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Doch Muuzh hatte bereits den Arm gehoben, und seine Leute liefen in die Stadt. Bitanke trat näher an Muuzh heran, vielleicht, um zu protestieren, doch Muuzh begrüßte ihn mit einer Umarmung, die jedes Wort erstickte. »Bitte, mein Freund — ich weiß, deine Männer sind erschöpft, aber könnten sie sich nicht trotzdem noch nützlich machen? Zum Beispiel könnte dieses Dorf vor dem Stadttor nur profitieren, wenn man hier ein wenig Ordnung schaffen würde. Und wir beide, wir sollten uns auf den Weg zu den Amtsträgerinnen machen, damit ich die Befehle des Stadtrats entgegennehmen kann.«

Welche bösen Vorahnungen Hauptmann Bitanke auch haben mochte, sie wurden von Muuzh’ Umarmung und seinem Lächeln weggewischt. Bitanke gab seine Befehle, und seine Männer schwärmten in der Hundestadt aus. Dann folgte Muuzh ihm in die Stadt. »Während meine Männer die Ordnung wiederherstellen, müßten ein paar Brände gelöscht werden«, sagte Muuzh. »Kannst du andere Mitglieder der Stadtwache mit deinem Computer herbeirufen?«

»Ja, Herr.«

»Es obliegt mir nicht, dir zu sagen, was du zu tun hast, doch wenn deine Leute die Feuerwehrmänner schützen würden, können wir Basilika vielleicht davor bewahren, noch vor Anbruch der Dämmerung vollends niederzubrennen.«

»Könnten uns dabei nicht deine restlichen Männer unterstützen?«

Muuzh lachte. »General Vozmuzhalnoi Vozmozhno würde das niemals erlauben. Wenn ein so starkes Heer vor eure Tore zöge, könnte jemand in Basilika befürchten, wir wollten eure Stadt erobern. Wir sind hier, um euch unseren Schutz zu gewähren, und nicht, um euch zu beherrschen, mein Freund! Also werden nicht mehr als diese fünfhundert Mann eure Stadt betreten.«

»Die Überseele muß dich geschickt haben, Herr«, sagte Hauptmann Bitanke.

»Ihr müßt der Herrin Rasa danken«, sagte Muuzh. »Ihr und einem tapferen Mann aus deinen Rängen. Ich glaube, er hieß Smelost.«

»Smelost«, flüsterte Bitanke. »Er war ein guter Freund von mir.«

»Dann freue ich mich, dir sagen zu können, daß er von General Vozmuzhalnoi Vozmozhno mit Ehren empfangen wurde. Der General hat keine Zeit verschwendet, aufgrund seiner Informationen zu handeln und eurer Stadt zu Hilfe zu eilen.«

»Du bist genau rechtzeitig gekommen«, sagte Bitanke. »Es begann heute abend und breitete sich durch die gesamte Stadt aus, und ich befürchtete schon, daß morgen früh ganz Basilika in Schutt und Asche liegen würde und alle braven Frauen der Stadt der Verzweiflung anheimgefallen sein würden — oder noch schlimmerem.«

»Ich freue mich immer, Hoffnung bringen zu können«, sagte Muuzh.

Mittlerweile gingen sie über eine Straße mit Wohnhäusern und Geschäften an beiden Seiten. Doch niemand war zu sehen, und hinter vielen Fenstern der Obergeschosse brannte Licht. Die einzigen Anzeichen, daß es hier Krawalle gegeben hatte, bestanden aus Glasscherben auf der Straße, eingeschlagenen Schaufensterscheiben und den Leichen von Söldnern, die, noch ihre holographischen Masken tragend, wie Schlachtvieh an den Balkonen der oberen Stockwerke hingen. Bitanke betrachtete sie mit schwachem Abscheu.

»Wie lange werden diese Masken funktionsfähig bleiben?« fragte Muuzh.

»Bis die … Leichen erkalten, vermute ich. Ich habe gehört, daß sie von der Wärme und dem Magnetismus des Körpers aktiviert werden.«

»Ah«, sagte Muuzh.

»Darf ich fragen … wieso sie … wie deine Männer sie … aufhängen konnten? Ich sehe keine Seile … und auch keine anderen Vorrichtungen, mit denen das möglich wäre.«

»Ich weiß es auch nicht«, sagte Muuzh. »Nehmen wir einem den Umhang ab und sehen wir nach.«

Bitanke hob zimperlich den Arm und riß der nächsten baumelnden Leiche den Umhang ab. Als er hinabfiel, erlosch das Hologramm augenblicklich, und man konnte sehen, daß die Leiche mit einem schweren Messer an die Wand genagelt war, das man ihr durch den Hals getrieben hatte. »Sein eigenes Messer, meinst du nicht auch?« fragte Muuzh.

»Ich glaube schon«, sagte Bitanke.

»Keine sehr sichere Angelegenheit«, sagte Muuzh und zog leicht an der Leiche. »Sollte diese Nacht noch Wind aufkommen, werden die meisten Leichen morgen früh wohl auf dem Boden liegen. Wir müssen sie so schnell wie möglich beseitigen, oder wir bekommen ziemliche Probleme mit den Hunden.«

»Ja, Herr«, sagte Bitanke.

»Hast du noch nie eine Leiche gesehen?« fragte Muuzh. »Du siehst etwas grün um die Nase aus.«

»Oh, ich habe schon Tote gesehen, Herr«, sagte Bitanke. »Ich habe nur noch nie gehört, daß man sie … so behandelt … ich wünschte, deine Männer würden nicht …«

»Unsinn. Diese baumelnden Leichen sind wie eine Verstärkung. Alle Aufrührer, die meine Männer zufällig übersehen haben, werden herauskommen, feststellen, wie ruhig alles ist, und die Leichen bemerken, und der Kampfeswille wird sie augenblicklich verlassen.«

Bitanke kicherte leise. »Das kann ich mir vorstellen.«

»Siehst du?« sagte Muuzh. »So können diese Jungs einen kleinen Teil des Unheils, das sie angerichtet haben, wiedergutmachen, indem sie die Straßen die ganze Nacht über für uns hüten. Berichtige mich, falls ich mich irre, Hauptmann Bitanke, aber niemand wird viele Tränen um sie vergießen, nicht wahr?«

Innerhalb von einer Stunde traf Muuzh mit dem Stadtrat zusammen. Mittlerweile hatten die hundert Soldaten, die die Lagerfeuer versorgten, Position vor allen Stadttoren bezogen. In den wenigen Fällen, in denen die Tore noch von den regulären Wachen gesichert wurden, standen sie Schulter an Schulter mit ihnen. Es gab keinen Streit zwischen ihnen; kein einziger Soldat der Gorajni geriet mit einem Stadtwächter aneinander.

Muuzh’ Gespräch mit dem Stadtrat verlief friedlich, und sie schlössen die feste Vereinbarung, daß Muuzh Zutritt zu allen Stadtteilen bekam — sogar zu denen, in denen sich normalerweise nur Frauen aufhalten durften —, aber nach zweieinhalb Tagen seine Männer abziehen und zu Lagern vor den Toren führen würde, wo sie aus Mitteln der Stadt großzügig versorgt und belohnt werden würden. Es war eine wundervolle Absprache, voller Komplimente und aus tiefstem Herzen kommender Dankbarkeit.

Die meisten Bürgerinnen Basilikas würden es erst in einigen Tagen begreifen, doch als Muuzh das Gespräch mit dem Stadtrat beendete, war seine Eroberung der Stadt abgeschlossen.

Nafai sprach so wenig wie möglich mit Elja und Meb, als sie sich auf den Rückweg,nach Basilika machten. Sein Schweigen bewirkte nicht, daß sie ihn freundlicher behandelten, bedeutete aber, daß er nicht mit ihnen streiten mußte. Er konnte seinen eigenen Gedanken nachgehen.

Er konnte mit der Überseele sprechen.

Als spielte es eine Rolle, was er zu dem alten Computer sagte. Ein paar Tage lang hatte er sich der Vorstellung hingegeben, er und die Überseele würden zusammenarbeiten. Die Überseele hatte ihm ihre Erinnerungen an die Erde gezeigt und ihren Daseinszweck erläutert — sie mußte zu verhindern versuchen, daß sich die elende, selbstzerstörerische Geschichte der Erde wiederholte. Nafai hatte eingewilligt, diesem Zweck zu dienen. Nafai hatte über einem Mann gestanden, der betrunken auf der Straße lag — seinem Feind —, doch es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, diesen hilflosen und schlafenden Mann zu töten. Aber die Überseele hatte es ihm befohlen, und Nafai hatte gehorcht. Nicht, weil Gaballufix ein Mörder war, der den Tod verdient hatte. Warum dann? Weil Nafai der Überseele glaubte, weil er mit ihr übereinstimmte, vielleicht die ganze Welt retten zu können, wenn er diesen einen Mann tötete.

Doch wo war die Überseele nun, nachdem er das Verbrechen begangen, seine Hände ihrer Sache zuliebe mit Blut befleckt hatte? Nafai hatte sich eingebildet, es bestünde nun ein besonderes Verhältnis zwischen der Überseele und ihm. War da nicht der Augenblick gewesen, in dem der Index der Überseele zuerst zu ihm und Vater und Issib gesprochen hatte? Vater und Issib hatten die Botschaft der Überseele nur zum Teil verstanden — sie hatten sich auf die Vorstellung, konzentriert, daß die Überseele sie auf eine lange Reise zu einem wunderbaren Ort führen wollte, an dem Issib wieder seine Flossen benutzen konnte und nicht mehr auf seinen Stuhl beschränkt war. Doch nur Nafai hatte begriffen, daß der Ort, zu dem die Überseele sie führen wollte, nicht auf dem Planeten Harmonie lag — daß die Überseele sie zur Erde zurückführen wollte. Nach vierzig Millionen Jahren heim zur Erde.