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Es war ein dickliches Papierbündel, das ein angeschlagenes Siegel trug und kaum in besserer Verfassung war als Fergus. Jamies Gesicht hellte sich auf, als er es sah, obwohl er es mit einiger Beklommenheit öffnete. Es fielen drei Briefe heraus. Auf einem erkannte ich die Handschrift seiner Schwester, die beiden anderen waren von jemand anderem beschriftet worden.

Jamie hob den Brief von seiner Schwester auf, beäugte ihn, als könnte er etwas Explosives enthalten, und lehnte ihn sanft an die Fruchtschale auf dem Tisch.

»Ich fange mit Ian an«, sagte er und ergriff grinsend den zweiten Brief. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Jennys lesen möchte, solange ich keinen Whisky in der Hand halte.«

Er entfernte das Siegel mit der Spitze des silbernen Obstmessers, öffnete den Brief und überflog die erste Seite. »Ich frage mich, ob er …« Seine Stimme verstummte, als er zu lesen begann.

Neugierig stand ich auf, stellte mich hinter seinen Sessel und blickte ihm über die Schulter. Ian Murray hatte eine klare, große Handschrift, die auch aus der Entfernung leicht zu lesen war.

Mein lieber Bruder,

hier geht es allen gut, und wir danken Gott für die Nachricht von Eurer sicheren Ankunft in den Kolonien. Ich schicke dieses Schreiben zu Händen von Jocasta Cameron; sollte es Dich in ihrer Gesellschaft antreffen, so bittet Jenny Dich, ihrer Tante die besten Grüße auszurichten.

Dem beigefügten Brief kannst Du entnehmen, dass Du bei meiner Gattin wieder in Gnaden stehst; sie hat nun damit aufgehört, Dich in einem Atemzug mit dem Satan persönlich zu nennen, und ich habe sie in letzter Zeit auch nicht mehr von Entmannung sprechen hören, was Dich vielleicht erleichtern wird.

Aber Scherz beiseite – bei der Nachricht, dass Ian in Sicherheit ist, wurde ihr ebenso leicht ums Herz wie mir. Du wirst Dir die Tiefe unserer Dankbarkeit für seine Rettung vorstellen können, glaube ich; daher will ich Dich nicht mit Wiederholungen ermüden, obwohl ich ohne Mühen einen Roman über dieses Thema schreiben könnte.

Es gelingt uns, alle hier zu ernähren, obwohl die Gerste schwer unter dem Hagel gelitten hat, und im Dorf geht die rote Ruhr um, die diesen Monat das Leben zweier Kinder gefordert hat, zum Schmerz ihrer Eltern. Annie Fraser und Alasdair Kirby sind es, die wir verloren haben, möge Gott sich ihrer Unschuld erbarmen.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Wir haben von Michael aus Paris gehört; er ist weiter erfolgreich im Weingeschäft und plant eine baldige Heirat.

Es freut mich, Dir von der Geburt meines jüngsten Enkelsohnes berichten zu können, Anthony Brian Montgomery Lyle. Ich will mich mit dieser Bekanntgabe begnügen und Jenny die ausführlichere Beschreibung überlassen; sie ist in ihn vernarrt, genau wie wir alle, er ist ein süßer Kerl. Sein Vater Paul – Maggies Mann – ist Soldat, daher sind Maggie und der kleine Anthony hier bei uns in Lallybroch. Paul ist zurzeit in Frankreich; wir beten jede Nacht, dass man ihn dort in relativem Frieden bleiben lässt und ihn nicht in die Gefahren der Kolonien oder die Wildnis Kanadas schickt.

Wir haben in dieser Woche Besuch gehabt: Simon, Lord Lovat, und seine Begleiter. Er ist schon wieder gekommen, um Rekruten für das Highlandregiment zu suchen, das er befehligt. Du wirst vielleicht in den Kolonien von ihnen hören, wo sie sich, wenn ich richtig informiert bin, einen Namen gemacht haben. Simon erzählt großartige Geschichten von ihrer Tapferkeit gegen die Indianer und die hinterlistigen Franzosen, und manche davon sind zweifellos wahr.

Jamie grinste und wendete das Blatt.

Er hat Henry und Matthew mit seinen Geschichten völlig in Bann gezogen und die Mädchen auch. Josephine (»Kittys Älteste«, erklärte mir Jamie) war sogar so begeistert, dass sie einen Raubüberfall auf den Hühnerstall organisiert hat, aus dem sie und ihre Vettern mit Federn übersät hervorgingen, und Schlamm aus dem Gemüsegarten musste als Kriegsbemalung herhalten.

Da sie alle die Wilden spielen wollten, wurden der junge Jamie, Kittys Mann Geordie und ich als Highlandregiment zwangsrekrutiert und mussten nun Attacken mit Tomahawks (Löffel und Schöpfkellen) und andere Formen begeisterten Angriffs über uns ergehen lassen, während wir uns tapfer mit unseren Schwertern (Latten und Weidenzweigen) zu verteidigen suchten.

Ich gebot Einhalt bei dem Vorschlag, das Strohdach des Taubenschlages mit Brandpfeilen anzuzünden, musste mich am Ende aber skalpieren lassen. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich diesen Vorgang in besserer Verfassung überstand als die Hühner.

Und so ging der Brief weiter, berichtete von den Neuigkeiten in der Familie, vor allem aber von der Gutsverwaltung sowie den Ereignissen in der Region. Emigration, schrieb Ian, hatte sich zu »einer Epidemie« entwickelt, und fast alle Bewohner des Dörfchens Shewglie hatten sich zu diesem letzten Ausweg durchgerungen.

Jamie las den Brief zu Ende und legte ihn nieder. Er lächelte mit leicht verträumtem Blick, als sähe er anstelle des feuchten, vor Leben strotzenden Dschungels um uns die kühlen Nebel und die Steine von Lallybroch.

Der zweite Brief war ebenfalls in Ians Schrift adressiert, trug aber unter dem blauen Wachssiegel den Vermerk »Privat«.

»Und was haben wir wohl hier?«, murmelte Jamie, als er das Siegel erbrach und den Brief auffaltete. Er begann ohne Begrüßungsformel und war wohl als Fortsetzung des längeren Briefes gedacht.

Und jetzt, Bruder, möchte ich Dir noch eine Angelegenheit von einiger Wichtigkeit vorlegen, über die ich separat schreibe, so dass du Ian meinen längeren Brief zeigen kannst, ohne dass er von dieser Angelegenheit erfährt.

In Deinem letzten Brief hast Du geschrieben, dass Du in Charleston ein Schiff für Ian suchen wolltest. Sollte dies geschehen sein, so werden wir ihn natürlich mit Freude willkommen heißen. Wenn er Dich allerdings zufällig noch nicht verlassen haben sollte, so ist es unser Wunsch, dass er bei Euch bleibt, falls diese Verpflichtung Dir und Claire nicht allzu unangenehm ist.

»Nicht unangenehm«, murmelte Jamie, und seine Nasenflügel zitterten, als er von dem Blatt zum Fenster aufsah. Ian und Rollo balgten sich auf dem Rasen mit zwei Sklavenjungen und bildeten ein einziges kicherndes Knäuel aus Gliedmaßen und Kleidern und einem wedelnden Schwanz. »Mmpf.« Er drehte dem Fenster den Rücken zu und las weiter.

Ich habe Simon Fraser erwähnt und den Grund seiner Anwesenheit. Diese Truppenaushebungen geben uns seit einiger Zeit Grund zur Besorgnis, obwohl wir uns selten wirklich bedrängt fühlen, da unsere Gegend glücklicherweise abgelegen und schwer zu erreichen ist.

Es bereitet Lovat kaum Schwierigkeiten, den jungen Männern das Geld des Königs schmackhaft zu machen; was bleibt ihnen hier auch sonst übrig? Armut und Not ohne Aussicht auf Besserung. Warum sollten sie hierbleiben, wo sie nichts erben können, wo es ihnen untersagt ist, das Plaid oder die Waffen eines Mannes zu tragen? Warum sollten sie nicht die Chance ergreifen, sich ihre Männlichkeit zurückzuerobern – selbst wenn es bedeutet, dass sie den Tartan und das Schwert im Dienst eines deutschen Thronräubers tragen?

Manchmal glaube ich, dass dies das Schlimmste an der ganzen Sache ist – nicht nur, dass man Mord und Ungerechtigkeit ungehemmt auf uns loslässt ohne Hoffnung auf Heilung oder Wiedergutmachung, man lockt auch unsere jungen Männer fort, unsere Hoffnung und unsere Zukunft, vergeudet ihr Leben zum Nutzen des Eroberers und bezahlt sie in kleiner Münze für ihren Stolz.

Jamie zog eine Augenbraue hoch und sah mich an.

»Sieht man Ian gar nicht an, dass ein solcher Poet in ihm steckt, aye?«

An dieser Stelle war eine Lücke im Text. Am Ende der Seite ging er weiter, und Ians Handschrift, die zwischenzeitlich zu einem aggressiven Gekritzel mit vielen Klecksen und Ausstreichungen geworden war, war dort wieder beherrscht und ordentlich.