»Aye«, sagte er beim Absteigen. »Sie ist ganz munter, Tante Jocasta. Wie hat sie sich verletzt?«
»Das war ’ne Schlange, Sir«, sagte der Stallknecht, ein junger Schwarzer, der im Hintergrund gestanden und Jamie aufmerksam beobachtet hatte.
»Doch wohl kein Schlangenbiss, oder?«, sagte ich überrascht. »Es sieht wie ein Riss aus, als wäre sie mit dem Bein irgendwo hängengeblieben.«
Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, nickte aber respektvoll.
»Aye, Ma’am, so war’s. Vor einem Monat hab ich das Mädchen hier ein Riesengetöse machen hören, ein Getrete und Gestampfe war das, dass man hätte meinen können, der Stall breche zusammen. Als ich hingerannt bin, um nachzusehen, was los ist, hab ich eine große, tote Giftschlange blutig und zertrampelt im Stroh unter der Futterkrippe gefunden. Die Krippe in Trümmern, und unser Mädchen hat in der Ecke gestanden und gezittert, und ihr Bein hat geblutet von ’nem Splitter, an dem sie hängengeblieben war.« Er sah das Pferd mit unverhohlenem Stolz an. »Och, du bist mir mal ein tapferes Mädchen.«
»Die ›große Giftschlange‹ war keinen halben Meter lang«, sagte Jocasta mit ironischem Unterton zu mir. »Und außerdem war es nur eine einfache Grasnatter. Aber das dumme Ding hat fürchterliche Angst vor Schlangen. Kaum sieht sie eine, schon verliert sie den Kopf.« Sie nickte in Richtung des jungen Stallknechtes und lächelte. »Unser lieber Josh sieht sie auch nicht besonders gern, stimmt’s?«
Der Stallknecht grinste zurück.
»Nein, Ma’am«, sagte er. »Ich kann die Biester nicht ausstehen, nicht mehr als mein Mädchen hier.«
Ian, der dem Wortwechsel zugehört hatte, konnte seine Neugier nicht länger zügeln.
»Wo kommst du her, Mann?«, fragte er den Stallknecht und sah den jungen Mann fasziniert an.
Josh runzelte die Stirn.
»Wo ich herkomme? Wieso, nirge– oh, aye, jetzt komm ich mit. Ich bin flussaufwärts geboren, auf Mr. Burnetts Anwesen. Miss Jo hat mich vor zwei Jahren um die Osterzeit gekauft.«
»Und wir dürfen wohl annehmen, dass Mr. Burnett seinerseits höchstens einen Steinwurf von Aberdeen entfernt zur Welt gekommen ist«, sagte Jamie leise zu mir. »Aye?«
River Run war ziemlich groß und umfasste nicht nur das erstklassige Land am Fluss, sondern auch ein großes Stück des Sumpfkiefernwaldes, der ein Drittel der Kolonie bedeckte. Außerdem hatte Hector Cameron darauf geachtet, dass eins der vielen Flüsschen, die in den Cape Fear mündeten, sein Land durchfloss.
So war die Plantage also nicht nur mit den wertvollen Rohstoffen Holz, Pech und Terpentin gesegnet, sondern auch mit einem bequemen Weg, diese zum Markt zu befördern, daher war es kein Wunder, dass River Run floriert hatte, obwohl es Tabak und Indigo nur in bescheidenen Mengen produzierte – wenn mir auch die duftenden grünen Tabakfelder, durch die wir ritten, alles andere als bescheiden vorkamen.
»Wir haben eine kleine Sägemühle«, erklärte Jocasta unterwegs. »Kurz oberhalb der Stelle, wo das Flüsschen in den Cape Fear fließt. Dort wird das Holz gesägt und zugeschnitten, und dann werden die Bretter und Fässer mit dem Kahn nach Wilmington geschickt. Auf dem Wasserweg ist es keine große Entfernung vom Haus zur Sägemühle, wenn es einem nichts ausmacht, flussaufwärts zu rudern, aber ich habe mir gedacht, ich zeige euch lieber ein bisschen die Landschaft.« Sie atmete die nach Kiefern duftende Luft mit sichtlichem Wohlgefallen ein. »Es ist schon eine Weile her, dass ich selber das letzte Mal draußen war.«
Es war wirklich eine wunderbare Landschaft. Jetzt, da wir den Kiefernwald erreicht hatten, war es viel kühler, denn das dichte Nadeldach schirmte uns von der Sonne ab. Über uns ragten die Baumstämme sechs bis zehn Meter auf, bevor sie die ersten Zweige bildeten – da überraschte es nicht, dass die Sägemühle vor allem Masten und Spiere für die Königliche Marine produzierte.
Jocastas Worten zufolge handelte River Run anscheinend oft und viel mit der Marine: Masten, Spiere, Latten, Balken, Pech, Terpentin und Teer. Jamie ritt dicht neben ihr und hörte gebannt zu, während sie ihm alles im Detail erklärte, und Ian und ich ritten hinter ihnen. Sie hatte beim Aufbau von River Run offenbar eng mit ihrem Mann zusammengearbeitet. Ich fragte mich, wie sie jetzt, wo er tot war, mit der Führung der Plantage zurechtkam.
»Da!«, sagte Ian und hob den Finger. »Was ist das?«
Ich holte auf und lenkte mein Pferd neben dem seinen zu dem Baum, auf den er gezeigt hatte. Jemand hatte ein großes Stück Rinde entfernt und auf einer Seite das Holz etwa einen Meter hoch freigelegt. Innerhalb dieser Fläche war das weißgelbe Holz kreuzweise in einer Art Fischgrätmuster schraffiert, als hätte es jemand kreuz und quer mit einem Messer eingeritzt.
»Wir sind fast da«, sagte Jocasta. Jamie hatte uns anhalten sehen, und sie waren zu uns zurückgeritten. »Was ihr da seht, ist ein Terpentinbaum, ich kann es riechen.«
Wir konnten es alle riechen – der Duft nach frischem Holz und würzigem Harz war so stark, dass sogar ich den Baum mit verbundenen Augen gefunden hätte. Jetzt, da wir angehalten hatten, hörte ich von weitem Geräusche: das Rumpeln und Krachen arbeitender Männer, Axtschläge und Stimmen. Beim Einatmen fing ich auch Brandgeruch auf.
Jocasta trieb Corinna näher an den angeritzten Baum, wo eine flache Kuhle in das Holz gemeißelt worden war. »Das nennen wir Schachtel, Harz und Rohterpentin laufen hier herein und sammeln sich. Diese hier ist fast voll. Bald kommt ein Sklave und leert sie.«
Sie hatte den Satz kaum beendet, als ein Mann zwischen den Bäumen erschien, ein Sklave, der nur einen Lendenschurz trug. Er führte ein großes, weißes Maultier, das einen breiten Gurt um den Rücken geschnallt hatte, von dem auf beiden Seiten jeweils ein Fass herunterhing. Das Maultier hielt abrupt an, als es uns sah, warf den Kopf zurück und brüllte hysterisch.
»Und das dürfte Clarence sein«, sagte Jocasta so laut, dass man sie auch bei dem Lärm noch hören konnte. »Er freut sich, wenn er Menschen sieht. Und wer ist bei ihm? Bist du das, Pompey?«
»Ja’m. Ch’bins.« Der Sklave packte das Maultier bei der Oberlippe und drehte sie kräftig um. »Halsmaul, Miskel!« Gerade übersetzte ich das im Geiste mit »Halt’s Maul, du Mistkerl!«, da drehte der Mann sich zu uns um, und ich sah, dass sein Genuschel daher rührte, dass ihm sein linker Unterkiefer fehlte; unter dem Wangenknochen wich sein Gesicht einfach in eine tiefe Höhlung zurück, die mit Narbengewebe ausgefüllt war.
Jocasta musste gehört haben, wie ich erschrocken nach Luft schnappte – oder auch einfach mit einer solchen Reaktion gerechnet haben –, denn sie wandte mir ihre Augenbinde zu.
»Es war eine Explosion beim Teerschwelen – glücklicherweise ist er nicht dabei umgekommen. Kommt, wir sind fast bei der Terpentinanlage.« Ohne auf ihren Stallknecht zu warten, drehte sie zielsicher ihr Pferd um und machte sich zwischen den Bäumen hindurch in die Richtung auf, aus der der Brandgeruch kam.
Der Kontrast der Terpentinanlage zur Stille des Waldes war erstaunlich; eine große Lichtung voller Menschen, die vor Geschäftigkeit summte. Die meisten waren Sklaven, die nur mit dem Nötigsten bekleidet waren, die Gliedmaßen und Körper mit Asche bedeckt.
»Ist jemand bei den Hütten?« Jocasta wandte mir den Kopf zu.
Ich stellte mich in den Steigbügeln auf, um nachzusehen. Am anderen Ende der Lichtung erblickte ich bei einer Reihe baufälliger Hütten einen Farbtupfer: drei Männer in der Uniform der britischen Marine und ein weiterer in einem flaschengrünen Rock.
»Das dürfte mein bester Freund sein«, sagte Jocasta und lächelte zufrieden bei meiner Beschreibung. »Mr. Farquard Campbell. Komm, Neffe, ich möchte, dass du ihn kennenlernst.«
Aus der Nähe betrachtet, erwies sich Campbell als ein Mann von etwa sechzig, nicht mehr als mittelgroß und von jener ledrigen Härte, die manche Schotten im Alter annehmen. Nicht so sehr ein Verwitterungsprozess als vielmehr eine Gerbung, die in einer ledrigen Oberfläche ähnlich der eines Lederschildes resultiert und selbst die schärfste Klinge abwehren kann.