Schließlich hielt er es nicht mehr aus, ergriff das Kreuz um seinen Hals und schwang sich mit einem lauten Schrei herum, um sich dem Verfolger – wer immer es war – zu stellen.«
»Was hat er gesehen?« Ians Pupillen waren geweitet, dunkel vom Alkohol und vor Staunen. Jamie sah den Jungen an und nickte dann Duncan zu, den Faden der Geschichte aufzunehmen.
»Er sagte, es war eine Gestalt wie ein Mann, nur ohne Körper«, sagte Duncan ruhig. »Ganz weiß, als wäre sie aus Nebel gemacht. Aber mit Riesenlöchern, wo die Augen hätten sein sollen, schwarz und leer, so dass es ihm vor Schrecken fast die Seele aus dem Leib zog.«
»Aber Gavin hielt sich das Kreuz vors Gesicht und betete laut zur Jungfrau Maria.« Jamie übernahm wieder, konzentriert nach vorn gebeugt, und der gedämpfte Feuerschein umrandete sein Profil mit Gold. »Und das Wesen kam nicht näher, sondern blieb, wo es war, und beobachtete ihn.
Und so begann er, rückwärtszugehen, weil er sich nicht traute, sich wieder umzudrehen. Er ging rückwärts, stolperte und rutschte aus, fürchtete, er könnte jeden Moment in einen Bach oder von einem Abhang stürzen und sich den Hals brechen, doch er fürchtete sich noch mehr davor, dem kalten Wesen den Rücken zuzukehren.
Er konnte nicht sagen, wie lange er so gegangen war, nur, dass seine Beine vor Schwäche zitterten, als er endlich ein Licht im Nebel erblickte, und das war seine Kate mit der Kerze im Fenster. Er tat einen Freudenschrei und wandte sich der Tür zu, aber das kalte Wesen war schneller und schlüpfte an ihm vorbei, um sich zwischen ihn und die Tür zu stellen.
Seine Frau hatte nach ihm Ausschau gehalten, und als sie seinen Schrei hörte, kam sie sofort an die Tür. Gavin rief ihr zu, sie sollte nicht herauskommen, sondern um Himmels willen ein Amulett gegen den tannasq holen. Blitzschnell zog sie den Nachttopf unter ihrem Bett hervor und griff nach einem Myrtenzweig, den sie mit rotem und schwarzem Garn umwunden hatte, um die Kühe zu segnen. Sie bespritzte die Türpfosten mit Wasser, und das kalte Wesen sprang in die Höhe und hängte sich rittlings über den Türsturz. Gavin huschte hinein, verriegelte die Tür und verharrte drinnen in den Armen seiner Frau bis zur Morgendämmerung. Sie ließen die ganze Nacht die Kerze brennen, und Gavin Hayes hat nie wieder nach Sonnenuntergang sein Haus verlassen – bis er für Prinz Tscharlach in den Kampf gezogen ist.«
Selbst Duncan, der die Geschichte kannte, seufzte, als Jamie zum Ende kam. Ian bekreuzigte sich und sah sich dann befangen um, doch niemand schien es beachtet zu haben.
»Jetzt ist Gavin also in die Dunkelheit gegangen«, sagte Jamie leise. »Aber wir werden nicht zulassen, dass er in ungeweihtem Boden liegt.«
»Haben sie die Kuh gefunden?«, fragte Fergus mit seinem üblichen Sinn fürs Praktische. Jamie deutete auf Duncan, der antwortete.
»Oh, aye, das haben sie. Am nächsten Morgen fanden sie das arme Vieh, die Hufe voll Schlamm und Steinen, mit wildem Blick und Schaum vor dem Maul, und ihre Flanken hoben und senkten sich, als wollten sie bersten.« Er ließ den Blick von mir zu Ian und zurück zu Fergus schweifen. »Gavin meinte«, sagte er präzise, »sie sah aus, als hätte man sie zur Hölle und zurück geritten.«
»Himmel.« Ian trank einen tiefen Zug Ale, und ich folgte seinem Beispiel. Der betrunkene Gesangsverein in der Ecke versuchte sich an »Captain Thunder« und brach jedes Mal hilflos lachend ab.
Ian stellte seinen Becher auf den Tisch.
»Was ist aus ihnen geworden?«, fragte er mit betroffenem Gesicht. »Aus Gavins Frau und seinem Sohn?«
Jamies Blick suchte den meinen, und seine Hand berührte meinen Oberschenkel. Auch ohne dass man es mir sagte, wusste ich, was aus der Familie Hayes geworden war. Ohne Jamies Mut und Unnachgiebigkeit wäre mir und Brianna wahrscheinlich dasselbe widerfahren.
»Gavin hat es nie herausgefunden«, sagte Jamie ruhig. »Er hat nie wieder von seiner Frau gehört – sie wird wohl verhungert sein, oder man hat sie dem Kältetod überlassen. Sein Sohn hat in Culloden an seiner Seite gestanden. Jedes Mal, wenn ein Mann, der dort gekämpft hatte, zu uns in die Zelle kam, fragte Gavin ihn: ›Hast du vielleicht einen mutigen Jungen namens Archie Hayes gesehen, ungefähr so groß?‹« Er ahmte unwillkürlich Hayes’ Geste nach und nahm etwa anderthalb Meter vom Boden Maß. »›Um die vierzehn‹, sagte er dann, ›mit einem grünen Plaid und einer kleinen, vergoldeten Brosche.‹ Aber es kam nie einer, der ihn mit Gewissheit erkannt hatte – und hätte sagen können, ob er gefallen oder entkommen war.«
Jamie trank einen Schluck Ale und richtete den Blick auf zwei britische Offiziere, die hereingekommen waren und es sich in der Ecke gemütlich gemacht hatten. Draußen war es dunkel geworden, und sie waren ganz offensichtlich nicht im Dienst. In dieser Hitze standen ihre Lederkrägen offen, und sie trugen nur Seitenwaffen, die unter ihren Röcken glänzten. Im gedämpften Licht erschienen sie fast schwarz, bis auf die Stellen, wo der Feuerschein sie in Rot tauchte.
»Manchmal hoffte er, man hätte den Jungen festgenommen und deportiert«, sagte er. »Wie seinen Bruder.«
»Aber das müsste doch in den Unterlagen stehen?«, sagte ich. »Wurden – werden – Register geführt?«
»Ja«, sagte Jamie, der immer noch die Soldaten beobachtete. Der Anflug eines bitteren Lächelns erschien in seinem Mundwinkel. »Es war schließlich eine solche Liste, die mich gerettet hat, nach Culloden, als sie mich vor dem Erschießen nach meinem Namen fragten, um ihn in ihr Register einzutragen. Aber für einen Mann wie Gavin hätte es keine Möglichkeit gegeben, die Totenregister der Engländer einzusehen. Und selbst wenn er es hätte herausfinden können, glaube ich nicht, dass er es getan hätte.« Er sah mich an. »Würdest du es wissen wollen, wenn es dein Kind wäre?«
Ich schüttelte den Kopf, und er lächelte mich leise an und drückte meine Hand. Unser Kind war in Sicherheit. Er hob seinen Becher und leerte ihn, dann winkte er der Bedienung.
Das Mädchen brachte unser Essen und machte einen weiten Bogen, um Rollo auszuweichen. Der Hund lag bewegungslos unter dem Tisch, sein Kopf ragte in den Raum, und sein langer, behaarter Schwanz hing schwer über meinen Füßen, doch seine gelben Augen waren weit geöffnet, und ihnen entging nichts. Sie folgten dem Mädchen gebannt, und sie wich nervös zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen, bis sie sicher außer Bissweite war.
Jamie sah das und warf dem sogenannten Hund einen skeptischen Blick zu.
»Hat er Hunger? Muss ich ihm einen Fisch bestellen?«
»O nein, Onkel Jamie«, versicherte Ian. »Rollo fängt sich seine Fische selbst.«
Jamies Augenbrauen schnellten in die Höhe, doch er nickte nur und nahm sich mit einem wachsamen Blick auf Rollo einen Teller mit Brathuhn vom Tablett.
»Ach, was für eine Schande.« Duncan Innes war inzwischen völlig betrunken. Er saß zusammengesunken an der Wand und hielt die armlose Schulter höher als die andere, was ihm das seltsame Aussehen eines Buckligen gab. »Dass ein anständiger Mann wie Gavin ein solches Ende finden musste!« Er schüttelte tieftraurig den Kopf und ließ ihn über dem Alebecher hin- und herschwingen wie den Klöppel einer Totenglocke.
»Keine Familie, die ihn betrauern könnte, allein in einem fremden Land gestrandet – wie ein Verbrecher gehängt und um ein Haar in ungeweihter Erde vergraben. Und jetzt bekommt er nicht einmal ein ordentliches caithris!« Er hob den Becher und fand unter Schwierigkeiten seinen Mund. Er trank in tiefen Zügen und stellte ihn mit einem gedämpften Geräusch ab.
»Was soll’s, wir werden die Totenklage halten!« Er funkelte Jamie, Fergus und Ian herausfordernd an. »Warum nicht?«
Jamie war nicht betrunken, doch er war auch nicht mehr völlig nüchtern. Er grinste Duncan an und hob seinen eigenen Becher zum Salut.