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Es war heller Morgen, als ihn der Lärm im Lager weckte. In der Nacht hatte es geschneit, und eine hohe Schicht Schnee bedeckte ihn. Er wußte nicht, wo er war. Er war in seinem Loch von weißen Wänden eingeschlossen, und eine panische Angst ergriff ihn, die Angst jedes wilden Tieres vor einer Falle.

Zum erstenmal wurden die uralten Instinkte seiner Ahnen in ihm wach, denn er war ein zivilisierter Hund, ein überzivilisierter sogar, der aus eigener Erfahrung keine Falle kannte und daher auch keine Angst vor ihr haben konnte. Aber unwillkürlich zogen sich die Muskeln seines ganzen Körpers krampfhaft zusammen, seine Nackenhaare sträubten sich, und mit einem grimmigen Jaulen stieß er geradewegs in den blendenden Tag hinauf. Der Schnee stob wie eine glitzernde Wolke empor. Ehe er noch auf den Füßen landete, sah er das weiße Lager vor sich ausgebreitet und wußte, wo er war. Und alles war plötzlich wieder lebendig vor ihm, was von jenem Augenblick an geschehen war, als ihn Manuel fortgeführt hatte, bis zu dem Schneeloch, in das er sich gestern abend gewühlt hatte.

Ein Ausruf von François empfing ihn. »Was sagen ick?« rief er Perrault zu. »Der Buck ganz gewißlik lernen schneller wie andere.«

Perrault nickte ernst. Als Kurier der kanadischen Regierung war er oft mit wichtigen Nachrichten betraut und mußte darauf sehen, die besten Hunde zu seiner Verfügung zu haben. Und von allen seinen Erwerbungen freute er sich über Buck am meisten.

Bevor eine Stunde vergangen war, kamen noch drei Eskimohunde zum Gespann, und sie waren nun neun, und nach einer weiteren halben Stunde waren sie schon angeschirrt, und fort ging es auf der Spur nach dem Dyea Canon zu. Buck war froh, als sie das Lager verließen, und obwohl er bald entdeckte, daß die Arbeit eines Schlittenhundes hart war, lehnte er sich nicht dagegen auf. Der Eifer, der das ganze Gespann beseelte, überraschte ihn, Dave und Solleks waren so verändert, daß er sie kaum wiedererkannte. Aus schläfrigen, gleichgültigen Hunden hatten sie sich in lebendige, frische und ausdauernde Tiere verwandelt. Alles, was die Fahrt hinderte, erbitterte sie, und nichts ärgerte sie mehr als ein unnützer Aufenthalt. Die Arbeit im Geschirr schien der höchste Ausdruck ihres Daseins zu sein, dafür lebten sie und nichts anderes erstrebten sie. Dave war »Wheeler« oder Zughund, vor ihm lief Buck, dann folgten Solleks und der Rest des Gespannes. Als erster lief Spitz, der Leithund.

Buck war mit Absicht zwischen Dave und Solleks eingespannt worden, damit er lernen konnte. Er war ein fähiger und gelehriger Schüler, sie aber ebenso gute Lehrmeister, die ihn auf jeden Fehler aufmerksam machten und ihren Lehren mit scharfen Zähnen Nachdruck verliehen. Dave war ein feiner Kerl und sehr klug. Er kniff Buck nie ohne Grund, und da ihn François’ Peitsche unterstützte, lehnte sich Buck nicht dagegen auf. Einmal, während eines kurzen Haltens, verwickelte er sich in die Stränge, sofort warfen sich Dave und Solleks auf ihn und versetzten ihm einen Denkzettel, daß ihm Hören und Sehen verging. Buck war nun vorsichtig und hielt die Stränge in Ordnung, und bevor der Tag um war, meisterte er seine Aufgabe bereits so gut, daß seine Gefährten nicht mehr nach ihm schnappen mußten. Die Peitsche hinter ihm klatschte weniger oft, und Perrault klopfte ihm sogar freundlich auf den Rücken, als er abends die Pfoten der Hunde untersuchte.

Es war ein schwerer Tagesmarsch. Sie fuhren über die Baumgrenze hinaus über Gletscher und hundert Fuß hohe Schneewächten. Sie überquerten die große Wasserscheide am Chilcoot, die das Salzwasser vom Süßwasser trennt, sie kamen zu einer Seenkette, die die Krater erloschener Vulkane ausfüllt, und spät am Abend erreichten sie das riesige Lager am Bennet-See, wo Tausende von Goldwäschern auf das Aufbrechen des Eises im Frühling warteten. Wieder machte sich Buck ein Loch in den Schnee und schlief den Schlaf des Gerechten, wurde aber nur allzu früh hinaus in das kalte Dunkel gejagt und mit seinen Gefährten wieder an den Schlitten gespannt.

An diesem Tag legten sie vierzig Meilen zurück, da sie eine ausgefahrene Spur benützen konnten. Am nächsten Tag und an vielen folgenden mußten sie sich ihren Weg selbst bahnen, mühten sich ab und kamen nur langsam vorwärts. Perrault stapfte voran und trat den Schnee mit seinen Schneereifen zusammen, um es dem Gespann leichter zu machen. François lenkte den Schlitten. Manchmal – nicht sehr oft – wechselten sie ab. Perrault hatte es eilig und rühmte sich, die Schneeverhältnisse genau zu kennen, ein Wissen, das unerläßlich war, denn die unter dem Schnee liegende Eisschicht war oft sehr dünn, und an manchen Stellen, meistens über schnellfließenden Gewässern, bildete sich überhaupt keine.

Tag für Tag – endlose Tage – marterte sich Buck in den Strängen. Jeder Tag brachte dasselbe Einerlei. Sie brachen das Lager ab, wenn es noch dunkel war, und beim ersten Morgengrauen hatten sie schon wieder viele Meilen zurückgelegt. Sie schlugen das Lager auf, wenn es dunkel geworden war, die Hunde fraßen ihre kärgliche Fischration und verkrochen sich im Schnee, um zu schlafen. Buck war stets ausgehungert und unersättlich. Seine Tagesration, ein und ein halbes Pfund von gedörrtem Lachs, verschwand wie nichts und genügte nie. Die anderen Hunde erhielten, weil sie nicht so groß und dieses Leben gewöhnt waren, nur ein Pfund und brachten es trotzdem fertig, in guter Verfassung zu bleiben.

Es dauerte nicht lange, und Buck verlor seine Vornehmheit, die sein ganzes früheres Leben charakterisiert hatte. Früher hatte er langsam und bedächtig gefressen, jetzt mußte er seine Fischration so schnell wie möglich hinunterwürgen, sonst schnappten ihm die anderen den Rest weg. Es war vergeudete Kraft, sich dagegen zu wehren. Während er zwei oder drei verjagte, verschwand sein Fisch in den Rachen der anderen. Er mußte seine Nahrung ebenso schnell verschlingen wie sie. Bei Tieren ist der Hunger die stärkste Triebkraft, er setzte sich über alle Sitten hinweg. Buck schaute zu und lernte. Als er Pike, einen der neuen Hunde, einen schlauen Simulanten und Dieb, heimlich eine Scheibe Speck stehlen sah, während ihm Perrault den Rücken zukehrte, folgte er am nächsten Tag diesem Beispiel und suchte mit einer ganzen Speckseite das Weite. Es entstand ein großer Aufruhr, aber niemand verdächtigte ihn. Dub, ein dummer Tölpel, der sich immer erwischen ließ, wurde für Bucks Missetat bestraft.

Dieser erste Diebstahl zeigte, daß Buck fähig war, in der feindlichen Umwelt des Nordlandes weiterzuleben. Ohne diese Anpassungsfähigkeit hätte er bald einen schnellen und schrecklichen Tod gefunden. Er hatte gelernt, daß hier Moral nur ein Hindernis im unbarmherzigen Existenzkampf war. Im Südland, wo Sitte und Anstand herrschten, war es gut und recht, Privateigentum und persönliche Gefühle zu achten, aber wer im Nordland, unter dem Gesetz des Knüppels und der Fangzähne, solche Dinge in Betracht zog, war ein Narr und mußte zugrunde gehen.

Buck konnte das nicht bewußt empfinden, aber er fühlte es instinktiv. Früher hätte er sein Leben für eine gute Sache hingegeben, er hätte sich bedenkenlos eingesetzt für das geringste Eigentum seines Herrn, aber hier wäre ein solches Handeln nicht angebracht gewesen. Der Stock des roten Mannes hatte ihm ein stärkeres und primitiveres Gesetz eingebleut. Er stahl nicht aus Freude am Stehlen, sondern weil sein leerer Magen es verlangte. Er raubte nicht offen, er stahl heimlich und verschlagen, aus Furcht vor dem Stock. Was er tat, geschah, weil er es tun mußte.

Seine Entwicklung, oder vielmehr Rückentwicklung, vollzog sich unheimlich schnell. Seine Muskeln wurden hart wie Stahl, und er wurde unempfindlich gegen jeden gewöhnlichen Schmerz. Das oberste Gebot wurde Sparsamkeit, alles mußte bis aufs äußerste ausgenützt werden. Er konnte alles fressen, und wenn es noch so ekelhaft und unverdaulich war, und war es einmal gefressen, so sogen die Magensäfte auch das letzte, geringste Partikelchen Nährwert daraus, und sein Blut trug es zu allen Teilen seines Körpers und baute damit die zähesten und festesten Gewebe auf. Sicht und Geruch schärften sich, und sein Gehör wurde so fein, daß er im Schlaf den schwächsten Laut vernahm und wußte, ob er Friede oder Gefahr verkündete. Er lernte das Eis, wenn es sich zwischen den Zehen festsetzte, herauszubeißen; und wenn er durstig war und eine dicke Eisschicht das Wasserloch bedeckte, sprang er mit steifen Vorderbeinen darauf und zerschlug es. Seine außergewöhnlichste Fähigkeit aber war es, den Wind zu wittern und für eine Nacht vorauszusagen. Wie ruhig die Luft auch sein mochte, wenn er sich sein Lager unter Bäumen und neben Flußbänken grub, der Sturm, der sich unweigerlich später erhob, fand ihn beharrlich in einem windgeschützten Nest.

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