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»Geeignet wofür?« hatte Rasa gefragt.

»Geeignet für Ehen«, sagte Elemak, »und dafür, in einem neuen Land, fern von hier, Kinder zu gebären.«

»Ich soll Basilika verlassen, ein paar arme, unschuldige Frauen mitnehmen und wie eine Pavianherde in der Wüste leben?«

»Nicht wie Paviane«, hatte Nafai hilfreich gesagt. »Wir tragen noch immer Kleidung, und wir bellen nicht.«

»Ich werde es nicht in Betracht ziehen«, sagte Rasa.

»Doch, das wirst du, Mutter«, sagte Nafai.

»Drohst du mir etwa?« fragte Rasa — denn sie hatte in letzter Zeit diese oder ähnliche Worte von zu vielen Männern gehört.

»Keineswegs«, sagte Nafai. »Ich sage nur etwas voraus. Ich wette, daß du es im Verlauf der nächsten halben Stunde in Betracht ziehen wirst, denn die Überseele verlangt es von dir.«

Und er behielt recht. Keine zehn Minuten. Sie bekam den Gedanken einfach nicht mehr aus dem Sinn.

Wie konnte er es gewußt haben? Weil er begriffen hatte, wie die Überseele arbeitete. Er wußte nur nicht, daß die Überseele sie bereits bearbeitete. Als Wetschik in die Wüste aufgebrochen war, hatte er sie gebeten, ihn zu begleiten. Damals war von anderen Frauen nicht die Rede gewesen, doch als sie zur Überseele betete, bekam sie eine so deutliche Antwort, als hätte eine Stimme ihr direkt ins Herz gesprochen. Nimm deine Töchter mit, sagte die Überseele. Nimm deine Nichten mit, alle, die dich begleiten wollen. In die Wüste, damit ihr zu den Müttern meines Volkes werdet.

In die Wüste! Zu den Tieren! Ihr ganzes Leben lang hatte Rasa versucht, die Gebote der Überseele zu befolgen. Doch nun verlangte sie zu viel. Wer war Rasa, außerhalb von Basilika, außerhalb ihres Hauses? Dort war sie niemand. Nur Wetschiks Frau. Dort würden die Männer herrschen – wilde, barbarische Männer, wie Wetschiks Sohn Elemak. Dieser Elemak war ein furchterregender Junge; sie konnte nicht glauben, daß Wetschik nicht begriff, wie gefährlich er war. Was ihre Ernährung betraf, so würden sie vom Jäger Elemak abhängig sein. Und welchen Einfluß konnte sie dort haben? Welche Ratsversammlung würde auf sie hören? Die Männer würden die Ratsversammlungen abhalten, und die Frauen würden kochen und waschen und sich um die Babies kümmern. Es würde wie in den primitiven Zeiten sein, den Zeiten der Tiere. Sie konnte die Stadt der Frauen nicht verlassen, denn wenn sie es tat, würde sie nicht mehr die Herrin Rasa sein und zu einem Tier werden.

Mich gibt es nur in dieser Stadt. Ich bin nur an diesem Ort ein Mensch.

Und doch wußte sie, als sie die Ratskammer betrat, daß >dieser Ort< nicht mehr die Stadt der Frauen war. Als sie die verängstigten, ernsten, wütenden Gesichter der Ratsfrauen betrachtete, wußte sie, daß Basilika nie wieder so werden würde, wie die Stadt einmal gewesen war. Ein neues Basilika mochte sich an dieser Stelle erheben, doch nie wieder würde eine Frau wie Rasa imstande sein, ihre Töchter und Nichten in völligem Frieden und Sicherheit zu erziehen. Von jetzt an würden die Männer ständig versuchen, etwas zu besitzen, zu beherrschen, sich einzumischen. Bestenfalls konnte sie auf einen Mann wie Wetschik hoffen, dessen Freundlichkeit seine Machtinstinkte mäßigen würde. Aber gab es auf dieser Welt noch einen zweiten Wetschik? Und selbst seine wohlwollende Einmischung wäre zuviel. Alles würde verdorben werden. Alles würde vergiftet und beschmutzt werden.

Überseele! Du hast deine Töchter verraten!

Doch sie sprach ihre Blasphemie nicht laut aus. Statt dessen nahm sie ihren Platz an einem der Tische in der Mitte der Kammer ein, an denen während der Versammlungen die Schreiberinnen und die Beraterinnen ohne Stimmrecht saßen. Sie fühlte ihre Blicke auf sich. Sie wußte, daß viele ihr die Schuld für alles gaben — und sie konnte ihnen schlecht widersprechen. Ihre Gatten, ihr Sohn, ihre Töchter; ihr Haus, in dem Raschgallivak die Kontrolle über seine Soldaten verloren hatte; und vor allem ihr Brief in den Händen des Gorajni-Generals, als er die Stadt betreten hatte.

Die Versammlung begann, und zum erstenmal, solange Rasa zurückdenken konnte, hetzte man durch die Eröffnungsrituale, und einige wurden sogar ganz ausgelassen. Niemand beschwerte sich. Denn sie alle wußten, daß die Frist, die sie den Gorajni zum Verlassen der Stadt gesetzt hatten, nun eine Frist war, die ihnen selbst drohte — denn mittlerweile war ihnen allen klar, daß die Gorajni nicht daran dachten, die Stadt zu verlassen.

Bald tobte die Redeschlacht. Niemand stellte die Tatsache in Frage, daß die Gorajni nun die Herren der Stadt waren. Die Debatte galt der Frage, ob man dem General — einige nannten ihn Muuzh, doch nur spöttisch, denn er weigerte sich, auf den Namen Vozmuzhalnoi Vozmozhno zu reagieren — trotzen oder seiner Besetzung einen legalen Anstrich geben sollte. Sie haßten die Vorstellung, ihm nachzugeben, doch wenn sie es taten, bestand die Hoffnung, daß er ihnen die Selbstverwaltung beließ, solange er Basilika als Militärbasis für seine Operationen gegen die Städte der Ebene und Potokgavan benutzen konnte. Doch wenn sie seine Besetzung für rechtmäßig erklärten, wie er es verlangt hatte, gaben sie ihm damit auf lange Sicht die Macht, sie zu vernichten.

Doch welche Alternative hatten sie? Er hatte keine Drohungen ausgesprochen. Er hatte ihnen lediglich einen sehr respektvollen Brief geschickt: »Da es meinen Truppen noch nicht gelungen ist, die Gefahr von Basilika abzuwenden, zögern wir, unsere lieben Freunde einem solchen Chaos zu überlassen, wie wir es bei unserer Ankunft vorgefunden haben. Wenn ihr uns daher zum Bleiben einladet, bis die Ordnung wiederhergestellt ist, sind wir bereit, auf unbestimmte Zukunft eure gehorsamen Diener zu werden.« Auf den ersten Blick stellte der Brief die Gorajni als lammfromm dar.

Doch sie wußten mittlerweile, daß bei den Gorajni nichts so war, wie es den Anschein hatte. Oh, sie beugten sich jedem Befehl oder Ersuchen des Stadtrats und versprachen zu gehorchen. Doch nur die Befehle, die ihren Zwecken dienten, wurden tatsächlich ausgeführt. Und die Stadtwache war auch unzuverlässig geworden, denn ihre Offiziere beteten den Gorajni-General mittlerweile praktisch an und folgten nun seinem Beispiel, Gehorsam zu schwören und dann zu tun, wie es ihnen beliebte. Oh, der General war ein so kluger Mann! Er provozierte niemanden, er stritt mit niemandem, er stimmte allem zu, was gesagt wurde … und doch war er unnachgiebig, tat, was er wollte, während er ihnen niemals eine Angriffsfläche bot. Jede Frau in dieser Ratskammer mußte genauso deutlich wie Rasa spüren, daß ihnen die Macht entglitt und die Stadt nun vom Willen dieses einen Mannes abhängig war, obwohl er kein einziges offenes Wort gesagt und auch nichts offen unternommen hatte.

Wie macht er es nur? fragte sich Rasa. Wie beherrscht er die Menschen, ohne zu poltern oder sie einzuschüchtern? Vielleicht macht die Tatsache, daß er so eindringlich an seine Vision der Welt glaubt, es denen in seiner Nähe unmöglich, nicht ebenfalls daran zu glauben. Vielleicht sind wir alle so versessen darauf, daß uns jemand sagt, was die Wahrheit ist, auf die wir uns verlassen können, daß wir sogar eine Vision akzeptieren werden, die uns schwach und ihn stark macht, nur um überhaupt eine sichere Welt zu haben.

»Die Frist läuft in wenigen Minuten ab«, sagte die alte Kobe. »Und bei all unseren Gesprächen heute morgen haben wir noch nichts von der Herrin Rasa gehört.«

Ein zustimmendes Murmeln hob sich, doch es ging augenblicklich in einem wütenden Grollen unter. »Wir sollten erst bei ihrem Prozeß wieder etwas von ihr hören!« rief eine Frau. »Sie hat das alles über uns gebracht!«

Rasa drehte sich gelassen um und betrachtete die Frau, die gesprochen hatte. Natürlich, es war Frotera, die Herrin einer anderen Schule, die schon seit langem eifersüchtig auf Rasa war. »Meine Herrin Frotera«, sagte Rasa, »ich fürchte, du könntest recht haben.«

Das brachte sie zum Schweigen.

»Glaubt ihr, ich hätte keine Augen im Kopf und nicht gesehen, was ihr alle gesehen habt? Welches der großen Unglücke, die über uns hereingebrochen sind, stand nicht mit mir im Zusammenhang? Mein Sohn wird des Mordes beschuldigt, meine Töchter haben einander betrogen, Raschgallivak hat versucht, sie aus meinem Haus zu schleppen, meine geliebte Stadt wurde von Unruhen und Bränden heimgesucht, und das Heer, das die Tore Basilikas beherrscht, zeigt euch einen Brief, den ich geschrieben habe. Und ich habe ihn geschrieben, wenngleich ich mir niemals hätte träumen lassen, daß er solch eine Verwendung finden würde, wie er sie nun gefunden hat. Schwestern, all das stimmt, doch bedeutet es auch, daß ich dies über uns gebracht habe? Oder bedeutet es, daß es mich schwerer belastet als alle anderen, abgesehen diejenigen, die bei den Unruhen geliebte Menschen verloren haben?«