Roger öffnete seinen Sicherheitsgurt.
»Fährst du auf den Wagen vor uns auf, wenn ich dir einen Kuss gebe?«
»Nein.«
»Gut.« Er rutschte zu ihr herüber, nahm ihr Kinn in die Hand und küsste sie schnell. Sie rumpelten gemächlich über den Feldweg auf den Parkplatz.
Sie atmete freier, und ihre Röte hatte nachgelassen. Sie parkte ordentlich ein und würgte den Motor ab, dann saß sie einen Moment lang nur da und blickte geradeaus. Dann schnallte sie sich ab und wandte sich ihm zu.
Erst als sie einige Minuten später aus dem Auto stiegen, fiel Roger auf, dass sie zwar ihre Eltern mehr als einmal erwähnt hatte – doch das wirkliche Problem lag wohl mehr bei dem Elternteil, den sie so sorgfältig nicht erwähnt hatte.
Toll, dachte er und bewunderte geistesabwesend ihren Hintern, als sie sich bückte, um den Kofferraum zu öffnen. Da gibt sie sich alle Mühe, nicht an Jamie Fraser zu denken, und wo zum Teufel bringst du sie hin? Er blickte zum Eingang der Anlage, wo der Union Jack und das schottische Andreaskreuz im Sommerwind flatterten. Dahinter lag ein Berghang, auf dem melancholisches Dudelsackspiel erklang.
Kapitel 4
Das Präteritum schlägt zurück
Da Roger es gewohnt war, sich in Pferdeanhängern oder in den Herrentoiletten von Kneipen umzuziehen, erschien ihm die kleine Kabine, die man ihm hinter der Bühne zugeteilt hatte, geradezu bemerkenswert luxuriös. Sie war sauber, sie hatte Garderobenhaken, und es schnarchten keine betrunkenen Gäste auf der Türschwelle. Klar, er war hier in Amerika, sinnierte er, während er seine Jeans aufknöpfte und sie zu Boden fallen ließ. Ein völlig anderer Standard, zumindest was den materiellen Komfort anging.
Er zog sich das Hemd mit den Trompetenärmeln über den Kopf und fragte sich, an welchen Lebensstandard Brianna gewöhnt war. Er hatte keine Ahnung von Frauenkleidung – wie teuer mochten wohl Bluejeans sein? –, aber er hatte ein bisschen Ahnung von Autos. Sie fuhr einen funkelnagelneuen blauen Mustang, und er war ganz spitz darauf, sich ans Steuer zu setzen.
Ganz offensichtlich hatten ihre Eltern sie gut versorgt – darauf konnte man sich bei Claire Randall verlassen. Er hoffte nur, dass es nicht so viel war, dass sie glaubte, er interessiere sich deswegen für sie. Bei dem Gedanken an ihre Eltern blickte er auf den braunen Briefumschlag: Sollte er ihn Brianna doch geben?
Pastors Katze war vor Schreck fast an die Decke gegangen, als sie durch den Bühneneingang gekommen waren und sich der 78th Fraser Highlanders’ Pipe Band aus Kanada gegenübergesehen hatten, die mit voller Kraft hinter den Garderoben probte. Sie war sogar blass geworden, als er sie dem Major vorgestellt hatte, einem alten Bekannten von ihm. Nicht dass Bill Livingston so ehrfurchteinflößend gewesen wäre, es war die Clannadel der Frasers gewesen, die an seiner Brust steckte.
Je suis prêt, stand darauf. Ich bin bereit. Nicht einmal ansatzweise bereit, dachte Roger, und hätte sich in den Hintern treten können, weil er sie hierhergebracht hatte.
Immerhin hatte sie ihm versichert, es wäre kein Problem für sie, allein herumzuschlendern, während er sich umzog und auf seinen Auftritt vorbereitete.
Und darauf sollte er sich jetzt am besten auch konzentrieren, dachte er, schloss die Schnallen seines Kilts an Taille und Hüfte und griff nach den langen Wollstrümpfen. Sein Auftritt war am frühen Nachmittag, eine Dreiviertelstunde, und dann noch eine kürzere Soloeinlage beim abendlichen ceilidh. Er hatte sich die Reihenfolge der Songs grob zurechtgelegt, doch es kam immer auch auf das Publikum an. Waren viele Frauen da, kamen die Balladen gut an, überwogen die Männer, wählte er mehr Kriegerisches – »Killiecrankie« und »Montrose«, »Guns and Drums«. Zotiges funktionierte am besten, wenn sich das Publikum gut aufgewärmt hatte – am besten mit dem einen oder anderen Bier.
Er schlug die Strumpfbündchen ordentlich um und ließ den sgian dhu hineingleiten, so dass er fest an seinem rechten Unterschenkel lag. Er schnürte seine Stiefel zu, wobei er sich etwas beeilte. Er hatte vor, Brianna zu suchen, sich ein bisschen Zeit zum Herumspazieren zu nehmen, ihr etwas zum Essen zu kaufen, dafür zu sorgen, dass sie beim Konzert einen guten Platz bekam.
Er schwang sich das Plaid über die Schulter, befestigte seine Brosche, umgürtete sich mit Dolch und Sporran, und dann war er so weit. Oder doch nicht ganz. Auf halbem Weg zur Tür hielt er inne.
Die uralte olivfarbige Unterhose stammte aus Militärbeständen, zirka Zweiter Weltkrieg, eins der wenigen Erinnerungsstücke an seinen Vater, die Roger besaß. Normalerweise trug er selten Unterhosen, doch manchmal benutzte er sie unter seinem Kilt als Verteidigungsmaßnahme gegen die erstaunliche Unverfrorenheit mancher Zuhörerinnen. Andere Musiker hatten ihn gewarnt, doch er hätte ihnen nicht geglaubt, hätte er es nicht am eigenen Leib erfahren. Deutsche waren am schlimmsten, aber er war auch schon auf einige Amerikanerinnen getroffen, die sich fast genauso viel herausnahmen, wenn er in ihre Nähe geriet.
Er glaubte nicht, dass solche Vorsichtsmaßnahmen hier nötig waren; das Publikum machte einen zivilisierten Eindruck, und er hatte gesehen, dass die Bühne außer Reichweite war. Und wenn er nicht auf der Bühne stand, würde Brianna bei ihm sein, und falls sie vorhatte, sich etwas herauszunehmen … Er warf die Unterhose wieder in die Tasche, oben auf den braunen Umschlag.
»Drück mir die Daumen, Paps«, flüsterte er und ging sie suchen.
»Wahnsinn!« Sie ging um ihn herum und machte Stielaugen. »Roger, du bist eine Wucht!« Sie lächelte ein wenig schief. »Meine Mutter hat immer gesagt, dass Männer in Kilts unwiderstehlich sind. Da hatte sie wohl recht.«
Er sah, wie sie schluckte, und hätte sie am liebsten für ihre Tapferkeit umarmt, doch sie hatte sich schon abgewandt und zeigte auf die Imbissbuden.
»Hast du Hunger? Ich habe mich umgesehen, während du dich umgezogen hast. Wir können wählen zwischen Tintenfischspießchen, Baja Fischtacos, polnischen Hot Dogs –«
Er nahm sie am Arm und drehte sie zu sich um.
»Hey«, sagte er leise, »es tut mir leid. Ich hätte dich nicht hergebracht, wenn ich geahnt hätte, dass es so ein Schock für dich sein würde.«
»Schon in Ordnung.« Diesmal war ihr Lächeln überzeugender. »Es ist – ich bin froh, dass du mich mitgenommen hast.«
»Wirklich?«
»Ja. Wirklich. Es ist –« Sie deutete hilflos auf das karierte Getümmel um sie herum. »Es ist so – schottisch.«
Fast hätte er gelacht: Nichts hätte Schottland weniger ähneln können als diese Mischung aus Touristennepp und dreistem Verkauf von pseudotraditionellem Ramsch. Gleichzeitig hatte sie recht, es war typisch schottisch, ein Beispiel für das uralte Überlebenstalent der Schotten – die Fähigkeit, sich allen Verhältnissen anzupassen und daraus Profit zu schlagen.
Diesmal umarmte er sie wirklich. Ihr Haar roch sauber und nach frischem Gras, und er spürte ihr Herz unter ihrem weißen T-Shirt schlagen.
»Du bist auch Schottin, weißt du?«, flüsterte er ihr ins Ohr und ließ sie wieder los. Ihre Augen leuchteten immer noch, aber jetzt lag ein anderer Ausdruck darin, dachte er.
»Da hast du wohl recht«, sagte sie und lächelte wieder, diesmal von Herzen. »Das heißt aber nicht, dass ich Haggis essen muss, oder? Ich habe da drüben welchen gesehen und mir gedacht, ich versuche es lieber mit einem Tintenfischspießchen.«
Er hatte gedacht, sie hätte einen Witz gemacht, aber das stimmte nicht. Der Veranstaltungsort hatte sich voll und ganz auf »folkloristische Veranstaltungen« verlegt, wie es einer der Standbetreiber nannte.