Also vollzog sie die Zeremonie — mit Bedacht, mit langen Pausen, ohne jedoch vollständig innezuhalten, ohne die geflüsterten Anweisungen der Priesterinnen zu ignorieren, die neben ihr standen und ihr alles vorsagten.
Doch trotz ihres eigenen inneren Aufruhrs konnte sie an Huschidh nichts als perfekte Ruhe ausmachen. War es möglich, daß Huschidh diese Ehe tatsächlich willkommen hieß, um ein Leben als Frau eines Krüppels zu vermeiden? Nein – Schuja war aufrichtig gewesen, als sie gesagt hatte, die Überseele habe sie mit dieser Zukunft ausgesöhnt. Ihre Ruhe mußte einem völligen Vertrauen in die Überseele entspringen.
»Sie tut recht daran, Vertrauen zu haben«, sagte eine Stimme — eigentlich ein Flüstern. Einen Augenblick lang dachte sie, es wäre die Überseele gewesen, doch dann begriff sie, daß Nafai zu ihr gesprochen hatte, als sie während der Blumenprozession an ihm vorbeigegangen war. Wie hatte er wissen können, welche Wörter in diesem Augenblick nötig waren, um so perfekt ihre eigenen Gedanken zu beantworten? Hatte die Überseele eine noch engere Verbindung zwischen ihnen geschmiedet? Oder sah Nafai selbst so tief in ihr Herz, daß er wußte, was er nun zu sagen hatte?
Laß es wahr sein, daß Schuja aus gutem Grund der Überseele vertraut. Laß es wahr sein, daß wir sie nicht hier zurücklassen müssen, wenn wir zu unserer Reise in die Wüste aufbrechen, zu einem anderen Stern. Denn ich könnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Vielleicht werde ich irgendwann wieder Freude empfinden; vielleicht kann mein neuer Gatte mir ein Gefährte sein, wie Huschidh mir eine liebe Gefährtin war. Aber es würde immer ein Schmerz in mir sein, eine Leere, eine Trauer, die niemals ersterben wird, eine Trauer um meine Schwester, meine einzige Verwandte auf der Welt, meine Entwirrerin, die, als ich noch ein kleines Kind war, den Knoten knüpfte, der uns auf ewig verbindet.
Und dann war endlich der Augenblick gekommen, da sie die Eide ablegen mußten. Luets Hände ruhten auf ihren Schultern — auf Muuzh’ Schulter, so hoch oben, so hart und groß und fremd, und auf Huschidhs Schulter, so vertraut, so zerbrechlich im Vergleich mit der des Mannes. »Die Überseele macht eine Seele aus der Frau und dem Mann«, sagte Luet. Ein Atemzug. Eine endlose Pause. Und dann die Worte, die sie einfach nicht aussprechen konnte, aber sagen mußte, und deshalb sagte sie sie. »Es ist vollbracht.«
Die Bürger Basilikas erhoben sich von ihren Sitzen, als hätten sie einen einzigen Körper, und jubelten und klatschten und riefen ihre Namen: Huschidh! Entwirrerin! Muuzh! General! Vozmuzhalnoi! Vbzmozhno!
Muuzh küßte Huschidh, wie ein Ehemann eine Frau küßt — aber sanft, sah Luet. Dann drehte er sich um und führte Huschidh zum Rand der Plattform. Hundert, tausend Blumen schwebten in der Luft und flogen nach vorn; die, die die Gäste ganz hinten im Amphitheater geworfen hatten, wurden aufgehoben und erneut geworfen, bis die Blumen die freie Fläche zwischen der Plattform und der ersten Bankreihe bedeckten.
Inmitten des Tumults wurde Luet gewahr, daß Muuzh etwas rief. Da er ihr den Rücken zuwandte, konnte sie die Worte selbst nicht verstehen, nur sehen, daß er etwas sagte. Allmählich bekamen die Gäste auf der ersten Reihe mit, was er rief, und intonierten seine Worte als Sprechgesang. Erst jetzt begriff Luet, wie er seine eigene Hochzeit nun in einen klaren politischen Vorteil verwandeln wollte. Denn er sagte nur ein einziges Wort, wiederholte es immer und immer wieder, bis die gesamte Menschenmenge es aufgenommen hatte und mit unerträglich lauter Stimme rief.
»Basilika! Basilika! Basilika!«
Es ging ewig so weiter, ewig.
Luet weinte, denn sie wußte nun, daß die Überseele versagt hatte, daß Huschidh mit einem Mann verheiratet war, der sie niemals lieben würde, sondern nur die Stadt, die er als ihre Mitgift bekommen hatte.
Endlich hob Muuzh die Hände — die linke Hand höher, um Schweigen zu gebieten, während er mit der rechten noch Huschidhs Hand hielt. Er hatte nicht die Absicht, seine Verbindung mit ihr zu brechen, denn sie war seine Verbindung mit der Stadt. Langsam verstummte der Sprechgesang, und schließlich legte sich ein Vorhang des Schweigens über das Orchester.
Seine Rede war einfach, aber eloquent. Eine Beteuerung seiner Liebe für diese Stadt, seiner Dankbarkeit für das Privileg, Frieden und Ordnung wiederhergestellt zu haben, und nun auch seiner Freude, als Bürger willkommen geheißen zu werden, der Gatte dieser freundlichen und einfachen Schönheit einer wahren Tochter der Überseele zu sein. Er erwähnte auch Luet und Nafai und daß er sich geehrt fühlte, nun mit den besten und tapfersten Kindern Basilikas verwandt zu sein.
Luet wußte, was nun kommen würde. Die Abordnung des Stadtrats hatte sich bereits von ihren Plätzen erhoben und war bereit, vorzutreten und zu bitten, die Stadt möge Muuzh als Konsul akzeptieren, damit er Basilikas Heer führen und über die auswärtigen Angelegenheiten entscheiden könne. Man konnte mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß die Mehrheit des Volkes, überwältigt von der Ekstase und Erhabenheit des Augenblicks, die Entscheidung bejubeln würde. Erst später würden die Menschen begreifen, was sie getan hatten, doch selbst dann würden die meisten ihren Entschluß für klug und gut halten.
Muuzh’ Rede näherte sich ihrem Ende — und es würde ein ruhmreiches Ende sein. Das Volk würde sie trotz seines nördlichen Akzents, der in anderen Zeiten lächerlich gemacht und verachtet worden wäre, gut aufnehmen.
Er zögerte. An einer unerwarteten Stelle seiner Rede. Einer unangemessenen Stelle. Aus dem Zögern wurde eine Pause, und Luet sah, daß er etwas oder jemanden betrachtete, den sie nicht sehen konnte. Also trat sie vor, und Nafai war augenblicklich neben ihr; gemeinsam taten sie die wenigen Schritte, die nötig waren, daß sie links von Muuzh standen, noch hinter ihm, aber nun imstande, ebenfalls zu sehen, was er sah.
Eine Frau. Eine Frau im einfachen Gewand einer Bäuerin aus Potokgavan — fürwahr ein seltsamer Aufzug für diesen Anlaß. Sie stand am Fuß der mittleren Treppe, die zum Amphitheater hinaufführte; sie machte keine Anstalten, die Treppe hinaufzusteigen, so daß weder die Bogenschützen der Gorajni noch die beiden basilikanischen Wachen hinter ihr Anstalten machten, sie aufzuhalten, bis jetzt zumindest.
Denn der General hatte nichts gesagt, und die Soldaten wußten nicht, was sie tun sollten — sollten sie die Frau ergreifen und davonzerren?
»Du«, sagte Muuzh. Also kannte er sie.
»Was tust du?« fragte sie. Ihre Stimme war nicht laut, und doch konnte Luet sie deutlich verstehen. Wieso konnte sie sie so deutlich verstehen?
Weil ich ihre Worte im Geist eines jeden Anwesenden hier wiederhole, sagte die Überseele.
»Ich heirate«, sagte Muuzh.
»Es hat keine Eheschließung gegeben«, sagte sie — erneut leise, und erneut wurde sie von allen gehört.
Muuzh deutete auf die Gemeinde der Gäste. »Sie alle haben es gesehen.«
»Ich weiß nicht, was sie gesehen haben«, sagte die Frau. »Aber ich sehe einen Mann, der die Hand seiner Tochter hält.«
Unter den Gästen hob sich Gemurmel.
»Gott, was hast du getan«, flüsterte Muuzh. Doch nun trug die Überseele auch seine ganz leise Stimme in ihre Ohren.
Nun trat die Frau vor, und die Soldaten machten keine Anstalten, sie aufzuhalten, denn sie begriffen, daß hier etwas viel Größeres geschah als lediglich ein Attentat.
»Die Überseele brachte dich zu mir«, sagte sie. »Zweimal hat sie dich zu mir geführt, und beide Male habe ich Töchter empfangen und auf die Welt gebracht. Aber ich war nicht deine Frau. Statt dessen war ich der Körper, den die Überseele benutzen wollte, um ihre Töchter zu gebären. Ich brachte die Töchter der Überseele zur Herrin Rasa, die die Überseele auserwählt hatte, sie großzuziehen und zu unterrichten, bis der Tag gekommen war, sie als ihre eigenen Kinder auszuweisen.«