»Sieht er nicht tapfer und gut aus?« fragte Eiadh.
Elemak drehte sich zu ihr um. »Wer? Ist General Muuzh hier?«
»Ich meine deinen Bruder. Sieh doch.«
Elemak schaute zur Plattform und war nicht der Ansicht, daß Nafai besonders tapfer aussah. Eigentlich sah er sogar lächerlich aus, wie ein Junge, der sich gekleidet hatte, als wäre er ein Mann.
»Ich kann kaum glauben, daß er einfach zu den Gorajni-Soldaten gegangen ist«, sagte Eiadh. »Und mit General Vozmuzhalnoi Vozmozhno persönlich gesprochen hat — während alle anderen noch geschlafen haben!«
»Was war denn tapfer daran? Es war gefährlich und töricht, und sieh doch, wozu es geführt hat — daß Huschidh diesen Mann heiraten muß.«
Eiadh sah ihn verblüfft an. »Elja, sie heiratet den mächtigsten Mann auf der Welt! Und Nafai wird sein Berater sein.«
»Nur, weil er mit der Wasserseherin verheiratet ist.«
Eiadh seufzte. »Sie ist ein so unscheinbares, kleines Ding.
Aber diese Träume — ich habe auch schon versucht, Träume zu haben, aber niemand nimmt sie ernst. Erst gestern nacht hatte ich einen sehr seltsamen Traum. Ein haariger, fliegender Affe mit häßlichen Zähnen warf sich auf mich, eine Riesenratte schoß ihn mit Pfeil und Bogen aus dem Himmel — kannst du so etwas Dummes glauben? Kannst du mir sagen, warum ich keine Träume von der Überseele haben kann?«
Elemak hörte ihr kaum zu. Statt dessen dachte er darüber nach, daß Eiadh eindeutig neidisch war, weil Huschidh den mächtigsten Mann auf der Welt heiratete. Und wie sie Nafai für seine verdammenswerte Unverschämtheit bewunderte, mitten in der Nacht das Haus zu verlassen und General Muuzh aufzusuchen. Was hatte er damit erreichen können, außer, den Mann zu erzürnen? Es war reines Glück gewesen, daß Nafai jetzt auf dieser Plattform saß. Aber es ärgerte Elemak trotzdem, daß Nafai jetzt dort saß und alle Blicke Basilikas sich auf ihn richteten. Daß man leise über Nafai flüsterte, Nafai, den Gatten der Wasserseherin, den Schwager der Entwirrerin. Und wenn Muuzh sich als König einsetzte — o ja, das offizielle Wort dafür lautete Konsul, doch es bedeutete trotzdem dasselbe —, war Nafai der Schwager der Majestät und der Gatte der großen Frau, Elemak hingegen weiterhin nur ein Wüstenhändler. Oh, natürlich würden sie Vater wieder als Wetschik einsetzen, sobald Vater begriffen hatte, daß die Überseele doch nicht imstande war, irgend jemanden aus Basilika zu holen. Und Elemak würde erneut sein Erbe sein, aber was würde dieser Titel schon bedeuten? Am schlimmsten war die Tatsache, daß er seinen Rang und seine Zukunft als Geschenk von Nafai zurückbekommen würde. Das ließ ihn innerlich kochen.
»Nafai ist so ungestüm«, sagte Eiadh. »Bist du nicht stolz auf ihn?«
Konnte sie nicht aufhören, von Nafai zu sprechen? Bis zu diesem Morgen war Elemak der Meinung gewesen, mit Eiadh die beste Frau geheiratet zu haben, die es in dieser Stadt für einen Mann gab. Doch nun begriff er, insgeheim gedacht zu haben, sie sei die beste erste Ehefrau, die ein junger Mann nehmen konnte. Eines Tages würde er eine echte Frau brauchen, eine Gefährtin, und es bestand kein Grund zu der Annahme, daß Eiadh in solch eine Rolle hineinwachsen würde. Sie würde wahrscheinlich immer flach und leichtfertig bleiben, genau jene Eigenschaften behalten, die ihn anfangs so angezogen hatten. Als sie gestern nacht zu ihm gesungen hatte, mit einer einstudierten Leidenschaft in der kehligen Stimme, hatte er geglaubt, er könne ihrem Gesang ewig lauschen. Jetzt sah er zur Plattform und begriff, daß es wahrscheinlich Nafai war, der eine Ehe geschlossen hatte, die auch noch in dreißig Jahren Bestand haben würde.
Na schön, dachte Elemak. Da wir Basilika nun doch nicht verlassen werden, behalte ich Eiadh ein paar Jahre lang und schiebe sie dann freundlich ab. Wer weiß? Luet bleibt vielleicht nicht bei Nafai. Wenn sie älter wird, wünscht sie sich vielleicht einen starken Mann neben sich. Wir können diese ersten Ehen dann als kindische Phasen betrachten, die wir in unserer Jugend durchlaufen haben. Dann werde ich der Schwager des Konsuls sein.
Und was Eiadh betrifft … nun ja, mit etwas Glück schenkt sie mir vielleicht einen Sohn, bevor wir miteinander fertig sind. Aber wäre das wirklich ein Glück? Soll mein ältester Sohn, mein Erbe, eine so oberflächliche Frau zur Mutter haben? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Söhne meiner späteren Ehen, meiner reifen Ehen, wesentlich würdiger sein, meine Nachfolge anzutreten.
Dann, wie eine plötzliche Verdauungsstörung, kam die Erkenntnis, daß auch Vater so empfinden mochte. Schließlich hatte er als reifer Mann Herrin Rasa geheiratet, und Issib und Nafai waren die Söhne aus dieser Ehe. War Mebbekew nicht der wandelnde Beweis der unglücklichen Ergebnisse früher Ehen?
Aber nicht ich, dachte Elemak. Ich war nicht der Sohn einer leichtfertigen frühen Ehe. Ich bin ein Sohn, den er sich nicht einmal zu wünschen gewagt hätte — der Sohn seines Tantchens, Hosnis Sohn, der nur geboren wurde, weil sie den jungen Volemak so bewundert hatte, daß sie ihn in die Vergnügungen des Bettes einführte. Hosni war eine ehrbare Frau, und Vater vertraut mir und bewundert mich mehr, als es bei seinen anderen Kindern der Fall ist. Oder hat mich zumindest bewundert, bis er Visionen von der Überseele bekam und Nafai dies zu seinem Vorteil nutzen konnte, indem er vorgab, ebenfalls Visionen zu haben.
Elemak war voller Zorn — eine alte, tiefe Wut und eine heiße, neue Eifersucht wegen Eiadhs Bewunderung für Nafai. Doch am heißesten und tiefsten brannte seine Furcht, daß Nafai nicht so tat als ob, daß aus irgendeinem unbekannten Grund die Überseele tatsächlich Vaters jüngsten und nicht seinen ältesten Sohn als seinen wahren Erben erwählt hatte. Als die Überseele Issibs Stuhl übernommen und Elemak daran gehindert hatte, Nafai in diesem Hohlweg außerhalb der Stadt zu verprügeln, hatte die Überseele doch so etwas gesagt. Daß Nafai eines Tages seine Brüder führen würde … darauf lief es jedenfalls hinaus.
Nun, liebe Überseele, dazu wird es nicht kommen, wenn Nafai stirbt. Hast du daran schon einmal gedacht? Wenn du mit ihm sprechen kannst, kannst du auch mit mir sprechen, und es wird langsam Zeit, daß du damit anfängst.
Ich habe dir den Traum der Gattinnen gegeben.
Der Satz erklang so deutlich in Elemaks Gehirn, als wäre er laut ausgesprochen worden. Elemak lachte.
»Worüber lachst du, Elja, Liebling?« fragte Eiadh.
»Darüber, wie leicht man sich selbst täuschen kann«, sagte Elemak.
»Die Leute sprechen ständig darüber, daß man sich selbst belügen kann, aber ich habe das nie verstanden«, sagte Eiadh. »Wenn du dich selbst belügst, weiß du doch, daß es eine Lüge ist, oder?«
»Ja«, sagt Elemak. »Du weißt, daß du lügst, und du weißt, was wahr ist. Aber manche Menschen verlieben sich in die Lüge und geben die Wahrheit völlig auf.«
Wie du es jetzt tust, sagte die Stimme in seinem Kopf. Du ziehst es vor, die Lüge zu glauben, daß ich weder zu dir noch zu sonst jemandem sprechen kann, und deshalb lehnst du mich ab.