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»Das ist ein Prachtkerl, Ian«, sagte er und kraulte das Vieh vertraulich unter dem Kinn. Die gelben Augen verengten sich leicht, vielleicht, weil das Tier die Aufmerksamkeit genoss, vielleicht aber auch – was ich für wahrscheinlicher hielt –, weil es sich schon darauf freute, Jamie die Nase abzubeißen. »Ist aber größer als ein Wolf; hat einen breiteren Kopf und Brustkorb und etwas längere Beine.«

»Seine Mutter war eine Irische Wolfshündin.« Ian kauerte neben Jamie und erklärte begeistert, während er den enormen graubraunen Rücken streichelte. »Sie hat sich in den Wald davongemacht, als sie läufig war, und als sie trächtig zurückkam –«

»Oh, aye, ich verstehe.« Jetzt turtelte Jamie auf Gälisch mit dem Monster, hob seine riesige Pfote hoch und spielte mit seinen behaarten Zehen. Die gebogenen schwarzen Krallen waren gut fünf Zentimeter lang. Das Vieh schloss halb die Augen, und der leichte Luftzug zerzauste ihm die dichten Nackenhaare.

Ich sah zu Duncan hinüber, der die Augenbrauen hochzog, fast unmerklich mit den Achseln zuckte und seufzte. Duncan machte sich nichts aus Hunden.

»Jamie –«, sagte ich.

»Balach boidheach«, sagte Jamie zu dem Wolf. »Ja, bist du denn mein Hübscher?«

»Was würde er fressen?«, fragte ich, etwas lauter als notwendig.

Jamie hörte auf, das Tier zu liebkosen.

»Oh«, sagte er. Er betrachtete das gelbäugige Vieh mit beträchtlichem Bedauern. »Tja.« Er erhob sich und schüttelte widerstrebend den Kopf.

»Ich fürchte, deine Tante hat recht, Ian. Womit sollen wir ihn füttern?«

»Ach, das ist kein Problem, Onkel Jamie«, versicherte Ian ihm. »Er jagt für sich selbst.«

»Hier?« Ich ließ meinen Blick über die Lagerhäuser und die stuckverzierte Ladenzeile dahinter schweifen. »Was jagt er denn, Kleinkinder?«

Ian sah ein bisschen beleidigt aus.

»Natürlich nicht, Tante Claire. Fische.«

Angesichts der drei skeptischen Gesichter, die ihn umringten, fiel Ian auf die Knie, ergriff die Schnauze des Tieres mit beiden Händen und zog sie auf.

»Ehrlich! Ich schwöre es, Onkel Jamie! Hier, riech mal seinen Atem!«

Jamie bedachte die zur Schau gestellte Doppelreihe eindrucksvoll glänzender Fänge mit einem verzweifelten Blick und rieb sich das Kinn.

»Ich – äh, ich glaube dir, Ian. Aber trotzdem – um Himmels willen, pass auf deine Finger auf, Junge!« Ian hatte seinen Griff gelockert, und die massiven Kiefer schnappten zu und versprühten Speicheltropfen über die Kaimauer.

»Alles in Ordnung, Onkel Jamie«, sagte Ian fröhlich und wischte sich die Hand an seiner Kniehose ab. »Er würde mich nicht beißen, da bin ich mir sicher. Er heißt Rollo.«

Jamie rieb sich mit den Fingerknöcheln über die Oberlippe.

»Mmpf. Tja, egal, wie er heißt und was er frisst, ich glaube nicht, dass der Kapitän der Bonnie Mary über seine Anwesenheit im Mannschaftsquartier besonders begeistert wäre.«

Ian sagte nichts, doch der frohe Ausdruck verschwand nicht aus seinem Gesicht. Er wurde eher noch stärker. Jamie sah ihn an, bemerkte sein leuchtendes Gesicht und erstarrte.

»Nein«, sagte er entsetzt. »Oh nein.«

»Doch«, sagte Ian. Ein breites, überglückliches Lächeln breitete sich auf seinem hageren Gesicht aus. »Sie ist vor drei Tagen abgesegelt, Onkel Jamie. Wir sind zu spät gekommen.«

Jamie sagte etwas auf Gälisch, das ich nicht verstand. Duncan machte ein schockiertes Gesicht.

»Verdammt!«, sagte Jamie, indem er wieder ins Englische wechselte. »Verflucht noch mal!« Jamie nahm seinen Hut ab und rieb sich fest mit der Hand über das Gesicht. Er sah erhitzt, zerzaust und durch und durch verärgert aus. Er machte den Mund auf, überlegte es sich wieder anders, schluckte das, was er beinahe gesagt hätte, hinunter und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wobei er das Haarband losriss, das sie zusammenhielt.

Ian machte ein verlegenes Gesicht.

»Tut mir leid, Onkel Jamie. Ich werde versuchen, dir keinen Kummer zu machen, ehrlich. Und ich kann arbeiten, ich werd genug für mein Essen verdienen.«

Jamies Gesichtsausdruck wurde weicher, als er seinen Neffen ansah. Er seufzte tief und klopfte Ian auf die Schulter.

»Es ist nicht so, dass ich dich nicht dabeihaben möchte, Ian. Du weißt, dass mir nichts lieber wäre, als dich hierzubehalten. Aber was zum Teufel wird deine Mutter sagen?«

Das Leuchten kehrte in Ians Gesicht zurück.

»Ich hab keine Ahnung, Onkel Jamie«, sagte er. »Aber sie wird es in Schottland sagen, oder? Und wir sind hier.« Er legte seine Arme um Rollo und drückte ihn. Der Wolf schien etwas verwirrt über die Geste, doch einen Augenblick später rollte er seine lange, rosafarbene Zunge aus und leckte Ian genüsslich am Ohr. Eine kleine Kostprobe, dachte ich zynisch.

»Außerdem«, fügte der Junge hinzu, »weiß sie ganz genau, dass ich in Sicherheit bin – du hast ihr aus Georgia geschrieben, dass ich bei dir bin.«

Jamie brachte ein trockenes Lächeln zustande.

»Ich glaube nicht, dass dieses Wissen sie übermäßig beruhigen wird, Ian. Sie kennt mich schon ziemlich lange, aye?«

Er seufzte und klatschte sich den Hut wieder auf den Kopf.

»Ich muss dringend etwas trinken, Sassenach«, sagte er. »Lass uns dieses Wirtshaus suchen.«

Im Willow Tree war es dunkel, und es hätte kühl sein können, wenn weniger Gäste da gewesen wären. Doch die Tische und Bänke waren mit Zaungästen von der Hinrichtung und Seeleuten von den Docks besetzt, und es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Dampfbad. Ich holte Luft, als ich in den Schankraum trat, und atmete schnell wieder aus. Es war, als atmete man durch ein Stück biergetränkte Schmutzwäsche.

Rollo stellte unverzüglich seinen Wert unter Beweis und zerteilte die Menge wie das Rote Meer, als er durch den Schankraum schlich, die Zähne zu einem konstanten, lautlosen Knurren entblößt. Kneipen waren ihm offenbar nicht neu. Nachdem er erfolgreich eine Eckbank für uns geräumt hatte, rollte er sich unter dem Tisch zusammen, und es sah so aus, als schliefe er ein.

Jetzt, wo Jamie der Sonne nicht mehr ausgesetzt war und ein großer Zinnkrug mit dunklem Ale sanft schäumend vor ihm stand, erlangte er schnell wieder seine übliche Selbstbeherrschung.

»Wir haben nur zwei Möglichkeiten«, sagte er und strich sich das schweißnasse Haar aus den Schläfen. »Wir können so lange in Charleston bleiben, bis wir vielleicht einen Käufer für einen der Steine finden und wir möglicherweise auf einem anderen Schiff Ians Überfahrt nach Schottland buchen können. Oder wir können uns nach Norden zum Cape Fear durchschlagen und vielleicht in Wilmington oder New Bern ein Schiff für ihn finden.«

»Ich bin für den Norden«, sagte Duncan, ohne zu zögern. »Du hast doch Verwandte in Cape Fear, oder? Mir gefällt die Vorstellung nicht, zu lange unter Fremden zu bleiben. Und deine Verwandtschaft würde dafür sorgen, dass wir nicht übers Ohr gehauen oder ausgeraubt werden. Hier –« Er zog die Schulter zu einer Geste hoch, die alles über die unschottischen – und damit automatisch unehrlichen – Menschen um uns herum sagte.

»Ach ja, lass uns nach Norden gehen, Onkel Jamie!«, sagte Ian schnell, bevor Jamie antworten konnte. Er wischte sich mit dem Ärmel einen kleinen Schnurrbart aus Bierschaum ab. »Die Reise könnte gefährlich werden; du brauchst bestimmt einen zusätzlichen Mann zum Schutz, aye?«

Jamie vergrub seine Miene in seinem Becher, aber ich saß nah genug bei ihm, um zu spüren, wie ihn ein Zittern überlief. Jamie hatte seinen Neffen wirklich herzlich gern. Was aber nichts daran änderte, dass Ian zu der Sorte Menschen gehörte, die das Missgeschick anzieht. Normalerweise konnte er nichts dafür, aber es passierte dennoch einfach immer wieder.

Im Jahr zuvor war der Junge von Piraten entführt worden, und weil wir ihn retten mussten, waren wir auf verschlungenen und oftmals gefährlichen Wegen nach Amerika gekommen. In letzter Zeit war nichts vorgefallen, aber ich wusste, dass Jamie darauf brannte, seinen fünfzehnjährigen Neffen zurück nach Schottland und zu seiner Mutter zu schicken, bevor es dazu kam.