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Darauf hatte Schedemei nichts Höfliches zu erwidern, und so trat sie durch die Öffnung in der Wand. Hinter ihr hörte sie das Murmeln, mit dem die anderen ihr Gespräch wieder aufnahmen, doch sie konnte kein Wort verstehen. Und sie wollte es auch nicht. Worum man sie gebeten hatte, war einfach ungeheuerlich.

Und doch war es in ihrem Traum so wunderbar gewesen, die Hand auszustrecken und Leben aus den Wolken hinabzubringen. Warum hatte sie sich nicht damit begnügt — mit einem wunderschönen Traum? Warum hatte sie diesen Kindern davon erzählen müssen? Warum konnte sie nicht einfach vergessen, was sie gesagt hatten? Warum wirbelten jetzt diese Gedanken durch ihren Kopf?

Die Rückkehr zur Erde. Heim zur Erde.

Was hatte das zu bedeuten? Vierzig Millionen Jahre lang waren die Menschen auf Harmonie zufrieden gewesen. Warum rief die Erde sie jetzt? Es war Wahnsinn, ein ansteckender Wahnsinn in diesen schweren Zeiten.

Doch statt nach Hause ging sie zur Bio-Bibliothek, brütete dort mehrere Stunden über dem Katalog und stellte eine Bestellung für zwei Kamelladungen kristallisierter Keimlinge und Embryos zusammen, die vielleicht die nützlichsten Pflanzen und Tiere einer Erde ersetzen konnten, die sie vor langer, langer Zeit verloren hatte.

Im Stadtrat und nicht in einem Traum

Rasa hatte ihr Leben voller Zuversicht verbracht. Sie wußte, es gab nichts, womit sie nicht mit einer Mischung aus Gewitztheit, Freundlichkeit und Entschlossenheit fertig werden konnte. Man konnte die Menschen stets überzeugen, und wenn nicht, dann konnte man sie ignorieren, und mit der Zeit würden sie verschwinden. Dieser Philosophie verdankte sie es, daß ihr Haushalt eine der angesehensten Schulen Basilikas war, obwohl es sie noch gar nicht so lange gab; sie hatte ihr auch zu persönlichem Einfluß bei allen Belangen des Stadtlebens verhelfen, obwohl sie niemals ein Amt innegehabt hatte. Bei wichtigen Entscheidungen wurde sie vom Stadtrat konsultiert; sie war in den Verwaltungsräten vieler Kunstausschüsse tätig; und vor allem baten die Frauen — und sogar die Männer —, die die wichtigsten Entscheidungen bezüglich der Politik und des Handels der Stadt trafen, sie privat um ihren Rat. Sie wurde von vielen Männern umworben, blieb jedoch glücklich mit jenem Mann verheiratet, von dem sie wußte, daß er von ihrer Macht weder bedroht wurde noch sie begehrte. Sie hatte eine perfekte Rolle für sich in der Stadt geschaffen und lebte sie auch gern aus.

Ihr war jedoch nie in den Sinn gekommen, wie zerbrechlich das alles war. Der Stoff ihres Lebens war auf dem Webstuhl Basilikas geflochten worden, und nun, da die Stadt auseinanderbrach, zerriß und zerfaserte auch ihr Leben.

Ihr ehemaliger Gatte, Gaballufix, hatte den Prozeß in Gang gesetzt, als sie noch miteinander verheiratet waren und er versucht hatte, sie dazu zu bringen, die Gesetze ändern zu lassen, die besagten, daß kein Mann Eigentum in der Stadt besitzen durfte. Als sie begriffen hatte, weshalb er sie geheiratet hatte, hatte sie den Vertrag verfallen lassen und erneut Wetschik geheiratet — diesmal für immer, soweit es sie betraf. Aber Gaballufix hatte nicht aufgegeben, hatte in den Dörfern vor der Stadtmauer eine Anhängerschaft um sich geschart, die sich aus der niedrigsten Sorte von Männern zusammensetzte. Dann hatte er sie als Tolschocks in die Stadt gebracht, die die Frauen in Angst und Schrecken versetzten, und dann als Söldner in diesen schrecklichen Masken, die die Stadt angeblich vor den Tolschocks schützen sollten — doch soweit sie es sagen konnte, waren eben jene Tolschocks auch die Söldner, nur in schmucken Hologrammuniformen .

Doch vielleicht hätte man Gaballufix noch unter Kontrolle halten können, wenn die Überseele sich plötzlich nicht so seltsam benommen hätte. Sie sprach tatsächlich zu einem Mann — und nicht einfach zu einem beliebigen, sondern zum Wetschik selbst. Die Probleme, die dies für Rasa schuf, waren unberechenbar. Nicht nur, daß ihr ehemaliger Gatte die uralten Gesetze der Stadt der Frauen herausforderte, nein, nun sagte ihr derzeitiger Gatte auch noch jedem, der ihm zuhörte, daß Basilika zerstört werden würde. Ihre liebe Freundin Dhel hatte damals — erst vor ein paar Wochen — zu Rasa gesagt, die Leute wären überrascht, daß Rasa nicht auch mit Roptat verheiratet gewesen sei, dem Führer der Pro-Gorajni-Partei. »Vielleicht solltest du dein Bett nach irgendeinem Parasiten absuchen, der Wahnsinn hervorruft, meine Liebe«, sagte Dhel. Sie hatte natürlich nur einen Scherz gemacht, doch dieser Scherz war schmerzhaft.

War schmerzhaft, aber nichts im Vergleich zu dem, was in den letzten paar Tagen geschehen war. Alles fiel auseinander. Gaballufix hatte Wetschiks Vermögen gestohlen und versucht, seine Söhne zu töten — einschließlich der beiden, die auch Rasas Söhne waren. Dann hatte die Überseele Luet befohlen, Nafai — ausgerechnet Nafai, noch ein Kind — zum verbotenen See zu führen, wo er auf dem Wasser schwebte wie eine Frau — wie eine Wasserseherin. In derselben Nacht hatte Nafai, zweifellos noch naß vom See des Friedens, Gab getötet. In gewisser Hinsicht war dies ausgleichende Gerechtigkeit, da Gaballufix versucht hatte, ihn zu töten. Doch Rasa konnte sich nichts Schrecklicheres vorstellen als die Tatsache, daß ihr eigener Sohn ihren ehemaligen Gatten getötet hatte.

Doch das war nur der Anfang gewesen. Denn in derselben Nacht hatte sie herausgefunden,- wie gräßlich ihre beiden Töchter waren. Sevja hatte mit Kokors Gatten geschlafen — und Kokor hatte sie dann fast umgebracht. Die Zivilisation erstreckt sich nicht einmal in mein eigenes Haus. Mein Sohn ist ein Mörder, eine Tochter eine Ehebrecherin und die andere im Herzen eine Mörderin. Nur Issib war noch zivilisiert. Der Krüppel Issib, dachte sie verbittert. Vielleicht besteht daraus die Zivilisation — aus Krüppeln, die sich zusammengetan haben, um die Starken zu beherrschen. Hatte Gaballufix nicht einmal so etwas gesagt? »In einer Zeit des Friedens, Rasa, könnt ihr Frauen es euch leisten, euch mit Eunuchen zu umgeben. Doch wenn der Feind vor den Toren steht, werden die Eunuchen euch nicht retten. Dann werdet ihr euch echte Männer wünschen, gefährliche, mächtige Männer — doch wo sind sie dann, da ihr sie alle vertrieben habt?«

Raschgallivak — er war einer der törichten Schwächlinge, nicht wahr? Einer der >Eunuchen<, in jenem Sinne, den Gaballufix meinte. Er hatte nicht die Kraft, die Tiere zu beherrschen, die Gaballufix an der Leine gehalten hatte. Und dann hatte Huschidh diese Leine durchtrennt, und die Stadt war in Flammen aufgegangen. In meinem eigenen Haus ist es geschehen! Warum war ich erneut der Brennpunkt?

Die letzte Beleidigung war die Ankunft General Muuzh’ gewesen, denn Rasa wußte nun, daß er es war — es konnte kein anderer sein. So dreist — er war mit nur tausend Mann zu der Stadt marschiert und eingetroffen, als man keinem Feind Widerstand leisten konnte und jeder vorzugeben bereit war, man würde einen Freund einladen. Rasa ließ sich von seinen Versprechungen nicht täuschen. Sie ließ sich nicht von der Tatsache hinters Licht führen, daß er seine Soldaten von den Straßen abgezogen hatte. Sie hielten doch noch immer die Mauern und Tore, nicht wahr?

Und sogar Muuzh war mit ihr verbunden, genau, wie es bei Wetschik und Gaballufix und Nafai und Raschgallivak der Fall gewesen war. Denn er war mit ihrem Brief gekommen, und nur, indem er ihren Namen benutzte, hatte er überhaupt Zutritt zur Stadt bekommen.

Es hatte nicht mehr schlimmer werden können. Und dann waren heute morgen Nafai und Elemak in ihr Haus gekommen — vom Wald aus, was bedeutete, daß sie beide durch ein Gelände gekrochen waren, das für Männer verboten war. Und warum waren sie gekommen? Um sie darüber zu informieren, daß die Überseele von ihr verlangte, die Stadt zu verlassen und zu ihrem Gatten in die Wüste zu kommen und dabei alle Frauen mitzubringen, die sie für geeignet hielt.