Sie hielt ihm die Traube hin, direkt vor die Lippen. Er beugte sich tiefer, als es nötig war, und sog ihre Finger mit der Traube in den Mund. Sie beließ die Finger in seinem Mund, während er die Traube mit der Zunge löste. Sie war herb und süß und köstlich. Er setzte sich auf das Bett, und sie gab ihm eine zweite und eine dritte. Doch der Rest der Trauben landete auf dem Boden.
Muuzh hatte der Begegnung mit der Herrin Rasa voller Erwartung entgegengesehen, und sie enttäuschte ihn nicht. Er hatte sich in Gaballufix’ Haus niedergelassen und wußte, daß sie den Sinn dieses Schrittes begreifen würde. Nach allem, was er über sie gehört hatte, handelte es sich bei der Herrin Rasa keineswegs um eine vollständige Närrin. Nun blieb nur noch zu sehen, wie er mit ihr umzugehen hatte. Vielleicht konnte er sie zu seiner Verbündeten machen. Vielleicht ließ sie sich täuschen. Vielleicht wurde sie aber auch zu einer unversöhnlichen Feindin. Ganz gleich, wie das Gespräch sich entwickeln würde, er würde seinen Vorteil daraus ziehen.
Sie umgab sich nicht mit einer besonderen Erhabenheit; sie unternahm keinen Versuch, ihn zu betören oder einzuschüchtern. Aber genau so mußte eine Frau sich verhalten, wollte sie ihn wirklich beeindrucken. In Gollod hatten die besten Hofdamen ihn zu verführen versucht, doch es war offensichtlich, daß Rasa nicht das geringste Interesse daran hatte. Statt dessen sprach sie wie eine Gleichberechtigte mit ihm, und das gefiel ihm. Sie gefiel ihm. Es würde ein hervorragendes Spiel werden.
»Natürlich möchte ich die Einladung des Stadtrats annehmen«, sagte er. »Wir helfen dieser wunderschönen Stadt nur allzu gern, die Ordnung und Sicherheit aufrechtzuhalten, während sie sich von den unglücklichen Ereignissen der letzten Wochen erholt. Aber ich habe ein Problem, bei dem du mir vielleicht helfen kannst.«
Er konnte ihrem Gesichtsausdruck entnehmen, daß sie mit mehr Forderungen gerechnet hatte — und er wußte, daß sie keine Illusionen darüber hatte, daß er sich in einer Position befand, in der er Forderungen erheben und auch durchsetzen konnte.
»Verstehst du«, sagte er, »üblicherweise belohnt ein Gorajni-General seine Männer nach einem großen Sieg, indem er das eroberte Gebiet aufteilt und ihnen Land und Frauen gibt.«
»Aber du hast Basilika nicht erobert«, sagte Rasa scharf.
»Genau!« sagte er. »Du verstehst also mein Dilemma. Meine Männer haben mir auf diesem Feldzug mit außergewöhnlicher Heldenhaftigkeit und Disziplin gedient und einen vollständigen Sieg über die Raufbolde und Plünderer errungen. Und doch mangelt es mir an der Möglichkeit, sie zu belohnen!«
»Unsere Schatzkammer ist tief«, sagte Rasa. »Der Stadtrat kann jeden deiner tausend Leute zu einem reichen Mann machen.«
»Geld?« fragte Muuzh. »Oh, du verletzt mich zutiefst. Mich und meine Männer. Wir sind keine Söldner!«
»Ihr akzeptiert Land, aber nicht das Geld, mit dem ihr Land kaufen könnt?«
»Land ist eine Sache des Anspruchs und der Ehre. Ein Mann mit Land ist ein Herr. Aber Geld — dann könnte ich meine Soldaten ja gleich Händler nennen.«
Sie musterte ihn einen Augenblick lang. »General Vozmuzhalnoi Vozmozhno«, sagte sie dann, »weiß der Imperator, daß du diese Männer deine Soldaten nennst? Deine Männer?«
Muuzh verspürte einen plötzlichen Anflug von Furcht. In der Tat, eine köstliche Situation — es war schon lange her, seit er jemandem gegenüber gesessen hatte, der es verstanden hatte, ihm die Initiative zu nehmen. Und sie hatte augenblicklich seine schwächste Stelle gefunden. Denn er hatte nicht nur den Befehlen des Imperators getrotzt, keine Offensivmanöver anzuordnen, sondern auch noch die Leichen des öffentlichen und des privaten Spitzels des Imperators zurückgelassen, um hierher zu kommen. Im Augenblick drohte ihm die größte Gefahr vom Imperator, der mittlerweile bestimmt von seinem Wagnis gehört hatte. Muuzh kannte den Imperator gut genug, um zu wissen, daß er nicht überstürzt handeln würde — genau das war die größte Schwäche des Imperators, er scheute vor Risiken zurück —, doch bestimmt war schon ein neuer Fürsprecher auf dem Weg nach Süden, und diesmal nicht ohne Tempeltruppen als Rückendeckung. Entweder würde Muuzh eine gute Miene zum bösen Spiel aufsetzen und das Vertrauen des Imperators zurückgewinnen können, oder er würde offen zur Rebellion aufrufen müssen, und das mit nur tausend Mann und einhundert Kilometer tief in feindlichem Gebiet. Es war nicht der beste Augenblick für ihn, einem Widersacher die Stirn zu bieten, der seine Schwächen genau kannte.
»Wenn ich >meine Truppen< sage«, erwiderte Muuzh, »setze ich dabei natürlich voraus, daß es nur so lange die meinigen sind, wie der Imperator mir gestattet, ihm zu dienen.«
»Wie ich feststelle, streitest du nicht ab, Vozmuzhalnoi Vozmozhno zu sein.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich erkenne, daß du viel zu klug für mich bist. Warum sollte ich versuchen, meine Identität vor dir zu verbergen?«
Sie runzelte die Stirn. Seine Schmeichelei und sein offenes Eingeständnis hatten sie etwas aus der Fassung gebracht. Nun würde sie sich zweifellos fragen, warum er so bereitwillig seinen wahren Namen eingestand und warum er sie klug nannte. Sie würde davon ausgehen, keineswegs klug gewesen zu sein, gerade, weil er sie klug genannt hatte. So würde sie nicht mehr darauf vertrauen, an ihn herankommen zu können, indem sie Differenzen zwischen ihm und dem Imperator ausnutzte. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, daß man einen wirklich klugen Widersacher am besten entwaffnen konnte, indem man ihn dazu brachte, seine wirkliche Stärke in Zweifel zu ziehen, und das schien auch bei Rasa einigermaßen zu funktionieren.
»Klugheit hat nichts damit zu tun«, sagte sie. »Auf die Wahrheit kommt es an. Und ich glaube nicht, daß in deinen Worten auch nur ein Körnchen Wahrheit gelegen hat. Du belohnst deine Soldaten normalerweise nicht mit Land, oder du hättest keine Soldaten mehr. Deine Offiziere vielleicht. Aber dieses Gespräch über Land ist nur dein erster Eröffnungszug bei dem Versuch, das Landgesetz der Stadt der Frauen zu zerstören. Laß mich raten, wie das Spielchen weiter gehen solclass="underline" Ich kehre mit deiner bescheidenen Bitte zum Rat zurück, und der schickt mich mit dem Angebot zurück, deine Männer könnten sich außerhalb der Stadt niederlassen. Du lobst unsere Großzügigkeit, doch dann weist du darauf hin, daß deine Männer sich niemals als Bürger zweiter Klasse eines Landes zufriedengeben könnten, das sie vor der Zerstörung gerettet haben. Wie sollst du Gorajni-Soldaten erklären, daß sie niemals Land innerhalb der Stadt besitzen können? Dann schlägst du einen Kompromiß vor — der sowohl ihnen als auch uns die Möglichkeit gibt, das Gesicht zu wahren. Dein Kompromiß besteht darin, daß Gorajni-Soldaten, die basilikanische Frauen heiraten, die Erlaubnis bekommen sollten, Miteigentümer ihres Landes innerhalb der Stadt zu werden. Die Frauen würden natürlich die vollständige Kontrolle über das Land behalten, doch deine Soldaten könnten auf diese Weise ihre Selbstachtung bewahren.«
»Du hast das Geschenk der Voraussicht«, sagte Muuzh.
»Keineswegs — ich improvisiere nur«, entgegnete sie. »Das Miteigentum an Grundbesitz würde innerhalb von ein paar Wochen zu einer Reihe opportuner Ehen führen, und dann würden die Männer Druck ausüben, um ein Stimmrecht zu bekommen — besonders, da du bewiesen haben wirst, daß deine Leute bescheidene und gehorsame Gatten sind, die keinen Versuch unternehmen, den Grundbesitz zu kontrollieren, an dem sie ein Miteigentum haben. Wie viele Schritte sind es von da an noch bis zu dem Tag, da die Frauen kein Stimmrecht mehr haben und aller Grund in Basilika den Männern gehört?«
»Meine liebe Herrin, du schätzt mich falsch ein.«