»›Möge ich Frau und Kinder, Vater, Mutter und Verwandte niemals wiedersehen. Möge ich in der Schlacht als Feigling sterben und ohne christliches Begräbnis in einem fremden Land ruhen, fern von den Gräbern meiner Vorfahren und meiner Sippe; möge all dies mich ereilen, wenn ich meinen Eid breche.‹«
»Und, war es schlimm für dich?«, fragte ich einen Augenblick später.
»Nein«, sagte er leise und blickte weiter in die Nacht hinaus. »Damals nicht. Es gibt Dinge, für die es sich zu sterben oder zu hungern lohnt – aber Worte gehören nicht dazu.«
»Vielleicht nicht diese Worte.«
Er wandte sich mir zu; seine Gesichtszüge verschwammen im Sternenschein, doch in seinem Mundwinkel erschien die Spur eines Lächelns.
»Kennst du denn Worte, die es wert wären?«
Der Grabstein trug seinen Namen, aber kein Datum. Ich konnte ihn bestimmt davon abhalten, nach Schottland zurückzukehren. Wenn ich es wollte.
Ich sah ihn an und lehnte mich an den Fensterrahmen.
»Was ist mit – ›Ich liebe dich‹?«
Er streckte die Hand aus und berührte mein Gesicht. Ein Lufthauch strich an uns vorbei, und ich sah, wie sich die Härchen an seinem Arm aufrichteten.
»Aye«, flüsterte er. »Die schon.«
Irgendwo in der Nähe sang ein Vogel. Ein paar klare Töne, denen eine Antwort folgte, ein kurzes Zwitschern und dann Stille. Der Himmel draußen war immer noch tiefschwarz, doch die Sterne leuchteten nicht mehr so hell wie zuvor.
Ich drehte mich unruhig um. Ich war nackt, nur mit einem Leinenlaken zugedeckt, doch selbst in den frühen Morgenstunden war die Luft noch warm und erdrückend, und die flache Mulde, in der ich lag, war feucht.
Ich hatte versucht zu schlafen und konnte es nicht. Normalerweise versetzte es mich in wohlige Benommenheit, wenn ich mit Jamie schlief, doch diesmal hatte es meine Unruhe nur vergrößert, und ich fühlte mich klebrig. Aufgeregt und besorgt zugleich über unsere Zukunftsaussichten – und unfähig, mit ihm darüber zu reden –, hatte ich mich von Jamie getrennt gefühlt; entfremdet und distanziert, obwohl unsere Körper nah beieinanderlagen.
Ich drehte mich wieder um, diesmal zu Jamie. Er lag da wie immer, auf dem Rücken, das Laken um die Hüften geknüllt, die Hände sanft auf seinem flachen Bauch gefaltet. Sein Kopf lag seitlich auf dem Kissen, und sein Gesicht war im Schlaf entspannt. Jetzt, wo der Schlummer seinen breiten Mund sanfter aussehen ließ und seine dunklen Wimpern auf seinen Wangen lagen, sah er in dem gedämpften Licht aus, als wäre er vielleicht vierzehn.
Ich hätte ihn gern berührt, wusste aber nicht, ob ich ihn liebkosen oder treten wollte. Er hatte mir zwar körperliche Erleichterung verschafft, doch er hatte mir meinen Seelenfrieden genommen, und irrationalerweise beneidete ich ihn um seinen ungestörten Schlaf.
Ich überlegte es mir anders und legte mich einfach nur auf den Rücken. Ich lag mit geschlossenen Augen da und zählte grimmig Schafe – doch sie erwiesen sich als schottische Schafe, die fröhlich über einen Kirchhof trabten und unbekümmert über Grabsteine hüpften.
»Machst du dir über irgendetwas Sorgen, Sassenach?«, sagte eine schläfrige Stimme neben mir.
Ich schlug die Augen auf.
»Nein«, sagte ich und versuchte, genauso müde zu klingen. »Mir geht’s gut.«
Ich hörte ein unterdrücktes Prusten, und die spreugefüllte Matratze knisterte, als er sich umdrehte.
»Du bist eine furchtbar schlechte Lügnerin, Sassenach. Du denkst so laut nach, dass ich dich von hier aus hören kann.«
»Man kann niemanden denken hören.«
»Aye, ich kann es. Dich zumindest.« Er lachte leise und streckte eine Hand aus, die sich träge auf meinen Oberschenkel legte. »Was ist los – hast du Blähungen von den Krebsen?«
»Nein!« Ich versuchte, mein Bein wegzuziehen, doch seine Hand hing wie eine Klette an mir.
»Das freut mich. Was ist es dann – ist dir endlich die passende Antwort auf Wylies Bemerkungen über Austern eingefallen?«
»Nein«, sagte ich irritiert. »Wenn du es wirklich wissen willst: Ich habe an das Angebot gedacht, das Gouverneur Tryon dir gemacht hat. Kannst du vielleicht mein Bein loslassen?«
»Ah«, sagte er, ohne mich loszulassen, aber in weniger schläfrigem Ton. »Also, darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.«
»Und was denkst du darüber?« Ich gab den Versuch auf, seine Hand abzuschütteln, und stützte mich auf den Ellbogen, so dass ich ihn ansehen konnte. Draußen war es immer noch schwarz, doch die Sterne waren sichtbar verblasst, ausgelöscht vom bevorstehenden Tagesanbruch.
»Zum einen habe ich mich gefragt, warum er es mir gemacht hat.«
»Wirklich? Aber ich dachte, das hat er dir gesagt.«
Er grunzte kurz.
»Na ja, er bietet mir das Land bestimmt nicht an, weil ich so schöne blaue Augen habe, so viel kann ich dir sagen.« Er öffnete die besagten Augen und zog die Augenbraue hoch. »Bevor ich ein Geschäft mache, Sassenach, will ich über die Vor- und Nachteile Bescheid wissen.«
»Du meinst, er sagt über die Landvergabe durch die Krone nicht die Wahrheit? Aber er sagt, das wird schon seit dreißig Jahren so gehandhabt«, protestierte ich. »Er kann doch bei so etwas nicht lügen.«
»Nein, das ist wahr«, stimmte er zu. »Auf den ersten Blick. Aber Bienen mit Honig im Rüssel haben hinten Stacheln, aye?« Er kratzte sich am Kopf und strich sich seufzend eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Frag dich noch mal Folgendes, Sassenach«, sagte er. »Warum ich?«
»Hm – weil er einen Mann von großer Autorität und Zuverlässigkeit braucht«, sagte ich langsam. »Er braucht einen geborenen Anführer, und Vetter Edwin hat ihm offensichtlich gesagt, dass du einer bist, und einen einigermaßen reichen Mann –«
»Was ich nicht bin.«
»Das weiß er aber nicht«, wandte ich ein.
»Nein?«, fragte er zynisch. »Vetter Edwin hat ihm sicher alles erzählt, was er weiß – und der Gouverneur weiß genau, dass ich Jakobit war. Sicher, einige haben nach dem Aufstand auf den Westindischen Inseln ein Vermögen gemacht, und ich könnte natürlich einer davon sein – aber er hat keinen Grund, das anzunehmen.«
»Er weiß, dass du nicht völlig mittellos bist.«
»Wegen Penzler? Aye«, sagte er nachdenklich. »Was weiß er sonst noch über mich?«
»Soviel ich weiß, nur das, was du ihm beim Essen erzählt hast. Und er kann kaum viel von anderen über dich erfahren haben; schließlich bist du gerade erst in der Stadt ange– was, du meinst, das ist es?«
Meine Stimme schwoll ungläubig an, und er lächelte etwas grimmig. Die Dämmerung war immer noch weit weg, doch sie rückte näher, und seine Gesichtszüge waren jetzt klar umrissen.
»Aye, das ist es. Ich habe Verbindungen zu den Camerons, die nicht nur reich, sondern in der Kolonie auch hochangesehen sind. Doch gleichzeitig bin ich auch neu hier und habe kaum Verbindungen und bin noch niemandem verpflichtet.«
»Mit Ausnahme des Gouverneurs vielleicht, der dir ein beträchtliches Stück Land anbietet«, sagte ich langsam.
Er antwortete nicht sofort, sondern rollte sich auf den Rücken, hielt aber immer noch mein Bein fest. Sein Blick war auf die weiße Stuckdecke mit ihren verschwommenen Girlanden und geisterhaften Putten gerichtet.
»Ich bin schon früher dem einen oder anderen Deutschen begegnet, Sassenach«, sagte er sinnierend. Sein Daumen begann, über die empfindliche Innenseite meines Oberschenkels zu streicheln. »Und ich kann nicht sagen, dass sie unvorsichtig mit ihrem Geld umgegangen wären. Und du hast heute Abend zwar ausgesehen wie eine weiße Rose, aber ich glaube nicht, dass es allein deine Reize waren, die den Herrn dazu bewegt haben, mir hundert Pfund mehr als der Goldschmied zu bieten.«
Er sah mich an. »Tryon ist Soldat. Er weiß mit Sicherheit, dass ich auch einer bin. Und dann gab es da vor zwei Jahren diesen kleinen Zwischenfall mit den Regulatoren.«
Mein Verstand war so sehr von den Möglichkeiten abgelenkt, die sich aus seinen Worten ergaben, dass ich mir der zunehmenden Vertraulichkeiten der Hand zwischen meinen Oberschenkeln kaum bewusst war.