»Oh, da werdet Ihr wohl ein Kräuterweiblein sein, was?«
»Meint Ihr?«
Er drehte meine Hand sanft um und zeichnete die Chlorophyllspuren um meine Fingernägel nach.
»Eine Dame mit grünen Fingern hat vielleicht nur ihre Rosen geschnitten, aber eine Dame, deren Hände nach Sassafraswurzeln und Chinarinde riechen, weiß sicher nicht nur, wie man Blumen zum Blühen bringt. Meinst du nicht auch?«, fragte er, freundlich an Ian gewandt, der Mr. Myers mit unverhohlenem Interesse betrachtete.
»Oh, aye«, versicherte Ian ihm. »Tante Claire ist eine berühmte Heilerin. Eine weise Frau.« Er sah mich stolz an.
»Wirklich, mein Junge?« Mr. Myers’ Augen weiteten sich interessiert und richteten sich wieder auf mich. »Da soll mich doch der Teufel holen. Und ich hab schon gedacht, ich müsste warten, bis ich in die Berge komme und mir einen Schamanen dafür suchen kann.«
»Seid Ihr krank, Mr. Myers?«, fragte ich. Er machte nicht den Eindruck, doch wegen seiner Haare und des Bartes war es schwer zu beurteilen, außerdem schien eine dünne Schicht schmutzig braunen Staubes sämtliche Körperteile zu bedecken, die nicht unter seinen zerlumpten Lederhosen verschwanden. Die Stirn war die einzige Ausnahme. Normalerweise schützte sie der schwarze Filzhut vor der Sonne, doch jetzt war sie unseren Blicken ausgesetzt, eine reinweiße Fläche.
»Nicht direkt krank, glaub ich«, antwortete er. Er stand plötzlich auf und begann, sein Wildlederhemd hochzuschieben. »Es ist jedenfalls kein Tripper und auch nicht die Franzosenkrankheit; die habe ich schon mal gesehen.« Was ich für Hosen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit lange Wildlederleggings, ergänzt durch einen Lendenschurz. Beim Weiterreden ergriff Mr. Myers das Lederband, welches das letztgenannte Bekleidungsstück in Position hielt, und kämpfte mit dem Knoten.
»Ist auch so ärgerlich genug; da war ganz plötzlich diese Riesenbeule hinter meinen Eiern. Ziemlich lästig, wie Ihr Euch vorstellen könnt, obwohl ich nicht sagen könnte, dass es weh tut, außer beim Reiten. Ob Ihr wohl einen Blick darauf werfen wollt und mir sagt, was ich am besten dagegen tue, hm?«
»Äh …«, sagte ich und warf Fergus einen verzweifelten Blick zu, doch der Mistkerl verlagerte nur seinen Bohnensack und machte ein belustigtes Gesicht.
»Habe ich das Vergnügen, die Bekanntschaft von Mr. John Myers zu machen?«, fragte eine höfliche schottische Stimme über meine Schulter hinweg.
Mr. Myers hörte auf, an seinem Lendenschurz herumzufummeln, und blickte fragend auf.
»Kann nicht sagen, ob es ein Vergnügen für Euch wird, Sir«, antwortete er zuvorkommend. »Aber wenn Ihr Myers sucht, habt Ihr ihn gefunden.«
Jamie trat näher und schob sich taktvoll zwischen mich und Mr. Myers’ Lendenschurz. Er verbeugte sich förmlich, den Hut unterm Arm.
»James Fraser, zu Euren Diensten, Sir. Man hat mir gesagt, ich sollte Euch gegenüber den Namen Hector Cameron erwähnen.«
Mr. Myers betrachtete Jamies rotes Haar mit Interesse.
»Schotte, ja? Seid Ihr einer von diesen Highlandern?«
»Ich bin Schotte, aye, und Highlander.«
»Seid Ihr mit dem alten Hector Cameron verwandt?«
»Er ist ein angeheirateter Onkel, Sir, aber ich bin ihm noch nie begegnet. Ich habe gehört, dass Ihr gut mit ihm bekannt seid und uns vielleicht zu seiner Plantage führen könnt.«
Die beiden Männer taxierten einander unverhüllt, musterten einander während des Gespräches von Kopf bis Fuß und begutachteten dabei Haltung, Kleidung und Bewaffnung ihres Gegenübers. Jamies Augen ruhten zustimmend auf dem langen Messer, das in einer Scheide am Gürtel des Waldläufers hing, während Mr. Myers’ Nüstern vor Interesse bebten.
»Comme deux chiens«, bemerkte Fergus leise hinter mir. Wie zwei Hunde. »… aux culs.« Als Nächstes werden sie sich noch gegenseitig am Hintern schnüffeln.
Mr. Myers warf Fergus einen schnellen Blick zu, und ich sah die haselnussbraunen Augen belustigt aufblitzen, bevor er sich wieder Jamie zuwandte. Der Bergläufer mochte unkultiviert sein, doch er hatte ganz offensichtlich Grundkenntnisse in Französisch.
Da ich Mr. Myers’ ausgeprägten Geruchssinn und seinen Mangel an Scheu schon kannte, wäre ich wahrscheinlich nicht überrascht gewesen, wenn er Fergus’ Vorschlag in die Tat umgesetzt hätte. Doch er gab sich mit einer kurzen Inspektion zufrieden, in die er nicht nur Jamie, sondern auch Ian, Fergus, mich selbst und Rollo einbezog.
»Netter Hund«, sagte er beiläufig und hielt Letzterem einen Satz massiver Knöchel vor die Nase. Rollo nahm die Einladung an und beschnüffelte Myers nun angeregt von den Mokassins bis zum Lendenschurz, während das Gespräch weiterging.
»Euer Onkel also. Weiß er, dass Ihr kommt?«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihm vor einem Monat von Georgia aus einen Brief geschickt, aber ich habe keine Ahnung, ob er ihn schon bekommen hat.«
»Wohl nicht«, sagte Myers nachdenklich. Sein Blick verweilte auf Jamies Gesicht und schweifte dann schnell über uns alle.
»Eure Frau kenne ich schon. Ist das Euer Sohn?« Er deutete auf Ian.
»Mein Neffe Ian. Mein angenommener Sohn Fergus.« Jamie erledigte die Vorstellung mit einer Handbewegung. »Und ein Freund, Duncan Innes, der gleich kommt.«
Myers grunzte, nickte, und traf seinen Entschluss.
»Doch, ich denke schon, dass ich Euch zu den Camerons bringen kann. Wollte sichergehen, dass Ihr zur Verwandtschaft gehört, aber Ihr seht aus wie die Witwe Cameron, im Gesicht. Der Junge auch ein bisschen.«
Jamie fuhr auf.
»Die Witwe Cameron?«
Ein Lächeln huschte durch das Bartdickicht.
»Der alte Hector hat letzten Winter eine schlimme Halsentzündung bekommen und ist daran gestorben. Schätze, dass man da, wo er jetzt ist, nicht viel Post bekommt.«
Damit hatten die Camerons als Gesprächsstoff ausgedient. Er griff dringendere persönliche Probleme auf und nahm seine Ausgrabungsarbeiten wieder auf.
»Dickes lila Ding«, erklärte er mir und zupfte an seinem gelockerten Lederband herum. »Fast so groß wie eins von meinen Eiern. Ihr glaubt nicht, dass mir irgendwie, also … eins extra gewachsen ist, oder?«
»Nein«, sagte ich und biss mir auf die Lippe. »Das bezweifle ich wirklich.« Seine Bewegungen waren sehr langsam, doch er hatte den Knoten fast gelöst; die Leute blieben schon stehen und starrten ihn an.
»Bitte macht Euch keine Mühe«, sagte ich. »Ich glaube, ich weiß, was es ist – es ist eine Leistenhernie.«
Seine Augen weiteten sich.
»Wirklich?« Die Nachricht schien ihn zu beeindrucken und ihm nicht im Geringsten unangenehm zu sein.
»Ich müsste es mir ansehen – irgendwo drinnen«, fügte ich hastig hinzu, »um ganz sicher zu sein, doch es hört sich danach an. Man kann es chirurgisch leicht beheben, aber …« Ich zögerte und sah an dem Koloss hoch. »Ich könnte wirklich nicht – also, Ihr müsst schlafen. Bewusstlos sein«, betonte ich. »Ich müsste Euch aufschneiden und wieder zunähen, versteht Ihr? Vielleicht wäre doch ein Bruchband – ein Stützgurt – besser.«
Myers kratzte sich langsam am Kinn und dachte nach.
»Nein, hab ich schon versucht. Aber aufschneiden … Bleibt Ihr noch etwas in der Stadt, bevor Ihr zu den Camerons aufbrecht?«
»Nicht lange«, unterbrach Jamie bestimmt. »Wir fahren flussaufwärts zum Gut meiner Tante, sobald wir ein Boot finden.«
»Oh.« Der Riese dachte einen Augenblick nach und nickte dann freudestrahlend.
»Ich weiß den richtigen Mann für Euch, Sir. Ich gehe gleich los und hole Josh Freeman aus dem Sailor’s Rest. Die Sonne steht noch hoch, er wird noch nicht zu betrunken zum Verhandeln sein.« Er verbeugte sich überschwenglich vor mir und hielt sich dabei den zerknautschten Hut vor den Bauch. »Und vielleicht hat dann Eure Frau die Güte, mit mir in das Wirtshaus da drüben zu gehen – das ist ein bisschen feiner als das Sailor’s – und sich diese … diese …« – ich sah, wie er in seinem Gedächtnis nach dem Wort kramte und dann aufgab –, »dieses Hindernis hier anzusehen.«