Die Hand war dieselbe, blass, mit langen Fingern und knochigen Gelenken – seltsam nackt ohne den Ring, aber eindeutig meine Hand. Und doch lag sie in einer Hand, die so viel größer und rauher war, dass sie mir klein erschien und vergleichsweise zerbrechlich.
Seine andere Hand drückte fester zu, presste mir den Silberring in die Haut und erinnerte mich an das, was mir blieb. Ich hob seine Faust und drückte sie fest an mein Herz. Es begann zu regnen, in großen, nassen Tropfen, doch keiner von uns regte sich.
Der Regen setzte urplötzlich ein, warf einen Schleier über Schiff und Ufer und gab uns für einen Augenblick die Illusion, verborgen zu sein. Er lief kühl und weich über meine Haut und linderte vorübergehend die Wunden der Furcht und des Verlustes.
Ich fühlte mich furchtbar verletzlich und zugleich völlig sicher. Doch schließlich hatte ich mich in Jamie Frasers Nähe immer so gefühlt.
Vierter Teil
River Run
Kapitel 10
Jocasta
Cross Creek
North Carolina
Juni 1767
River Run lag am Ufer des Cape Fear, kurz hinter dem Zusammenfluss, nach dem Cross Creek benannt war. Cross Creek war recht groß, und ein belebter öffentlicher Kai und diverse große Lagerhäuser säumten das Ufer. Als die Sally Ann sich langsam durch die Fahrrinne arbeitete, hing ein starker, harziger Geruch über Stadt und Fluss, gefangen in der heißen, stickigen Luft.
»Himmel, als würde man Terpentin einatmen«, keuchte Ian, als eine weitere Welle des betäubenden Geruches über uns hinwegzog.
»Du atmest Terpentin ein, Mann.« Eutroclus’ Lächeln – ein seltener Anblick – blitzte weiß auf und verschwand wieder. Er deutete auf einen Schleppkahn, der an einem der Kais festgebunden war. Er war mit Fässern beladen, von denen manche eine dicke, schwarze Brühe durch undichte Nute ausschwitzten. Andere, größere Fässer trugen das Zeichen ihrer Besitzer, und darunter war ein großes T in das Kiefernholz eingebrannt.
»Genau«, stimmte Kapitän Freeman zu. Er blinzelte im hellen Sonnenlicht und wedelte sich mit der Hand vor der Nase herum, als könnte er so den Gestank vertreiben. »Um diese Jahreszeit kommen die Pechkocher aus dem Hinterland. Pech, Terpentin, Teer – verschiffen alles auf Kähnen nach Wilmington und schicken es von dort zu den Werften nach Charleston.«
»Ich glaube nicht, dass es nur Terpentin ist«, sagte Jamie. Er wischte sich mit einem Taschentuch über den Nacken und deutete auf das größte Lagerhaus, dessen Tor von rotberockten Soldaten flankiert war. »Riechst du es, Sassenach?«
Ich holte vorsichtig Luft. Es lag tatsächlich noch ein anderer Geruch in der Luft, scharf und vertraut. »Rum?«, sagte ich.
»Und Branntwein. Und außerdem noch etwas Portwein.« Jamies lange Nase zuckte, empfindsam wie die eines Mungos. Ich sah ihn amüsiert an.
»Du kannst es immer noch, stimmt’s?« Zwanzig Jahre zuvor hatte er in Paris die Weinhandlung seines Vetters Jared geführt, und seine Nase und sein Gaumen hatten bei allen Weinproben für Staunen gesorgt.
Er grinste.
»Na, ich könnte wohl immer noch einen Moselwein von Pferdepisse unterscheiden, wenn man ihn mir genau unter die Nase hält. Aber Rum von Terpentin zu unterscheiden, ist keine große Kunst, oder?«
Ian sog die Lunge mit Luft voll und stieß sie hustend wieder aus.
»Riecht alles gleich für mich«, sagte er kopfschüttelnd.
»Gut«, sagte Jamie. »Dann kriegst du Terpentin, wenn ich dir das nächste Mal einen ausgebe. Das wird dann viel billiger.«
Und im Schutz des allgemeinen Gelächters, das diese Bemerkung auslöste, fügte er hinzu: »Terpentin ist sowieso das Einzige, was ich mir im Moment leisten kann.« Er richtete sich auf und strich sich die Rockschöße glatt. »Wir sind bald da. Sehe ich sehr wie ein Bettler aus, Sassenach?«
Die Sonne glühte auf seinem ordentlich zusammengebundenen Haar, sein Profil hob sich scharf vom Gegenlicht ab, und ich persönlich fand, dass er umwerfend aussah – doch ich hatte den leisen, ängstlichen Unterton in seiner Stimme gehört und wusste nur zu gut, was er bedeutete. Er mochte keinen Pfennig besitzen, doch er hatte nicht vor, auch danach auszusehen.
Mir war klar, dass es seinem Stolz beträchtlich zusetzte, als armer, bettelnder Verwandter bei seiner Tante anzuklopfen. Die Tatsache, dass ihm diese Rolle aufgezwungen worden war, machte es nicht leichter.
Ich betrachtete ihn sorgfältig. Rock und Weste waren nicht aufsehenerregend, aber dank Vetter Edwin völlig akzeptabeclass="underline" ein unauffälliger, grauer Wollstoff von guter Qualität und Passform, die Knöpfe nicht aus Silber, jedoch auch nicht aus Holz oder Knochen – nüchternes Zinn wie bei einem wohlhabenden Quäker.
Nicht, dass er ansonsten auch nur die geringste Ähnlichkeit mit einem Quäker gehabt hätte. Sein Leinenhemd war ziemlich schmuddelig, doch solange er den Rock anbehielt, würde es niemand merken, und der fehlende Westenknopf wurde durch den eleganten Fall seines Spitzenjabots verdeckt, der einzigen Extravaganz, die er sich bei seiner Kleidung genehmigt hatte.
Seine Strümpfe waren in Ordnung: blassblaue Seide, keine sichtbaren Löcher. Die weißen Leinenkniehosen waren eng, aber nicht unanständig – nicht direkt unanständig –, und einigermaßen sauber.
Die Schuhe waren der einzige Makel an seiner Garderobe, wir hatten keine Zeit gehabt, welche anfertigen zu lassen. Seine alten waren solide, und ich hatte mein Möglichstes getan, ihre Schrammen mit einer Mischung aus Ruß und Bratenfett zu tarnen, doch sie waren immer noch die Schuhe eines Bauern, nicht die eines feinen Herrn, aus grobem Leder geschustert, mit starken Sohlen und Schnallen aus schlichtem Horn. Allerdings bezweifelte ich, dass seine Tante Jocasta ihm als Erstes auf die Füße schauen würde.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm das Jabot gerade zu ziehen, und strich ihm eine lose Daunenfeder von der Schulter.
»Es wird schon gutgehen«, flüsterte ich ihm zu. »Du siehst schön aus.«
Er machte ein aufgeschrecktes Gesicht, dann wich sein Ausdruck grimmiger Distanz einem Lächeln.
»Du siehst schön aus, Sassenach.« Er beugte sich zu mir herüber und küsste mich auf die Stirn. »Du hast rote Wangen wie ein Äpfelchen, wirklich hübsch.« Er richtete sich auf, warf Ian einen Blick zu und seufzte.
»Was Ian betrifft, vielleicht kann ich ihn als Leibeigenen ausgeben, den ich mir als Schweinehirten zugelegt habe.«
Ian war einer jener Menschen, deren Kleider unabhängig von ihrer ursprünglichen Qualität nach kürzester Zeit so aussehen, als stammten sie von einem Müllhaufen. Sein Haar war zur Hälfte aus dem grünen Band entwischt, und einer seiner knochigen Ellbogen lugte aus einem Riss in seinem neuen Hemd hervor, dessen Manschetten um die Handgelenke herum bereits merklich angegraut waren.
»Kapitän Freeman sagt, wir sind gleich da!«, rief er aus, und seine Augen leuchteten vor Aufregung, als er sich über die Reling lehnte und flussaufwärts blickte, um ja der Erste zu sein, der unser Ziel zu sehen bekam. »Was glaubt ihr, was es zum Essen gibt?«
Jamie betrachtete seinen Neffen mit einem deutlichen Mangel an Wohlwollen.
»Ich schätze, du kriegst die Knochenabfälle zusammen mit den Hunden. Hast du keinen Rock, Ian? Oder einen Kamm?«
»Oh, aye«, sagte Ian und sah sich unbestimmt um, als erwartete er, dass die besagten Gegenstände aus dem Nichts vor ihm auftauchten. »Ich habe einen Rock hier. Irgendwo. Glaube ich.«