General Vozmuzhalnoi Vozmozhno, begriff sie. Muuzh. Auch er wurde hierher geführt! Auch er ist einer, den die Überseele braucht!
Doch dann sah sie, daß Muuzh aufstand und sein Metallschwert zog. War er wie Gaballufix? Würde er in einem Blutrausch um sich schlagen?
Nein. Er drehte sich um, sah die goldenen und silbernen Fäden, die ihn mit der Überseele verbanden, und hackte mit der Klinge auf sie ein. Er trennte sie durch und floh dann vor ihnen. Doch nach einem Augenblick waren die Fäden wieder nachgewachsen, und erneut trennte er sie durch und lief wieder vor ihnen davon. Immer wieder geschah dies, und Huschidh wußte, daß er seine Verbindung mit der Über seele haßte.
Und doch war er hier. Wie auch immer sie es geschafft hatte, die Überseele hatte ihn hergeführt. Und dann begriff sie: Da die Überseele wußte, wie sehr er sie haßte, wie sehr er sich gegen sie auflehnte, hatte sie ihn einfach dazu gedrängt, nicht zu tun, was sie in Wirklichkeit von ihm verlangte. So leicht hatte er sich täuschen lassen! So leicht hatte er sich führen lassen. Und Huschidh lachte in ihrem Schlaf.
Lachte und begann zu erwachen; sie spürte, wie der Schlaf von ihr abfiel, und konnte nun ihren Körper fühlen, den richtigen, der in einen Teppich eingehüllt war und schwitzte, obwohl die Luft um ihn herum kühl war.
Als in diesem Augenblick das Wachsein den Traum vertrieb, kam der plötzliche Blitz einer Vision, die sich von allen anderen, die sie je gehabt hatte, zu unterscheiden schien. Sie sah das Bild aus ihrem vorherigen Traum, in dem sie auf der Spitze eines Felsens gestanden hatte und Issib neben ihr in der Luft trieb, und er taumelte und fiel, und sie stürzte ebenfalls; doch noch während ihres Falls durchzuckte es sie wie ein Blitz, und dann sah sie etwas Neues: Geschöpfe mit Schwingen, fellbesetzt wie Tiere und doch imstande, sich in die Lüfte zu erheben und zu fliegen. Sie glitten hinab und hielten die beiden Stürzenden an den Armen und Beinen fest, während sie sie dann mit mächtigen Flügelschlägen davor bewahrten, auf die Felsen unter ihnen zu prallen, und sie statt dessen wieder in den Himmel trugen.
Er machte ihr angst, dieser plötzliche, unerwartete Traum, denn Huschidh wußte, daß sie gar nicht schlief, und eigentlich hätte überhaupt kein Traum kommen dürfen, besonders keiner, der so klar und erschreckend war wie dieser. Hatte die Überseele ihr nicht schon alles gezeigt, worum sie gebeten hatte? Warum führte sie sie nun zu diesem alten Bild zurück?
Und erneut durchzuckte es sie, und sie sah einen früheren Augenblick des Traums dieser Nacht: Sie stand mit Issib auf der Schwelle des Zelts, der das Baby auf dem Schoß hielt, während die Kinder sich um seinen fliegenden Stuhl versammelt hatten. Huschidh hatte diese Szene gerade erst erkannt, als sie sich schon wieder veränderte; nun waren sie nicht mehr in der Wüste, sondern in einem üppigen Wald, auf der Schwelle eines Holzhauses auf einer Lichtung, und plötzlich kamen Riesenratten aus Löchern im Boden und fielen von den Ästen von Bäumen und griffen sie an, und Huschidh wußte, daß sie ihre Kinder stehlen, sie davontragen und fressen wollten, und sie schrie vor Entsetzen auf. Doch bevor das Geräusch noch über ihre Lippen kam, waren diese Flugwesen wieder da, schössen aus dem Himmel hinab, um ihre Kinder aus den Mäulern und Händen der großen, raubgierigen Ratten zu reißen. Als Huschidh sah, was geschah, riß sie ihr Baby aus Issibs Schoß und hielt es hoch über ihren Kopf, und eins der Flugwesen kam hinab, nahm es ihr aus den Händen und flog davon. Und sie stand da und weinte, denn sie wußte nicht, ob sie ihr Kind nicht einfach einem Raubtier entrissen und einem anderen gegeben hatte … und doch wußte sie es. Sie hatte ihre Wahl getroffen, und als sie zurückkehrten, nahm sie Issibs Arme und hielt sie hoch, damit die fliegenden Geschöpfe ihn ergreifen und davontragen konnten. Doch bevor sie sie erreicht hatten, waren die Ratten über ihnen, rissen sie zu Boden, und hundert winzige, wilde Hände zerrten, zogen und rissen an ihr …
Sie erwachte mit dem Gellen ihres eigenen Schreis in den Ohren, und eine nicht zu lindernde Furcht nagte an ihrem Herzen. Sie war schweißgebadet, und die Nacht war dunkel und der Wind kalt, doch sie zitterte nicht wegen der Kälte. Sie warf den Teppich zurück, der sie bedeckte, und lief los, stolpernd und noch halbblind vom Schlaf in ihren Augen und ungelenk von der Steifheit ihrer unbequemen Lage, zu dem Loch im Giebel, das auf den Dachboden des Hauses führte.
Als sie ihr Zimmer erreicht hatte, konnte sie wieder ganz normal sehen, und sie ging gewandt und leise, doch sie war noch immer schwach und verängstigt und konnte den Gedanken, allein zu sein, nicht ertragen. Denn da stand Luets Bett — Luet, die jetzt hier sein sollte, um sie zu trösten —, doch es war leer, da Luet in einem anderen Bett lag und jemanden umarmte, der sie in dieser Nacht bei weitem nicht so dringend brauchte wie Huschidh. Huschidh rollte sich auf ihrem Bett zusammen, zitterte abwechselnd leise und schluchzte laut und keuchend, bis sie befürchtete, daß jemand in einem anderen Zimmer sie hören konnte.
Sie werden glauben, ich sei eifersüchtig auf Luet, wenn sie mich weinen hören. Sie werden glauben, ich würde sie hassen, weil sie vor mir geheiratet hatte, aber dem ist nicht so … zumindest jetzt nicht mehr, nachdem die Überseele mir die Bedeutung von alledem gezeigt hat. Sie versuchte, sich diesen Traum in Erinnerung zurückzurufen — von ihr und ihren Kindern und ihrem Mann an der Tür ihres Zeltes —, doch er hatte sich kaum bei ihr eingestellt, als er sich schon wieder verwandelte und sie entsetzt beobachten mußte, wie die Ratten aus ihren Löchern und von den Bäumen kamen, und ihre einzige, verzweifelte Hoffnung waren die so überaus seltsamen Fluggeschöpfe …
Und sie fand sich auf dem Gang vor ihrem Zimmer, von einer Furcht getrieben, die sie mit sich nahm, als sie weiterlief. Lief und lief, bis sie die Tür des Zimmers aufriß, von dem sie wußte, daß sich Luet darin befand, denn sie konnte es nicht mehr ertragen, sie brauchte Hilfe, und es konnte nur Luet sein, nur Luet konnte sie ihr geben …
»Was ist los?« Die Angst in Luets Stimme war ein Echo des Entsetzens in Huschidhs. Huschidh sah ihre Schwester, die sich im Bett kerzengerade aufsetzte und ein Laken vor die Brust hob, als wäre es ein Schild. Und dann erhob sich Nafai, den eher Luets Stimme als die knarrende Tür geweckt hatte, verschlafen aus dem Bett und kam auf Huschidh zu. Er hatte noch nicht ganz mitbekommen, wer dort stand, wußte aber, daß es ein Eindringling war und er ihm den Weg versperren mußte.
»Schuja«, sagte Luet.
»Oh, Luet, verzeih mir«, schluchzte Huschidh. »Hilf mir! Halte mich fest!«
Bevor Luet sich rühren konnte, war Nafai da und führte sie von der Schwelle ins Zimmer. Dann war Luet bei ihr und half ihr, sich auf das zerwühlte Bett zu setzen, und nun, da ihre Schwester sie hielt, konnte Huschidh endlich laut schluchzen. Sie nahm verschwommen wahr, daß Nafai durch das Zimmer ging; er schloß die Tür und suchte dann Kleidung für sich und Luet zusammen, damit sie nicht peinlich berührt sein mußten, wenn Huschidh mit dem Weinen aufhörte und wieder zu sich kam.
»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, sagte Huschidh immer wieder, während sie weinte.
»Nein, bitte, das macht doch nichts«, sagte Luet.
»Eure Hochzeitsnacht, ich hätte nie … aber ich habe geträumt, es war so schrecklich …«
»Alles in Ordnung, Schuja«, sagte Nafai. »Ich wünschte nur, du könntest etwas leiser weinen, denn wenn man dich hört, wird man glauben, es wäre Luet, die sich in ihrer Hochzeitsnacht das Herz aus der Brust weint, und wer weiß, was man dann von mir denken wird.« Er hielt inne. »Wenn ich darüber nachdenke, könntest du vielleicht auch etwas lauter weinen.«
Nafais Stimme war heiter und ruhig, und Luet lachte leise über seinen Scherz. Das hatte Huschidh gebraucht, um ihr Entsetzen zu überwinden: Nun konnte sie an Luet und Nafai statt nur an ihren Traum denken.