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Doch Huschidh konnte auch sehen, daß Rasa sich ganz allein vorkam, obwohl sie von diesem gewaltigen Netz umgeben war, als würde sich dieses Netz zwar zu ihr erstrecken, aber sie nicht oder nur ganz leicht berühren. Das war die Auswirkung der rohen Macht, die Rasch ausübte — sie erzeugte in Rasa das Gefühl, daß ihre Stärke und Kraft letztendlich doch zu nichts nütze war, da sie der Macht dieser Soldaten nicht widerstehen konnte.

Gleichzeitig sah Huschidh ein weiteres einflußreiches Netz — das Raschgallivaks — und erkannte, daß es in Wirklichkeit verachtenswert und schwach war. Während Rasas Verbindung mit ihrem Haushalt stark und wirklich war und ihre Macht in der Stadt Huschidh fast spürbar vorkam, brachten Raschgallivaks Soldaten dem Mann nur wenig Respekt entgegen. Er konnte ihnen nur Befehle erteilen, weil er sie bezahlte, und dann auch nur, weil ihnen durchaus gefiel, was er befahl. Im Vergleich zu Rasa war Raschgallivak fast isoliert. Und die Verbindungen seiner Männer untereinander waren viel stärker als die zu ihm. Und doch waren sie fast nichts im Vergleich zu denen zwischen den Frauen.

Huschidh wußte, daß die meisten Männer so waren — kaum miteinander verbunden, relativ frei und allein. Aber diese Männer waren besonders mißtrauisch und egoistisch, und so waren die Bande, die sie hielten, in der Tat sehr zerbrechlich. Es bestand keine Liebe zwischen ihnen, sondern nur die Begierde, von den anderen Männern anerkannt und respektiert zu werden. Also Stolz. Und in diesem Augenblick waren sie stolz auf ihre Stärke, als sie diese Frauen aus dem Haus schleppten, stolz darauf, einer der großen Frauen Basilikas getrotzt zu haben; in ihren Augen kamen sie sich jeweils großartig vor. Doch in Wirklichkeit bestand ihre gesamte Verbindung in diesem Augenblick lediglich in dem Respekt, den sie durch ihr Vorgehen zu erwerben glaubten.

So zerbrechlich. Huschidh mußte nur nach ihnen greifen und hätte die Verbindungen zwischen diesen Männern mit Leichtigkeit zerreißen können. Raschgallivak würde hoffnungslos allein dastehen. Und obwohl Rasa es ihr verbot, spürte Huschidh in diesem Augenblick eine viel tiefere Verbindung mit Sevet und Kokor, denn diese Mädchen hatten sie gepeinigt, waren ihre Feinde gewesen, und nun hatte sie die Gelegenheit, sie zu retten, zu befreien, und sie würden wissen, daß sie ihnen geholfen hatte. Damit würde eine der größten Kränkungen in ihrem Herzen wiedergutgemacht werden; was war schon Rasas Befehl im Vergleich zu diesem Bedürfnis?

Huschidh wußte genau, warum sie handelte, noch während sie handelte — sie verstand genau, was sie tat, denn als Entwirrerin konnte sie auch ihre eigenen Verbindungen mit der Welt um sie herum sehen —, und sie handelte trotzdem, denn in diesem Augenblick war sie die mächtige Retterin, die dazu imstande war, diese mächtigen Männer in ihre Schranken zu weisen.

Und deshalb sprach sie und nahm ihnen ihre Macht. Es waren nicht die Worte, die sie sagte; sie löste die Verbindungen zwischen ihnen nicht mit einem Zauberspruch auf. Es war ihr Tonfall der Verachtung, ihr Gesicht, ihr Körper, die ihren Worten die Macht verliehen, ins Herz eines jeden der Soldaten zu greifen und ihnen das Gefühl zu geben, daß sie völlig allein waren, daß andere Männer nur Verachtung für das empfanden, was sie taten. »Wo ist eure Ehre, wenn ihr diese verletzte Frau aus dem Haus ihrer Mutter schleppt«, sagte sie. »Wilde Paviane sind männlicher als ihr, denn deren Mütter können ihre Kinder den Männchen des Stammes anvertrauen.«

Armer Rasch. Er hörte die Worte und glaubte, Huschidh in ihre Schranken weisen zu können, indem er etwas entgegnete. Er begriff nicht, daß diese Männer sich bereits in der Geschichte verfangen hatten, die Huschidh um sie webte, und daß jedes Wort, das er sagte, sie weiter von ihm entfernte, denn mit jedem Ton, den er von sich gab, klang er schwächer und feiger. »Halte den Mund, Frau! Diese Männer sind Soldaten, die ihre Pflicht tun …«

»Die Pflicht eines Feiglings. Seht euch doch an, wozu dieser sogenannte Mann euch getrieben hat. Er hat euch zu schmutzigem Ungeziefer gemacht. Ihr raubt helle und strahlende Schönheit und schleppt sie zu seinem Loch, wo er euch mit Scheiße bedecken und es Ruhm nennen wird.«

Zuerst ließen zwei, dann die beiden anderen Männer Kokor und Sevet los. Sevet sank augenblicklich auf die Knie und weinte leise vor sich hin. Kokor hingegen brachte sehr überzeugend ihren Ekel und Abscheu zum Ausdruck, als sie erzitterte und vergeblich versuchte, die Erinnerung an die Berührung der Soldaten an ihren Armen abzuwischen.

»Seht ihr, wie ihr die schönen Frauen anwidert?« sagte Huschidh. »Dazu hat Raschgallivak euch gemacht. Zu Schnecken und Würmern, weil ihr ihm folgt. Wohin könnt ihr gehen, um wieder zu Männern zu werden? Wie könntet ihr eine Möglichkeit finden, euch zu säubern? Es muß doch einen Ort geben, an dem ihr euch vor eurer Schande verbergen könnt. Kriecht davon und sucht ihn, kleine Schnecken; grabt euch tief ein und findet heraus, ob ihr eure Erniedrigung verbergen könnt! Glaubt ihr etwa, diese Masken lassen euch stark und mächtig wirken? Sie kennzeichnen euch nur als Diener dieser verachtenswerten Mücke von Mann. Als Diener eines Nichts.«

Einer der Soldaten legte den Umhang ab, der das holographische Bild schuf, das bislang sein Gesicht verborgen hatte. Es war ein ganz gewöhnlicher, ziemlich schmutzig aussehender Mann, unrasiert, etwas beschränkt und voller Angst — seine Augen waren groß und füllten sich mit Tränen.

»Da ist er«, sagte Huschidh. »Das hat Raschgallivak aus euch gemacht.«

»Setz deine Maske wieder auf!« rief Raschgallivak. »Ich befehle euch, diese Frauen zu Gaballufix’ Haus zu bringen!«

»Hört ihn an«, sagte Huschidh. »Er ist kein Gaballufix. Warum folgt ihr ihm?«

Das war der letzte Anstoß. Auch die meisten anderen Soldaten rissen ihre Masken ab und ließen die Holomäntel auf der Treppe von Rasas Haus liegen, als sie davonliefen, vom Ort ihrer Erniedrigung flohen.

Rasch stand allein vor der Tür. Nun hatte sich die gesamte Szene verändert. Man mußte keine Entwirrerin sein, um zu begreifen, daß alle Macht und Erhabenheit jetzt bei Rasa lagen und Rasch hilflos, schwach und allein war. Er sah zu den Umhängen zu seinen Füßen hinab.

»Genau«, sagte Huschidh. »Verbirg dein Gesicht. Niemand will dieses Gesicht noch einmal sehen und am wenigsten du selbst.«

Und er tat es, bückte sich, hob einen der Umhänge auf und legte ihn über seine Schultern; seine Körperwärme aktivierte den Umhang, der noch eingeschaltet war, und plötzlich war er nicht mehr Raschgallivak, sondern dasselbe uniformierte Abbild falscher Männlichkeit, das alle Soldaten Gaballufix’ getragen hatten. Dann drehte er sich um und lief davon, genau wie seine Männer, genau wie sie mit eingezogenen Schultern. Kein von einem Rivalen besiegter Pavian hätte erbärmlicher wirken können als Rasch bei seiner Flucht.

Huschidh spürte das Netz der Ehrfurcht, das sich um sie bildete; das Wissen, daß sie die Bewunderung der Mädchen und Frauen des Hauses hatte, ließ ihren Körper prickeln — besonders aber, daß Sevet und Kokor ihr nun Ehre entgegenbrachten. Kokor, die eitle Kokor, die sie nun so ehrfürchtig ansah, daß ihr Gesichtsausdruck schon wieder dumm war. Und Sevet, die sie so viele Jahre lang grausam verspottet hatte, sah sie nun mit Augen an, in denen die Tränen standen, und streckte die Arme nach ihr aus wie eine flehende Bittstellerin im Tempel, und ihre Lippen bemühten sich, danke zu sagen.

»Was hast du getan«, flüsterte Rasa.

Huschidh verstand die Frage nicht. Es war doch offensichtlich, was sie getan hatte. »Ich habe Raschgallivaks Macht gebrochen«, sagte sie. »Er ist keine Bedrohung mehr für dich.«

»Törichtes Mädchen«, sagte Rasa. »Tausende dieser Schurken halten sich in Basilika auf. Tausende von ihnen, und nun ist der einzige Mann, der sie unter Kontrolle halten konnte, wie schwach er auch war, gebrochen und erledigt. Bei Anbruch der Dämmerung werden diese Soldaten keinem Befehl mehr gehorchen, und wer soll sie dann aufhalten?«