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»Niemand hat jemals etwas so Verderbtes getan«, sagte Huschidh, ganz elendig und beschämt und doch voll tiefer Erleichterung. »In die Hochzeitsnacht der eigenen Schwester zu platzen …«

»Aber es ist nicht so, als ob du uns bei etwas unterbrochen hättest«, sagte Nafai, und dann brachen er und Luet in Gelächter aus — nein, eher in ein Kichern. Wie kleine Kinder mit einem lächerlichen Geheimnis.

»Es tut mir leid, daß ich lache, während du so unglücklich bist«, sagte Luet, »aber du mußt das verstehen. Wir waren beide so unbeholfen dabei.« Dann kicherten sie erneut.

»Übung macht den Meister«, sagte Nafai. »Aber wir sind noch weit von jeder Meisterschaft entfernt.«

Huschidh fühlte sich von ihrem Lachen eingehüllt, umschlossen von der Ruhe, die zwischen ihnen herrschte. Es war undenkbar, daß ein frischgebackener Ehemann und seine Braut, die man in ihrer ersten gemeinsamen Nacht gestört hatte, eine eindringende Schwester so bereitwillig aufnahmen und trösteten; und doch war es bei ihnen der Fall, bei Lutja und ihrem Njef. Sie war mit Liebe und Dankbarkeit für sie erfüllt, und beides ergoß sich in Tränen, aber in denen der Freude, nicht denen der Verzweiflung, die aus Einsamkeit und Entsetzen entstanden war.

»Ich habe nicht um mich selbst geweint«, sagte sie — denn jetzt konnte sie wieder sprechen. »Ich war eifersüchtig und einsam, ich gestehe es ein, doch die Überseele hat mir einen freundlichen Traum geschickt, einen guten, und darin habe ich mich und … meinen Mann gesehen, und unsere Kinder …« Dann stellte sich bei ihr ein Gedanke ein, der ihr noch nicht in den Sinn gekommen war. »Nafai, ich weiß, daß ich für Issib bestimmt bin. Aber ich muß dich fragen — er ist doch … dazu fähig, nicht wahr?«

»Schuja, er könnte kaum unfähiger sein, als ich es in dieser Nacht war.«

Luet versetzte Nafai verspielt einen Klaps. »Sie hat dir eine wichtige Frage gestellt, Nafai.«

»Er ist genau wie ich noch Jungfrau«, sagte Nafai, »und fern von der Stadt kann er seine Hände kaum benutzen. Aber er ist nicht gelähmt, und seine … unwillkürlichen Reaktionen … nun ja … reagieren eben.«

»Dann war es ein Wahrtraum«, sagte Huschidh. »Oder es könnte zumindest einer gewesen sein. Ich habe von meinen Kindern geträumt. Die ich von Issib habe. Das könnte auch wahr sein, oder?«

»Wenn du es so möchtest«, sagte Nafai. »Wenn du ihn akzeptierst. Er ist der Beste von uns, Schuja, das verspreche ich dir. Der Freundlichste und der Klügste.«

»Das hast du mir nicht gesagt«, warf Luet ein. »Mir hast du gesagt, du wärest der Beste.«

Nafai grinste sie nur mit dummer Freude an.

Huschidh fühlte sich jetzt besser. Sie wußte auch, daß es nicht rechtens war, in diesem Augenblick zwischen den beiden zu stehen; sie hatte von ihrer Schwester alles erhalten, worauf sie hoffen konnte, und konnte nun auf ihr Zimmer zurückkehren und allein schlafen. Der Schatten des bösen Traums war von ihr gewichen. »Ich danke euch beiden«, flüsterte sie. »Ich werde nie vergessen, wie freundlich ihr diese Nacht zu mir wart.« Und sie erhob sich von der Bettkante und ging zur Tür. . »Geh nicht«, sagte Nafai.

»Ich muß jetzt schlafen«, sagte Huschidh.

»Nicht, bevor du uns deinen Traum erzählt hast«, sagte er. »Wir müssen ihn hören. Nicht den schönen Traum, sondern den, der dich so verängstigt hat.«

»Er hat recht«, sagte Luet. »Es mag zwar unsere Hochzeitsnacht sein, aber die gesamte Welt um uns herum ist dunkel, und wir müssen alles erfahren, was die Überseele zu einem von uns sagt.«

»Am Morgen«, entgegnete Huschidh.

»Glaubst du, wir könnten schlafen, während wir nicht wissen, was für ein schrecklicher Traum unserer Schwester zu schaffen macht?« fragte Nafai.

Obwohl Huschidh wußte, wie sorgfältig er seine Worte ausgewählt hatte, war sie dankbar für die eindringliche Güte und Liebe hinter ihnen. In seinem Herzen mochte er ihre enge Verbindung mit seiner neuen Frau durchaus fürchten oder verabscheuen, doch anstatt zu versuchen, sich dieser Nähe zu widersetzen oder sie auseinanderzutreiben, bemühte Nafai sich bewußt, sich in ihre enge Beziehung einzufügen und Huschidh in die Nähe ihrer Ehe aufzunehmen. Es war großzügig von ihm, vor allem an diesem besonderen Abend, als er geglaubt haben mußte, seine schlimmsten Befürchtungen über Huschidh wären wahr, als sie mitten in der Nacht in ihr gemeinsames Schlafzimmer eindrang und sich die Augen ausweinte! Wenn er mit all seiner Kraft versuchte, solch eine Beziehung zwischen ihnen herzustellen, konnte man zumindest von ihr erwarten, diese Beziehung auch zu akzeptieren. Schließlich war sie eine Entwirrerin. Sie wußte, wie man Menschen miteinander verband, und freute sich, ihm helfen zu können, diesen Knoten zu knüpfen.

Also kehrte sie um, und sie setzten sich gemeinsam auf das Bett und bildeten mit den angewinkelten Beinen ein Dreieck, Knie an Knie, während sie ihre Träume erzählte, von Anfang bis Ende. Sie ersparte sich nichts und gestand ihren anfänglichen Groll ein, damit die beiden anderen begriffen, wie dankbar sie für die Zusicherungen der Überseele war.

Zweimal unterbrachen sie sie erstaunt. Das erste Mal, als sie ihnen erzählte, Muuzh gesehen zu haben, und wie die Überseele ihn beherrschte, gerade weil er sie ablehnte. Nafai lachte verwundert auf. »Muuzh höchstpersönlich — der General der Gorajni, an dessen Händen so viel Blut klebt und der vor der Überseele auf genau dem Weg flieht, den die Überseele ihm ausgelegt hat. Wer hätte das ahnen können!«

Zum zweitenmal unterbrachen sie sie, als Huschidh von den Tieren mit Flügeln erzählte, die sie und Issib bei ihrem Sturz gerettet hatten. »Engel!« rief Luet.

Augenblicklich erinnerte sich Huschidh an den Traum, den Luet ihr vor ein paar Tagen erzählt hatte. »Natürlich«, sagte Huschidh. »Deshalb sind sie in meinen Traum gekommen — weil ich mich daran erinnert habe, daß du mir von diesen Engeln und den Riesenratten erzählt hast.«

»Ziehe keine vorschnellen Schlüsse«, sagte Luet. »Erzähle uns den Rest des Traums.«

Das tat sie, und als sie geendet hatte, saßen die drei schweigend da und dachten eine Weile nach.

»Der erste Traum, der von dir und Issib … ich glaube, der kam von dir selbst«, sagte Luet schließlich.

»Das glaube ich auch«, sagte Huschidh, »und nachdem mir nun wieder eingefallen ist, daß du mir den Traum von den haarigen Engeln erzählt hast …«

»Still«, sagte Luet. »Greife dem Traum nicht voraus. Nach dieser ersten Vision, die deiner Befürchtung entsprang, Issib heiraten zu müssen, hast du die Überseele gebeten, dir ihre Pläne zu erklären, und sie hat dir diesen wunderbaren Traum mit den goldenen und silbernen Fäden gegeben, die die Menschen verbinden …«

»Sie züchtet uns wie Vieh«, sagte Nafai.

»Sei nicht respektlos«, sagte Luet.

»Sei nicht zu ehrerbietig«, sagte Nafai. .»Ich bezweifle allen Ernstes, daß die ursprüngliche Programmierung der Überseele darauf angelegt war, unter den Menschen von Harmonie ein Zuchtprogramm in die Wege zu leiten.«

»Ich weiß, daß du recht hast«, sagte Luet, »und daß die Überseele ein Computer ist, der zu Anbeginn unserer Welt dazu geschaffen wurde, auf uns Menschen zu achten und zu verhindern, daß wir uns selbst vernichten, doch in meinem Herzen halte ich die Überseele noch immer für eine Frau, für die Mutter des Sees.«

»Ob nun Frau oder Maschine, sie hat jetzt eigene Pläne entwickelt, und das gefällt mir nicht besonders«, sagte Nafai. »Ich akzeptiere, daß sie uns zusammenbringt, damit wir zur Erde reisen, bin sogar froh darüber — es ist ein ruhmreiches Unterfangen. Aber dieser Zuchtplan … meine Mutter und mein Vater, die wie ein Schaf und ein Bock kopulieren, die man zusammengebracht hat, um die Blutlinien rein zuhalten …«