Bin ich bereit?
Bin ich bereit, um den Zug meines Lebens zu machen, um mich im Namen Pravo Gollossas am Imperator zu rächen? Um alles auf meine Fähigkeit zu setzen, Basilika, Seggidugu und die Städte der Ebene zu einigen und zu hoffen, daß zahlreiche Gorajni-Soldaten zu mir überlaufen werden und wir vielleicht noch von Potokgavan unterstützt werden?
Und wenn ich nicht dazu bereit bin, bin ich dann bereit, meinen Hals wieder in den Kragen zu stecken, den der Imperator all seinen Generalen aufzwingt? Bin ich bereit, mich dem Willen der Inkarnation Gottes hier auf Harmonie zu unterwerfen? Bin ich bereit, Jahre, vielleicht Jahrzehnte auf eine Gelegenheit zu warten, die vielleicht niemals besser sein wird als die, die ich jetzt habe?
Er kannte die Antwort schon, als er die Frage stellte. Irgendwie mußte er diese Woche, diesen Tag, diese Stunde in seine Gelegenheit verwandeln, seine Chance, die Gorajni zu stürzen und ihr grausames und brutales Reich durch ein großzügiges und demokratisches zu ersetzen, das von den Sotschitsija geführt wurde, deren Rache schon lange auf sich warten ließ, aber trotzdem nicht minder sicher war. Hier stand Muuzh mit einem Heer — einem kleinen, aber seinem — in der Stadt, die all das symbolisierte, was auf der Welt schwach und kraftlos und hilflos war. Ich sehne mich danach, dich zu vernichten, Basilika, aber was, wenn ich dich statt dessen stark mache? Was, wenn ich dich zum Mittelpunkt der Welt mache — aber einer Welt, die von mächtigen Männern beherrscht wird und nicht von diesen schwachen und hilflosen Frauen, diesen Politikerinnen und Klatschmäulern und Schauspielerinnen und Sängerinnen? Was, wenn man sich eines Tages als die wichtigste Geschichte über Basilika nicht die erzählt, daß es die Stadt der Frauen war, sondern die des Aufstiegs der Sotschitsija?
Basilika, du Stadt der Frauen, dein Gatte ist hier, um dich zu zähmen und dir die häuslichen Künste zu lehren, die du so lange vergessen hattest.
Muuzh warf erneut einen Blick auf Bitankes Namensliste. Wenn er jemanden suchte, der im Namen des Imperators über Basilika herrschen konnte, würde er einen Mann als Konsul auswählen müssen: einen der Söhne Wetschiks, falls man sie fand, oder vielleicht Raschgallivak selbst oder einen schwächeren Mann, den Bitanke vielleicht stützen konnte.
Doch wenn Muuzh Basilika und die Städte der Ebene und Seggidugu gegen den Imperator vereinen wollte, mußte er durch Ehe ein Bürger Basilikas werden, um sich einen Platz ganz oben in der Stadt zu verschaffen; dann brauchte er keinen Konsul, sondern eine Braut.
Also interessierten ihn am meisten die Namen der beiden Mädchen, der Wasser Seherin und der Entwirrerin. Sie waren jung — so jung, daß er viele damit beleidigen würde, wenn er eine von ihnen heiratete, besonders die Wasser-Seherin — erst dreizehn! Und doch hatten diese beiden das richtige Prestige, das ihn mit seiner Aura umfassen würde, wenn er eine der beiden heiratete. Muuzh, der große General der Gorajni, heiratete eine der heiligsten Frauen Basilikas — erniedrigte sich, um die Stadt als bloßer Gatte statt als Eroberer zu betreten. Er würde damit ihre Herzen für sich gewinnen, nicht nur die derer, die ihm sowieso schon dankbar waren, da er den Frieden gebracht hatte, sondern die aller Menschen, denn sie würden sehen, daß er sie nicht beherrschen, sondern zu neuer Größe führen wollte.
Mit der Entwirrerin oder der Wasserseherin zur Frau würde Muuzh Basilika nicht nur besetzt halten. Er würde Basilika sein, und statt den Königreichen im Süden und den Städten der Westküste Ultimaten zu stellen, würde er einen Schlachtruf ausstoßen. Er würde die Spione aus Potokgavan verhaften und sie mit Geschenken und Versprechungen zurück zu ihrem fauligen, überfluteten Reich schicken. Und die Nachricht würde sich wie ein Waldbrand durch den Norden verbreiten: Vozmuzhalnoi Vozmozhno hat sich zur neuen Inkarnation erklärt, zum wahren Imperator. Er würde alle treuen Soldaten Gottes aufrufen, zu ihm in den Süden zu kommen oder sich jeweils an Ort und Stelle gegen den Usurpator zu erheben! Bis dahin würde auch schon in Pravo Gollossa geflüstert werden: Die Sotschitsija werden herrschen. Erhebt euch und nehmt euch, was euch schon seit all diesen Jahren gehört!
In dem Chaos, zu dem es daraufhin in den Nordlanden kommen würde, würde Muuzh nach Norden marschieren und auf seinem Weg Verbündete gewinnen. Die Gorajni-Heere würden vor ihm zurückweichen; die Einheimischen der eroberten Nationen würden ihn als Befreier willkommen heißen. Er würde marschieren, bis er die Gorajni auf ihr eigenes Gebiet zurückgedrängt hatte, und dort würde er innehalten — für einen langen Winter in Pravo Gollossa, wo er sein buntgemischtes Heer ausbilden und zu einer würdigen, kampfstarken Truppe schmieden würde. Im Frühling des nächsten Jahres würde er dann in das hügelige Land der Gorajni eindringen und ihre Fähigkeit zu herrschen vollends zerstören. Jedem Mann im kampffähigen Alter würde er die Daumen abschlagen lassen, damit er nie wieder Schwert oder Bogen benutzen konnte, und mit jedem abgeschnittenen Daumen würden die Gorajni wieder den Schmerz der zungenlosen Sotschitsija verstehen.
Sollte Gott doch versuchen, ihn jetzt noch aufzuhalten!
Aber er wußte, daß Gott es nicht versuchen würde. In den letzten paar Tagen, seit er Gott getrotzt und gen Süden nach Basilika marschiert war, hatte Gott nicht mehr versucht, ihn in irgendeiner Weise zu behindern. Er hatte halbwegs damit gerechnet, daß Gott ihn diese Pläne, die er schmiedete, vergessen lassen würde. Aber Gott mußte nun wissen, daß dies sinnlos war, denn diese Pläne waren so gut und offensichtlich, daß Muuzh sie sich ganz einfach erneut ersinnen würde — und wieder und wieder, falls es nötig sein sollte.
Denn ich werde die Gorajni stürzen und die Westküste vereinen. Und mein Sohn wird Potokgavan erobern, die nördlichen Waldstämme zivilisieren und die Piraten der Nordküste unterwerfen. Mein Sohn und der Sohn meiner Frau.
Wer von euch wird es sein? Die Wasserseherin war die mächtigere der beiden, die mit dem größeren Ansehen; aber sie war jünger, eigentlich zu jung. Es bestand die Gefahr, daß die Menschen sie wegen dieser Ehe bemitleideten, wenn Muuzh es nicht gelang, sie zu überzeugen, wirklich aus eigener, freier Entscheidung zu ihm zu kommen.
Aber auch die andere, die Entwirrerin, würde genügen, obwohl ihr Prestige geringer war, und sie war sechzehn. Sechzehn, ein gutes Alter für eine politische Ehe, denn sie war noch nie verheiratet gewesen und hatte, wenn man Bitanke vertrauen konnte, noch nicht einmal einen Liebhaber gehabt. Und ein Teil des Ansehens der Wasserseherin würde trotzdem dieser Ehe zufallen, denn die Entwirrerin war ihre Schwester, und Muuzh würde dafür sorgen, daß die Wasserseherin gut behandelt wurde — und in enger Verbindung zu der neuen Dynastie stand, die Muuzh bald begründen würde.
Es war ein sehr guter Plan. Jetzt mußte Muuzh nur noch sicher sein — sicher genug, um zu handeln. Sicher genug, um zu Rasas Haus zu gehen und dafür zu sorgen, daß eins dieser Mädchen ihm die Hand zur Ehe reichte.
Ein Klopfen an der Tür. Muuzh schlug einmal auf den Tisch. Die Tür wurde geöffnet.
»Herr«, sagte der Soldat. »Wir haben auf der Straße vor Herrin Rasas Haus eine interessante Verhaftung vorgenommen.«
Muuzh sah von der Karte auf dem Tisch auf und wartete auf den Rest der Nachricht.
»Herrin Rasas jüngster Sohn. Derjenige, der Gaballufix getötet hat.«
»Er ist in die Wüste geflohen«, sagte Muuzh. »Bist du sicher, daß es kein Betrüger ist?«
»Das wäre möglich«, sagte der Soldat. »Aber er ist aus Rasas Haus gekommen und direkt zu dem befehlshabenden Feldwebel gegangen und hat erklärt, wer er ist und daß er sofort mit dir sprechen muß, über Angelegenheiten, die über deine Zukunft und die Zukunft Basilikas entscheiden würden.«
»Ach«, sagte Muuzh.
»Also ist er entweder der Junge mit den Eiern aus Messing, der Gaballufix den Kopf abgeschnitten und in dessen Kleidung aus der Stadt hinausspaziert ist, oder er ist ein Verrückter, der unbedingt sterben will.«