Außer …
Außer, Rasa und Volemak haben gelernt, genau wie ich, sich Gott zu widersetzen. Warum sollte ich der einzige sein, der die Kraft hat, Gottes Bemühungen zu ignorieren, die Menschen dumm zu machen, wenn sie versucht sind, die Straße zu betreten, die zur Macht führt?
Andererseits jedoch konnte Raschgallivak ein Werkzeug Gottes sein, das ihn in die Irre führen sollte. Es war schon viele Tage lang her, daß Gott versucht hatte, ihn von irgendwelchen Unternehmungen abzuhalten. War es möglich, daß Gott nun versuchte, Muuzh zu kontrollieren, indem er ihn auf törichte, eingebildete Verschwörungen ansetzte, nachdem es ihm nicht gelungen war, ihn direkt zu beherrschen? Viele Generale waren von solchen Phantasievorstellungen wie der vernichtet worden, die Raschgallivak ihm gerade unterbreitet hatte.
»Könnten die Trockenbehälter nicht für etwas anderes bestimmt sein?« fragte Muuzh versuchshalber.
»Natürlich«, sagte Raschgallivak. »Ich habe nur auf die gefährlichsten Möglichkeiten hingewiesen. Trockenbehälter sind auch ideal dafür, Vorräte durch die Wüste zu transportieren. Volemak und seine Söhne — insbesonders Elemak, sein ältester Junge — sind mit der Wüste vertrauter als die meisten anderen. Sie fürchten sie nicht. Vielleicht wollen sie ein Heer aufbauen. Du hast doch nur tausend Mann hier.«
»Das restliche Heer der Gorajni wird bald hier sein.«
»Vielleicht braucht Volemak deshalb nur zwölf Trockenbehälter — er muß sein kleines Heer nur für eine kurze Zeit unterhalten.«
»Heer«, sagte Muuzh verächtlich. »Zwölf Trockenbehälter. Man hat dich mit einer Zahlungsanweisung für Juwelen von sehr hohem Wert aufgegriffen. Woher weiß ich, daß man dich nicht bestochen hat, mir törichte Lügen zu erzählen und meine Zeit zu verschwenden?«
»Man hat mich nicht aufgegriffen, Herr. Ich habe mich deinen Soldaten freiwillig gestellt. Und ich habe die Zahlungsanweisung statt der Juwelen mitgebracht, damit du sehen kannst, daß Schedemei sie eigenhändig ausgestellt hat. Dieser Betrag ist viel höher, als es dem Wert der Trockenbehälter angemessen wäre. Sie versucht eindeutig, mein Schweigen zu kaufen.«
»Soweit ist es also mit dir gekommen, Raschgallivak. Vor ein paar Tagen hast du dich noch für den Herren der Stadt gehalten. Und jetzt verrätst du deinen ehemaligen Herren erneut, um dich bei einem neuen beliebt zu machen. Erkläre mir, warum ich mich bei deinem Anblick nicht übergeben sollte.«
»Weil ich dir nützlich sein kann.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen, wie ein bösartiger, aber hungriger Hund. Raschgallivak, welchen Knochen soll ich dir vorwerfen?«
»Mein Leben, Herr?«
»Dein Leben wird nie wieder dir gehören, solange du lebst. Also frage ich dich erneut, an welchem Knochen du nagen willst.«
Raschgallivak zögerte.
»Wenn du vorgibst, mir oder dem Imperator oder der Stadt aus irgendwelchen selbstlosen Motiven dienen zu wollen, werde ich dich ausweiden und noch in dieser Stunde auf dem Marktplatz verbrennen lassen.«
»Verräter werden hier nicht verbrannt. Dann würden die Bürgerinnen Basilikas dich für ein Ungeheuer halten.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Muuzh. »Wenn ich dir diese Behandlung angedeihen ließe, würden sie sich freuen. Niemand ist so zivilisiert, daß er keinen Geschmack an dieser Rache finden würde, auch wenn er sich später schämen würde, daß er das Leiden seines Feindes so genossen hat.«
»Hör auf, mir zu drohen, General«, sagte Raschgallivak. »Ich habe ein Leben in Schrecken geführt und es gerade erst aufgegeben. Töte mich oder auch nicht, lasse mich foltern oder auch nicht, es interessiert mich nicht: Nur entscheide dich, was du tun möchtest.«
»Sag mir zuerst, was du willst. Dein geheimes Begehren. Dein Traum. Den besten Ausgang, den diese Ereignisse für dich nehmen konnten.«
Erneut zögerte er. Doch diesmal fand er die Kraft, seiner Begierde Ausdruck zu verleihen. »Herrin Rasa«, flüsterte er.
Muuzh nickte leicht. »Also ist der Ehrgeiz in dir doch noch nicht gestorben«, sagte er. »Du träumst noch immer davon, unendlich weit über deiner eigentlichen Stellung zu leben.«
»Ich habe es dir gesagt, weil du darauf bestanden hast, Herr. Ich weiß, daß es niemals Wirklichkeit werden kann.«
»Raus hier«, sagte Muuzh. »Meine Männer werden dafür sorgen, daß du baden kannst. Und dir neue Kleidung geben. Du wirst noch mindestens eine weitere Nacht lang leben.«
»Danke, Herr.«
Die Soldaten kamen herein und führten Raschgallivak ab — aber diesmal, ohne ihm zuzusetzen, ohne Brutalität. Nicht, daß Muuzh den Entschluß gefaßt hätte, Raschgallivak zu benutzen. Seine Tod war noch immer eine attraktive Möglichkeit — Muuzh konnte sich am eindrucksvollsten zum Herren von Basilika ausrufen, wenn er die Gerechtigkeit so öffentlich vollzog, und damit auch so deutlich gegen alle Gesetze und Gebräuche Basilikas und gegen jeden Anstand verstieß. Dem Volk würde es gefallen, und weil es ihm gefiel, würde es aufhören, das alte Basilika zu bilden. Es würde zu etwas Neuem werden. Zu einer neuen Stadt.
Meiner Stadt.
Raschgallivak mit Rasa verheiratet. Das war ein häßlicher Gedanke, den ein abscheulicher, kleiner Geist ersonnen hatte. Und doch konnte man Rasa damit erniedrigen, und viele Bürgerinnen Basilikas würden sie dann endgültig für eine Verräterin halten. Und doch wäre sie noch immer eine der führenden Bürgerinnen Basilikas und von einer Aura der Legitimität umgeben. Schließlich stand sie auf Bitankes Liste. Wie auch Raschgallivak.
Es war eine gute Liste gewesen. Gut durchdacht und ziemlich gewagt. Bitanke war ein kluger Mann und sehr nützlich. Zum Beispiel war er immerhin so klug, Muuzh’ Überzeugungskraft nicht zu unterschätzen. Er hatte niemanden nicht auf die Liste gesetzt, nur weil er sich vorstellte, der oder die Betreffende wäre nicht bereit, Muuzh zu dienen, indem er Basilika für ihn beherrschte.
Also überraschte es ihn nicht, daß die Namen, die Raschgallivak als die möglicher Rivalen genannt hatte, ganz oben auf der Liste standen: Volemak und Rasa. Auch Raschgallivaks Name war auf der Liste. Und der von Volemaks Sohn und Erbe, Elemak, sowohl wegen seiner Befähigung als auch wegen seiner Herkunft. Und auch Volemaks und Rasas jüngster Sohn, Nafai — weil er diese beiden großen Namen verband und weil er Gaballufix mit eigenen Händen getötet hatte.
War jeder, der Muuzh’ Zwecken dienen könnte, irgendwie mit Rasas Haus verbunden? Auch das überraschte ihn nicht — in den meisten Städten, die er erobert hatte, gab es höchstens zwei oder drei Klans, die eliminiert oder zur Zusammenarbeit gezwungen werden mußten, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Fast alle anderen auf Bitankes Liste waren viel zu schwach, um die Stadt ohne ständige Hilfe von Muuzh zu beherrschen, wie Bitanke selbst klargestellt hatte: Sie waren zu eng mit bestimmten Fraktionen verbunden oder zu isoliert, um überhaupt Unterstützung zu bekommen.
Die beiden einzigen, die nicht verwandtschaftlich mit Volemak oder Rasa verbunden waren, waren Nichten in Rasas Haus: die Wasserseherin Luet und die Entwirrerin Huschidh. Sie waren natürlich noch Kinder und kaum imstande, ein schwieriges Regierungsamt zu übernehmen. Doch sie hatten bei den Frauen Basilikas ein gewaltiges Ansehen, besonders die Wasserseherin. Sie wären nur Galionsfiguren, doch wenn in Wirklichkeit Raschgallivak die Dinge handhabte und Bitanke Raschgallivak im Auge behielt und die Galionsfiguren davor schützte, gegen Muuzh’ Interessen manipuliert zu werden, würde in der Stadt Ruhe und Ordnung herrschen, während Muuzh seine Aufmerksamkeit den wirklichen Problemen zuwenden konnte — den Städten der Ebene und dem Imperator.