, sieht es aus, als hätte dir jemand mit einem Bohrer ein Loch unter die Nase gestanzt.«

Kokor drehte sich langsam um und betrachtete den Eindringling auf ihrer Schwelle. Ein unausstehliches kleines Mädchen von dreizehn Jahren. Die jüngere Schwester dieses garstigen Bastardmädchens Huschidh. Mutter hatte sie beide als Kleinkinder aus reiner Nächstenliebe aufgenommen, und als Mutter Huschidh zu einer ihrer Nichten gemacht hatte, war das Mädchen offensichtlich zur Auffassung gelangt, man müsse sie nun genauso ernst nehmen wie die Nichten von hoher Geburt, die es eines Tages in Basilika weit bringen würden. Damals, als sie noch Schülerinnen gewesen waren, hatte es ihr und Sevet immer viel Spaß gemacht, Huschidh auf ihre richtige Größe zurechtzustutzen. Und nun wagte es ihre kleine Schwester, ebenfalls ein Bastard und genauso häßlich und hochnäsig, auf der Schwelle des Schlafzimmers einer Tochter des Hauses zu stehen, einer hochwohlgeborenen Frau Basilikas, und das Aussehen einer der berühmtesten Schönheiten der Stadt ins Lächerliche zu ziehen.

Aber es war unter Kokors Würde, sich die Mühe zu machen, diesem Kind die Zurechtweisung zu verpassen, die es verdient hatte. Es war schon lästig genug, den Bastard zu verscheuchen. »Mädchen, da ist eine Tür. Sie war geschlossen. Bitte stelle ihren vorherigen Zustand wieder her, aber mit dir auf der anderen Seite.«

Das Kind rührte sich nicht.

»Mädchen, wenn man dich mit einer Nachricht zu mir geschickt hat, teile sie mir mit und verschwinde.«

»Sprichst du mit mir?« fragte das Kind.

»Siehst du hier ein anderes Mädchen?«

»Ich bin in diesem Haus eine Nichte«, sagte das Kind. »Nur Dienstboten werden mit >Mädchen< angesprochen. Da es heißt, du wärest eine Dame, die die richtigen Anredeformen kennt, mußt du mit einer unsichtbaren Dienerin auf dem Balkon gesprochen haben.«

Kokor erhob sich. »Ich habe genug von dir. Ich hatte schon genug von dir, bevor du dieses Zimmer betreten hast.«

»Was wirst du tun?« fragte das Kind. »Mich gegen den Hals schlagen? Oder betreibst du diesen Sport nur bei Familienangehörigen?«

Kokor spürte, daß eine unbezähmbare Wut in ihr aufstieg. »Bringe mich nicht in Versuchung!« rief sie. Dann beherrschte sie sich. Dieses Mädchen war es nicht wert. Wenn sie auf der richtigen Anrede bestand, sollte sie sie haben. »Was hast du hier zu suchen, meine liebe junge Tochter einer heiligen Hure?«

Das Mädchen wirkte nicht verlegen. »Also weißt du, wer ich bin«, sagte es. »Mein Name ist Luet. Meine Freundinnen nennen mich Lutja. Du darfst mich Junge Herrin nennen.«

»Warum bist du hier, und wann wirst du wieder gehen?« fragte Kokor. »Bin ich ins Haus meiner Mutter gekommen, um mich von einem Bastardkind ohne Manieren quälen zu lassen?«

»Das brauchst du nicht zu befürchten«, sagte Luet. »Denn wie ich gehört habe, wirst du keine Stunde mehr in diesem Haus sein.«

»Wovon sprichst du überhaupt? Was hast du gehört?«

»Ich kam aus reiner Freundlichkeit her, um dich wissen zu lassen, daß Raschgallivak mit sechs seiner Soldaten hier ist, um dich unter den Schutz der Palwaschantu zu nehmen.«

»Raschgallivak! Der kleine Gernegroß! Als er mich das letzte Mal mitnehmen wollte, habe ich ihm gezeigt, wohin er gehört, und das werde ich auch diesmal tun.«

»Er will auch Sevet mitnehmen. Er sagt, daß ihr beide in ernster Gefahr schwebt und Schutz braucht.«

»Gefahr? In Mutters Haus? Ich brauche nur Schutz vor unausstehlichen, häßlichen kleinen Mädchen.«

»Du bist so gnädig, Herrin Kokor«, sagte Luet. »Ich werde dir niemals vergessen, wie du meine Freundlichkeit beantwortet hast, dir diese Neuigkeit zu überbringen.« Sie drehte sich um und verließ das Zimmer.

Was erwartete das Mädchen? Wenn sie mit Würde statt mit einer Beleidigung eingetreten wäre, hätte Kokor sie besser behandelt. Doch von einem Kind von solch niedriger Herkunft konnte man kaum ein anständiges Benehmen erwarten, und deshalb würde Kokor versuchen, es ihr nicht übelzunehmen.

Mutter war in letzter Zeit so herrisch, daß ihr die Idee, sie und Sevet zu Raschgallivak zu schicken, vielleicht sogar gefallen würde. Kokor mußte also selbst dafür sorgen, daß nichts dergleichen geschah.

Sie wischte das Schnütchen ab und legte Tagesschminke auf, wählte dann ein besonders elegant aussehendes Hauskleid, zog es an und brachte es ganz leicht in Unordnung, damit es so aussah, als wäre sie nur auf dem Weg in die Küche, wenn sie überrascht herausfinden würde, daß Raschgallivak hier war, um sie zu entführen.

Der Plan wurde jedoch dadurch verdorben, daß Sevet im Korridor stand, als Kokor ihr Zimmer verließ, gestützt auf den Arm dieser elenden Huschidh, Luets älterer Schwester. Wie konnte Sevet sich dazu hinablassen, sich auf ein Mädchen zu stützen, das sie einst mit solcher Verachtung behandelt hatte? Kannte sie keine Scham? Und doch machte ihre Anwesenheit im Korridor es Kokor unmöglich, sie zu ignorieren. Sie würde die besorgte Schwester spielen müssen. Doch da Sevet sich bereits auf Huschidh stützte, würde Kokor ihr diese Hilfe nicht anbieten müssen. Wenn Sevet sich auf sie stützte, würde sie ihre Handlungsfreiheit vollends verlieren.

»Wie geht es dir, arme Sevet?« fragte Kokor. »Ich habe mich um dich heiser geweint. Wir sind manchmal so böse zueinander, Sevet. Warum benehmen wir uns nur so?«

Sevet betrachtete lediglich den Fußboden einen Meter vor ihr.

»Oh, ich verstehe, daß du nicht mit mir sprichst. Du wirst mir den Unfall niemals verzeihen. Aber ich habe dir das verziehen, was du getan hast, und das war kein Unfall, das war Absicht. Doch man kann kaum erwarten, daß du schon bereit bist, mir zu verzeihen, du wirst ja solche Schmerzen haben, du armes Ding. Warum bist du überhaupt aufgestanden? Ich werde mit Raschgallivak schon fertig. Ich habe ihm neulich schon die Eier in die Milz gerammt und freue mich darauf, es ein zweites Mal zu tun.«

Darüber lächelte Sevet tatsächlich ein wenig. Nur der Anflug eines Lächelns. Oder vielleicht war sie auch nur zusammengezuckt, weil sie die erste Treppenstufe hinabgehumpelt war.

Mutter hatte Raschgallivak nicht einmal in eins der Wohnzimmer gebeten. Er stand mit seinen Soldaten an der Tür, die noch geöffnet war. Mutter drehte sich um und warf einen Blick auf ihre Töchter und Huschidh, als sie den Gang entlangkamen, der von der Treppe zur Haustür führte.

»Du siehst selbst, es geht ihnen gut«, sagte Mutter zu Raschgallivak. »Sie sind hier sicher und in guten Händen. Kein einziger Mann hat dieses Haus betreten, abgesehen von dir und diesen überflüssigen Soldaten.«

»Ich mache mir keine Sorgen darüber, was geschehen ist«, sagte Raschgallivak. »Sondern darüber, was geschehen könnte, und ich werde dieses Haus nicht ohne Gaballufix’ Töchter verlassen. Sie stehen unter dem Schutz der Palwaschantu.«

»Du kannst deine Soldaten gern draußen auf der Straße postieren«, sagte Mutter, »um zu verhindern, daß Tolschocks oder Plünderer oder Attentäter unser Haus betreten, aber du wirst meine Töchter nicht mitnehmen. Das Anrecht einer Mutter zählt mehr als das eines Männerklans.«