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Wer ist dann meine Frau?

Luets Gesicht erschien in seinem Verstand.

Nafai erschauderte. Luet. Sie hatte ihm zur Flucht verholfen und ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das seine zu retten. Sie hatte ihn zum See der Frauen geführt und ihn Ritualen unterzogen, die rechtens nur Frauen ablegen durften. Man hätte sie töten können, weil sie ihn dorthin geführt hatte, zusammen mit ihm; statt dessen trat sie den Frauen gegenüber und überzeugte sie, daß die Überseele es ihr befohlen hatte. Er war mit ihr durch die Nebel an der Grenze zwischen dem heißen und dem kalten Wasser des Sees getrieben, und sie hatte ihn durch den Pfadlosen Wald geführt, durch das Privattor in der Stadtmauer Basilikas, von dem bis zu diesem Augenblick nur Frauen gewußt hatten.

Und vorher war Luet mitten in der Nacht zu Vaters Haus weit außerhalb der Stadt gekommen — ebenfalls unter großem persönlichem Risiko —, nur um ihn zu warnen, daß Vaters Feinde Pläne schmiedeten, ihn zu ermorden. Sie hatte ihren Aufbruch in die Wildnis beschleunigt.

Nafai verdankte ihr viel. Und er mochte sie, sie war ein guter Mensch, einfach und nett. Warum konnte er sie sich also nicht als seine Frau vorstellen? Warum schreckte er bei dem Gedanken zurück?

Weil sie die Wasserseherin ist.

Die Wasserseherin — deshalb wollte er sie nicht heiraten. Weil sie schon viel länger als er Visionen von der Überseele bekam; weil sie eine Kraft und Klugheit hatte, die zu erlangen er nicht einmal hoffen konnte. Weil sie in jeder Hinsicht, die ihm einfiel, besser als Nafai war. Falls sie diese Reise zur Erde als Ehepaar unternahmen, würde sie die Stimme der Überseele besser hören als er; sie würde den Weg kennen, wenn er überhaupt nichts wußte. Wenn für ihn alles still war, würde sie Musik hören; wenn er blind war, würde sie Licht haben. Ich kann es nicht ertragen, an eine Frau gebunden zu sein, die keinen Grund haben wird, mich zu respektieren, denn alles, was ich kann, hat sie schon getan, und zwar viel besser.

So … du wolltest also gar keine Frau haben. Du wolltest eine Verehrerin haben.

Diese Erkenntnis ließ ihn vor Selbstverachtung erröten. Stimmt das? Bin ich wirklich ein so schwacher Junge, daß ich mir nicht vorstellen kann, eine starke Frau zu lieben?

Vor seinem geistigen Auge tauchten die Gesichter Rasas und Wetschiks auf, seiner Eltern. Mutter war eine starke Frau — vielleicht die stärkste in Basilika, wenngleich sie nie versucht hatte, ihr Prestige und ihren Einfluß dazu einzusetzen, Macht für sich zu erlangen. Hatte es Vater geschwächt, daß Mutter ihm mindestens — mindestens ebenbürtig war? Vielleicht hatten sie deshalb ihren Ehevertrag nach Issibs Geburt nicht erneuert. Vielleicht war Mutter deshalb ein paar Jahre lang mit Gaballufix verheiratet gewesen — weil Vater nicht imstande gewesen war, seinen Stolz herunterzuschlucken und glücklich mit einer Frau verheiratet zu bleiben, die so mächtig und weise war.

Und doch war sie zu Vater zurückgekehrt und Vater zu ihr. Nafai war das Kind, das sie geboren hatte, um ihre Wiederheirat zu besiegeln. Und seitdem hatten sie den Vertrag jedes Jahr erneuert und ihre gegenseitige Hingabe nicht ein einziges Mal in Frage gestellt. Was hatte sich geändert? Nichts — Mutter hatte sich nicht aufgeben müssen, um Teil von Vaters Leben zu sein, und er mußte sie nicht beherrschen, um Teil ihres Lebens zu sein. Und es fand auch andersherum keine Herrschaft statt; der Wetschik war immer sein eigener Herr gewesen, und Rasa hatte niemals das Bedürfnis verspürt, ihn zu beherrschen.

Vor Nafais geistigem Auge flössen die Gesichter seiner Eltern zusammen und wurden zu einem. Einen Augenblick lang erkannte er es als das Vaters; dann wurde es, ohne sich im geringsten zu verändern, eindeutig zu dem von Mutter.

Ich verstehe, sagte er stumm. Sie sind eine Person. Was spielt es schon für eine Rolle, wer von ihnen zufällig die Stimme ist, wessen Hände zufällig handeln? Der eine steht nicht über dem anderen. Sie sind zusammen, und deshalb gibt es keine Frage der Konkurrenz zwischen ihnen.

Kann ich solch eine Partnerschaft mit Luet finden? Kann ich es ertragen, daß sie die Überseele hört, wenn ich sie nicht hören kann? Ich koche ja jetzt schon vor Wut, weil Elja einen Wahrtraum geträumt hat; kann ich Luets Träumen lauschen, ohne neidisch zu sein?

Und was ist mit ihr? Wird sie mich akzeptieren?

Augenblicklich schämte er sich der letzten Frage. Sie hatte ihn bereits akzeptiert. Sie hatte ihn zum See der Frauen geführt. Soweit er es sagen konnte, hatte sie ihm ohne das geringste Zögern alles gegeben, was sie war und was sie hatte. Er war derjenige, der eifersüchtig und ängstlich war. Sie war diejenige mit Mut und Großzügigkeit.

Die Frage lautet nicht: Kann ich es ertragen, mit ihr als eine Einheit zu leben. Die Frage lautet: Bin ich es würdig, mit solch einem Mädchen eine Partnerschaft einzugehen?

Er spürte, daß ihn eine zitternde Wärme durchzog, als würde er mit Licht erfüllt werden. Ja, sagte die Überseele in seinem Kopf. Ja, das ist die Frage. Das ist die Frage. Das ist die Frage.

Und dann endete die Trance seiner Kommunikation mit der Überseele, und Nafai wurde sich plötzlich wieder seiner Umgebung bewußt. Nichts hatte sich verändert — Meb und Elja ritten noch immer voraus, die Kamele trotteten mit. Noch immer tropfte Schweiß auf Nafais Körper; das Kamel torkelte und rollte noch immer unter ihm; die trockene Wüstenluft brannte noch immer mit jedem Atemzug, den er in den Körper sog.

Halte mich am Leben, sagte Nafai. Halte mich so lange am Leben, daß ich das Tier in mir unterwerfen kann. So lange, daß ich lernen kann, mich mit einer Frau zusammenzutun, die besser und stärker ist, als ich es bin. So lange, daß ich ein so guter Mann werden kann, wie mein Vater es ist, und auch so gut wie meine Mutter.

Wenn ich es kann, werde ich es tun. Wie eine Stimme in seinem Kopf, dieses Versprechen.

Und wenn ich es kann, werde ich es bald zustande bringen. Ich werde bald würdig sein.

4

Gattinnen

Der Traum der Genetikerin

Schedemei erwachte aus ihrem Traum und wollte ihn jemandem erzählen, doch es lag niemand neben ihr. Niemand, und doch mußte sie den Traum erzählen. Er war zu mächtig und wirklich gewesen; er mußte erzählt werden, denn sie befürchtete, daß er ihrem Gedächtnis entglitt, wie es bei den meisten Träumen der Fall war, wenn sie ihn nicht erzählte. Zum erstenmal wünschte sie sich, sie hätte einen Gatten. Jemand, der sich ihren Traum anhören mußte, selbst wenn er danach nur brummen und sich auf die andere Seite drehen und wieder einschlafen würde. Es wäre eine so große Erleichterung für sie, den Traum zu erzählen.

Aber wo hätte in dem Wirrwarr in ihrem Zimmer überhaupt ein Gatte schlafen können? Hier war kaum genug Platz für ihre Pritsche. Der Rest des Raums war ihren Forschungen gewidmet. Die Labortische, die Becken und Becher, die Schüsseln und Röhren, die Abflüsse und Gefriergeräte. Und vor allem die großen Trockenbehälter an den Wänden, die mit gefriergetrockneten Keimlingen und Embryonen gefüllt waren, damit sie Muster eines jeden Versuchsstadiums ihrer Forschungen über Redundanz als natürlichem Mechanismus zur Erschaffung und Kontrolle genetischer Abweichungen aufbewahren konnte.

Obwohl sie erst sechsundzwanzig Jahre alt war, hatte sie sich bereits weltweit einen Namen unter den Wissenschaftlern ihres Fachgebiets gemacht. Das war der einzige Ruhm, auf den es ihr ankam. Im Gegensatz zu so vielen anderen brillanten Frauen, die in Rasas Haus aufgewachsen waren, hatte Schedemei sich niemals für eine Laufbahn interessiert, die ihr Ruhm in Basilika einbringen würde. Sie hatte von Kindheit an gewußt, daß Basilika nicht der Mittelpunkt des Universums war, daß Ruhm, den sie sich hier erwarb, nicht besser war als der, den sie sich an jedem beliebigen anderen Ort erwarb — er würde bald in Vergessenheit geraten. Die Menschheit lebte seit vierzig Millionen Jahren auf der Welt Harmonie, vierzigtausendmal länger als die gesamte verzeichnete Geschichte der Menschheit auf dem alten Heimatplaneten Erde. Wenn es eine Lektion zu lernen gab, dann die, daß man eine Sängerin oder Schauspielerin, eine Politikerin oder einen Soldaten sehr bald vergessen würde. Lieder und Stücke gerieten normalerweise in einer Lebenszeit in Vergessenheit; Grenzen und Verfassungen wurden spätestens nach tausend Jahren neu gestaltet. Aber die Wissenschaft! Wissen an sich! Wenn man Wissen festhielt, würde sich die Nachwelt vielleicht ewig daran erinnern. Man würde vielleicht vergessen, wer etwas entdeckt hatte … aber an die Entdeckung selbst würde man sich erinnern, sie würde auf alle Zeit zurückstrahlen und widerhallen. Die Pflanzen, die man schuf, die Tiere, die man verbesserte, sie würden die Zeit überdauern, wenn man gute Arbeit geleistet hatte. Hatte der Pflanzenhändler Wetschik, der Lieblingsgatte der lieben Rasa, nicht Schedemeis Trockenblumensamen in alle Länder am Rand der Wüste gebracht? Solange Trockenblumen blühten, solange ihr voller und schwerer Geruch ein ganzes Haus in der Wüste wie einen Blumengarten riechen ließ, solange würde Schedemeis Werk in der Welt lebendig sein. Solange Wissenschaftler auf der ganzen Welt von der Überseele Kopien ihrer Berichte erhielten, solange hatte sie den einzigen Ruhm, auf den es ankam.