»Warum sagst du mir das?« fragte die Überseele. »Glaubst du etwa, ich hätte ein paar binäre Kamele und Zelte in meinem Speicher?«
»Aha, genau, wie ich dachte. Du hast überhaupt nichts für die Reise vorbereitet. Weißt du nicht, daß man nicht einfach so in die Wüste hinausmarschieren kann? Wenn du mir schon nicht helfen kannst, bringe mich wenigstens zu jemandem, der es kann.«
Die Überseele führte sie zu einem fernen Hügel. »Du bist so bestimmend«, sagte sie. »Würdest du dich freundlicherweise daran erinnern, daß ich der Wächter der Menschheit bin?«
»Das ist in Ordnung, solange du deine Aufgabe erledigst, während ich mich um die Menschen kümmere, die ich liebe. Wer wird sich um meinen Haushalt kümmern, wenn ich fort bin? Hast du jemals daran gedacht? So viele Kinder und Lehrerinnen, die von mir abhängig sind.«
»Sie werden alle nach Hause gehen. Sie werden andere Lehrerinnen oder Stellungen finden. Du bist nicht unentbehrlich.«
Sie hatten den Gipfel des Hügels erreicht — wie in allen Träumen konnten sie sich mitunter nur ganz langsam, mitunter aber auch ganz schnell bewegen. Als Rasa nun auf der Spitze des Hügels stand, sah sie, daß sie sich auf der Straße vor ihrem eigenen Haus befand. Sie hatte gar nicht gewußt, daß es von ihrer Straße aus einen Weg den Hügel hinab und direkt in die Wüste gab. Sie sah sich um, wollte herausfinden, über welchen Weg die Überseele sie hergeführt hatte, mußte jedoch feststellen, daß sie einem Soldaten direkt ins Gesicht sah. Zu ihrer Erleichterung war es kein Gorajni, sondern einer der Offiziere der Wache Basilikas.
»Herrin Rasa«, sagte er ehrfürchtig.
»Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte sie. »Die Überseele hätte es dir bereits mitgeteilt, doch sie hat sich entschieden, diese besondere Angelegenheit mir zu überlassen. Hoffentlich hast du nichts dagegen.«
»Ich möchte nur der Überseele dienen«, sagte er.
»Nun, dann hoffe ich, daß du erfolgreich sein und all diese Aufgaben anständig erledigen wirst, denn ich bin keine Expertin und muß mich auf deine Einschätzung verlassen. Wir werden dreizehn Personen sein.«
»Dreizehn Personen wobei?«
»Eine Reise in die Wüste.«
»General Muuzh hat euch unter Hausarrest gestellt.«
»Ach, darum wird sich die Überseele kümmern. Ich kann nicht alles erledigen.«
»Na schön«, sagte der Offizier. »Eine Reise in die Wüste. Dreizehn Personen.«
»Wir brauchen Kamele, auf denen wir reiten, und Zelte, in denen wir schlafen können.«
»Große Zelte oder kleine?«
»Wie groß ist groß, und wie klein ist klein?«
»Große Zelte können bis zu einem Dutzend Personen aufnehmen, aber die sind nicht einfach aufzustellen. Kleine Zelte sind für zwei Personen bestimmt.«
»Kleine«, sagte Rasa. »Alle werden zu zweit schlafen, bis auf ein Zelt für drei Personen, für mich und Huschidh und Schedemei.«
»Huschidh die Entwirrerin? Sie verläßt die Stadt?«
»Kümmere dich nicht darum, um welche Personen es sich handelt, das geht dich nichts an«, sagte Rasa.
»Ich glaube, Muuzh möchte nicht, daß Huschidh Basilika verläßt.«
»Er will auch nicht, daß ich die Stadt verlasse — noch nicht«, sagte Rasa. »Ich hoffe, du schreibst dir alles auf.«
»Ich kann es mir auch so merken.«
»Gut. Kamele zum Reiten und Zelte zum Schlafen und dann Kamele, die die Zelte tragen, und auch die Vorräte für … oh, für wie viele Tage? Ich weiß es nicht mehr … zehn Tage sollten reichen.«
»Das sind aber viele Kamele.«
»Ich kann nichts daran ändern. Du bist Offizier, du weißt doch bestimmt, wo es Kamele gibt und wie man sie sich besorgen kann.«
»Das weiß ich.«
»Und noch etwas. Zusätzlich ein halbes Dutzend Kamele, die Schedemeis Trockenbehälter tragen. Vielleicht hat sie sie aber auch schon selbst besorgt — du mußt dich bei ihr erkundigen.«
»Wann wirst du all das brauchen?«
»Sofort«, sagte Rasa. »Ich habe keine Ahnung, wann wir diese Reise antreten werden — wie du vielleicht gehört hast, stehen wir im Augenblick unter Hausarrest …«
»Ja, das ist mir bekannt.«
»Aber wir müssen innerhalb von einer Stunde aufbrechen können, wenn es so weit ist.«
»Herrin Rasa, ich kann diese Dinge nicht ohne Muuzh’ Erlaubnis arrangieren. Er beherrscht jetzt die Stadt, und ich bin nicht einmal Kommandant der Wache.«
»Na schön«, sagte Rasa. »Ich gebe dir hiermit Muuzh’ Erlaubnis.«
»Die kannst du mir nicht geben«, sagte der Offizier.
»Überseele?« sagte Rasa. »Ist es nicht an der Zeit, daß du eingreifst und etwas unternimmst?«
Augenblicklich erschien Muuzh persönlich neben dem Offizier. »Du hast mit Herrin Rasa gesprochen«, sagte er streng.
»Sie ist zu mir gekommen«, sagte der Offizier.
»Das ist in Ordnung. Hoffentlich hast du dir alles gemerkt, was sie gesagt hat.«
»Also befugst du mich, ihre Anordnungen auszuführen?«
»Das kann ich im Augenblick nicht«, sagte Muuzh. »Nicht offiziell, denn im Augenblick weiß ich noch nicht, ob ich möchte, daß du dies tust. Also mußt du alles sehr verstohlen durchführen, so verstohlen, daß noch nicht einmal ich davon erfahre. Hast du verstanden?«
»Hoffentlich bekomme ich keinen allzu großen Ärger, wenn du es doch herausfindest.«
»Nein, überhaupt nicht. Ich werde es nicht herausfinden, solange du nicht unvorsichtig bist oder es mir sagst.«
»Das ist eine Erleichterung.«
»Wenn die Zeit kommt, da ich den Beginn dieser Reise wünsche, werde ich dir befehlen, alle Vorbereitungen zu treffen. Du mußt nur sagen: Ja, Herr, es kann sofort erledigt werden. Bitte versetze mich nicht in eine peinliche Lage, indem du darauf hinweist, daß du schon seit Mittag daran arbeitest. Erwecke ja nicht den Anschein, meine Befehle kämen nicht aus dem Augenblick heraus. Hast du verstanden?«
»Sehr wohl, Herr.«
»Ich will dich nicht töten müssen, also bringe mich bitte nicht in eine peinliche Lage, ja? Vielleicht brauche ich dich später noch.«
»Wie du es wünschst, Herr.«
»Du darfst gehen«, sagte Muuzh.
Augenblicklich verschwand der Offizier der Wache.
Muuzh verwandelte sich augenblicklich in Rasas Traumbild der Überseele. »Damit wäre das wohl geregelt, Rasa«, sagte sie.
»Ja, das glaube ich auch«, sagte Rasa.
»Schön«, sagte die Überseele. »Du kannst jetzt aufwachen. Der echte Muuzh wird bald vor deiner Tür stehen, und du willst doch für ihn bereit sein.«
»Oh, vielen Dank auch«, sagte Rasa mehr als nur etwas verschnupft. »Ich habe kaum geschlafen, und du willst mich schon wieder aufwachen lassen?«
»Ich bin für den Zeitablauf nicht verantwortlich«, sagte die Überseele. »Wenn Nafai nicht wie ein Halbgescheiter in den frühen Morgenstunden losgelaufen wäre und noch vor Sonnenaufgang ein Gespräch mit Muuzh gefordert hätte, hättest du durchaus ausschlafen können.«
»Wie spät ist es denn?«
»Ich habe dir doch gesagt, wach auf und sieh auf die Uhr.«
Damit verschwand die Überseele, und Rasa war wach und sah auf die Uhr. Der Himmel draußen wurde gerade erst grau, und sie konnte nicht erkennen, wie spät es war, ohne aufzustehen und genau hinzusehen. Müde stöhnte sie auf und schaltete ein Licht an. Viel, viel zu früh, um aufzustehen. Aber so seltsam der Traum auch gewesen sein mochte, eine Wahrheit enthielt er: Jemand läutete an der Tür.