Der Rubin war groß, das stimmte; er hatte fast die Größe der eingelegten Wachteleier, die den vollständig gefiederten Fasan auf der Anrichte umrahmten. Und was seine Makellosigkeit anging, so hatte ich keinerlei Zweifel. Geillis hatte darauf vertraut, dass dieser Stein sie in die Zukunft tragen würde, da würde er uns wohl bis Cross Creek bringen. Ich kostete das Gericht auf meinem Teller; eine Art Ragout, dachte ich, sehr zart und aromatisch.
»Wie köstlich das ist«, sagte ich zu Mr. Stanhope und nahm noch eine Gabel. »Wisst Ihr, was das ist?«
»Oh, das ist eins meiner Lieblingsgerichte, Ma’am«, sagte er und roch selig an seinem Teller. »Eingelegter Schweinskopf. Himmlisch, nicht wahr?«
Ich schloss die Tür von Vetter Edwins Zimmer hinter mir und lehnte mich dagegen, während ich vor Erleichterung darüber, nicht mehr ständig lächeln zu müssen, meine Kinnlade herunterfallen ließ. Jetzt konnte ich das Kleid ausziehen, das mir am Körper klebte, das enge Mieder aufschnüren und aus den verschwitzten Schuhen schlüpfen.
Friede, Einsamkeit, Nacktheit und Stille. Ich konnte mir im Augenblick nicht vorstellen, was mir sonst noch zum vollkommenen Glück fehlen sollte, vielleicht mit Ausnahme von frischer Luft. Ich zog mich aus und ging, nur mit meinem Hemd bekleidet, zum Fenster.
Draußen war die Luft so dick, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte aus dem Fenster steigen und heruntersinken können wie ein Kiesel in einem Glas Melasse. Insekten stürzten sich lichthungrig und blutrünstig auf meine Kerzenflamme. Ich blies sie aus, setzte mich im Dunkeln auf die Fensterbank und ließ mich von der sanften, warmen Luft einhüllen.
Der Rubin hing immer noch um meinen Hals, schwarz wie ein Blutstropfen auf meiner Haut. Ich berührte ihn und ließ ihn sanft zwischen meinen Brüsten schwingen; der Stein war auch so warm wie mein Blut.
Draußen machten sich die Gäste auf den Heimweg. In der Auffahrt warteten eine Reihe Kutschen. Abschiedsgrüße, Unterhaltungen und leises Gelächter trieben in Fetzen zu mir herauf.
»… sehr geistreich, fand ich«, hörte ich Phillip Wylies gepflegten Singsang.
»Oh, geistreich, natürlich war das geistreich!« Die schrille Stimme seiner Schwester besagte deutlich, was sie von Esprit hielt.
»Nun, man kann es tolerieren, wenn eine Frau geistreich ist, meine Liebe, solange sie auch hübsch anzusehen ist. Ebenso kann eine schöne Frau vielleicht auf Klugheit verzichten, solange sie die Geistesgegenwart besitzt, diesen Mangel zu verbergen, indem sie den Mund hält.«
Man konnte Miss Wylie vielleicht nicht des Esprits bezichtigen, doch sie hatte sicherlich genug Verstand, um diesen Seitenhieb zu verstehen. Sie schnaubte wenig damenhaft.
»Sie ist mindestens tausend Jahre alt«, antwortete sie. »Hübsch anzusehen, lieber Himmel. Aber ich muss zugeben, dass sie einen hübschen Edelstein um den Hals hatte«, fügte sie neidisch hinzu.
»Das ist wahr«, sagte eine tiefere Stimme, die ich als diejenige Lloyd Stanhopes erkannte. »Obwohl es meiner Meinung nach die Fassung war, die bemerkenswert war, nicht der Stein.«
»Fassung?« Miss Wylie klang verständnislos. »Es gab keine Fassung, der Stein lag einfach nur in ihrem Ausschnitt.«
»Wirklich?«, sagte Stanhope höflich. »Das war mir gar nicht aufgefallen.« Wylie brach in Gelächter aus und hielt abrupt inne, als sich die Tür öffnete und weitere Gäste herauskamen.
»Tja, mein Guter, vielleicht ist es Euch nicht aufgefallen, anderen aber schon«, sagte er verschmitzt. »Kommt, hier ist der Wagen.«
Ich berührte den Rubin erneut und sah zu, wie die prachtvollen Grauschimmel der Wylies davontrabten. Ja, andere hatten es auch bemerkt. Ich konnte immer noch den Blick des Barons in meinem Ausschnitt spüren, voll unverhohlener Gier. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht nur ein Kenner von Edelsteinen war.
Der Stein lag warm in meiner Hand, er fühlte sich noch wärmer an als meine Haut, doch das musste Einbildung sein. Ich trug normalerweise keinen Schmuck außer meinen Eheringen; ich hatte mir nie viel daraus gemacht. Es würde eine große Erleichterung bedeuten, wenigstens einen Teil unseres gefährlichen Schatzes loszuwerden. Und doch saß ich da und wog den Stein in meiner Hand, bis ich beinahe das Gefühl hatte, ich könnte ihn wie ein kleines Herz spüren, im Takt mit meinem Puls.
Es war nur noch eine Kutsche da, deren Fahrer vorn bei den Pferden stand. Vielleicht zwanzig Minuten später trat ihr Besitzer nach draußen und fügte seinen Abschiedsgrüßen auf Deutsch ein gutgelauntes »Gute Nacht« hinzu, als er in den Wagen stieg. Der Baron. Er hatte bis zum Schluss gewartet und fuhr nun in guter Stimmung heim; das musste ein gutes Zeichen sein.
Einer der Lakaien, jetzt ohne den Rock seiner Livree, löschte die Fackeln an der Einfahrt. Ich sah sein Hemd als bleichen Fleck, als er im Dunkeln zum Haus zurückging, dann einen hellen Lichtschein, als sich eine Tür öffnete, um ihn einzulassen. Danach wurde es dunkel, und die Stille der Nacht senkte sich auf das Anwesen.
Ich war davon ausgegangen, dass Jamie sofort hochkommen würde, doch die Minuten verstrichen, ohne dass seine Schritte erklangen. Ich blickte zum Bett, verspürte aber kein Bedürfnis, mich hinzulegen.
Schließlich stand ich auf und zog mir das Kleid wieder über, ohne mir jedoch den Umstand mit Schuhen oder Strümpfen zu machen. Ich verließ das Zimmer und ging leise auf nackten Füßen über den Flur, die Treppe hinunter, durch die Pergola zum Haupthaus und durch den Nebeneingang hinein. Bis auf die bleichen Quadrate, die das Mondlicht auf den Boden malte, war es dunkel; die meisten Bediensteten hatten sich wohl gleichzeitig mit den Hausherren und Gästen zurückgezogen. Doch durch das Treppengeländer fiel ein Lichtschein; die Kerzenleuchter im Speisezimmer brannten noch.
Als ich auf Zehenspitzen an der gebohnerten Treppe vorbeihuschte, hörte ich das Gemurmel von Männerstimmen; Jamies tiefes, weiches Schottisch wechselte mit dem englischen Tonfall des Gouverneurs im intimen Rhythmus des Zwiegesprächs.
Die Kerzen waren in den Haltern heruntergebrannt. Der Geruch von Bienenwachs hing süß in der Luft, und schwere, duftende Zigarrenrauchwolken schwebten vor der Tür des Speisezimmers.
Ich bewegte mich geräuschlos und blieb neben der Tür stehen. Von diesem Punkt aus konnte ich den Gouverneur sehen. Er drehte mir den Rücken zu und reckte den Kopf, um sich eine neue Zigarre an der Kerze auf dem Tisch anzuzünden.
Falls Jamie mich sah, war es ihm nicht anzumerken. Sein Gesicht trug den üblichen Ausdruck ruhiger Freundlichkeit. Die jüngsten Falten der Anspannung um Augen und Mund hatten sich geglättet, und ich konnte an der Haltung seiner Schultern sehen, dass er entspannt und zufrieden war. Mir wurde augenblicklich leichter ums Herz – er hatte also Erfolg gehabt.
»Ein Gut, das River Run heißt«, sagte er zum Gouverneur. »Oben in den Hügeln hinter Cross Creek.«
»Ich kenne es«, bemerkte Gouverneur Tryon etwas überrascht. »Meine Frau und ich haben letztes Jahr einige Tage in Cross Creek verbracht; wir haben anlässlich meiner Amtsübernahme eine Rundreise durch die Kolonie gemacht. River Run liegt ein gutes Stück in den Bergen, nicht in der Stadt – eigentlich wohl fast im Gebirge, glaube ich.«
Jamie lächelte und nippte an seinem Brandy.
»Aye«, sagte er, »meine Familie kommt aus den Highlands, Sir, da werden wir uns wie daheim fühlen.«
»Soso.« Ein kleines Rauchwölkchen stieg über der Schulter des Gouverneurs auf. Dann nahm er die Zigarre aus dem Mund und beugte sich vertraulich zu Jamie hinüber.
»Da wir unter uns sind, Mr. Fraser – ich wollte Euch noch eine andere Angelegenheit vortragen. Nehmt Ihr noch ein Glas?« Ohne die Antwort abzuwarten, hob er die Karaffe und schenkte Brandy nach.
»Ich danke Euch, Sir.«
Der Gouverneur zog einen Moment lang kräftig an seiner Zigarre und erzeugte blaue Rauchwolken. Als sein Kraut gut brannte, lehnte er sich zurück, und die Zigarre qualmte vergessen in seiner Hand.