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griesgrämig:»Du auf meine aber auch nicht, wenn ich dich so ansehe.«Tyrannja ließ von ihm ab, trat einen Schritt zurück und fragte drohend:»Was willst du damit sagen?«»Oh, nichts«, antwortete er ausweichend,»du hast dich überhaupt nicht verändert in diesem halben Jahrhundert, seit wir uns das letzte Mal persönlich begegnet sind, liebste Tante.«»Du dagegen«, sagte sie,»bist schrecklich gealtert, mein armer Junge.«»Ah so?«versetzte er.»Dann muß ich dir allerdings sagen, daß du entsetzlich fett geworden bist, altes Mädchen.«Eine Sekunde lang starrten sich beide bitterböse an, dann meinte Irrwitzer einlenkend:»Jedenfalls ist es doch schön, daß wir beide ganz die alten sind.«»Hundertprozentig«, nickte Tyrannja,»es herrscht immer noch die gleiche Übereinstimmung zwischen uns wie eh und je.« 

Die Tiere in der Tonne saßen so dicht zusammengedrängt, daß eines den Herzschlag des anderen spüren konnte. Sie wagten kaum zu atmen. Das Gespräch zwischen Zauberer und Hexe ging noch eine Weile in diesem albernen Ton weiter. Es war offensichtlich, daß sie sich gegenseitig belauerten und keiner dem anderen traute. Aber schließlich versiegte ihr Vorrat an leeren Redensarten. Beide hatten inzwischen auf Stühlen Platz genommen, einander gegenüber, und musterten sich mit schmalen Augen wie zwei Pokerspieler vor der Partie. Frostiges Schweigen erfüllte den Raum. An der Stelle mitten zwischen ihnen, wo ihre Blicke sich kreuzten, entstand in der Luft ein dicker Eiszapfen und fiel klirrend zu Boden.»Und nun zum Geschäft«, sagte Tyrannja. Irrwitzers Gesicht blieb undurchdringlich.»Ich dachte mir schon, daß du nicht nur kommen würdest, um irgendeinen Sylvesterpunsch mit mir zu trinken.«Die Hexe richtete sich auf.»Wie kommst du denn ausgerechnet auf sowas?«»Nun, durch deinen Raben da - Jakob Krakel, oder wie er heißt.«»Der war hier?«»Ja, du hast ihn doch geschickt.«»Das habe ich nicht getan«, sagte Tyrannja böse.»Ich wollte dich mit meinem Besuch überraschen.«Irrwitzer lächelte freudlos.»Nimm's nicht so schwer, liebe Tante Tyti. So konnte ich mich doch wenigstens auf deinen lieben Besuch vorbereiten.«»Dieser Rabe«, fuhr die Hexe fort,»nimmt sich einfach zu viel heraus.«»Das finde ich allerdings auch«, antwortete Irrwitzer.»Er ist auffallend unverschämt.«Die Tante nickte.»Ich habe ihn seit ungefähr einem Jahr, aber er hatte von Anfang an einen aufsässigen Charakter.«Wieder starrten Zauberer und Hexe sich schweigend an.»Wieviel«, fragte Irrwitzer schließlich,»weiß er denn über dich - und deine Geschäfte?«»Gar nichts«, sagte Tyrannja,»er ist bloß ein Prolet, weiter nichts.«»Bist du da ganz sicher?«»Hundertprozentig!«Jakob kicherte laudos in sich hinein und flüsterte dem kleinen Kater ins Ohr:»So kann man sich irren.«»Warum behältst du das impertinente Federvieh überhaupt bei dir?«forschte Irrwitzer weiter.»Weil ich zuviel von ihm weiß.«»Und was weißt du von ihm?«Die Hexe ließ ihre Brillantplomben blitzen.»Alles.«»Was heißt das?«»Er ist in Wirklichkeit ein Spion, den mir der Hohe Rat der Tiere ins Haus geschickt hat, um mich zu überwachen. Dieser Galgenvogel hält sich für sehr gerissen. Er glaubt tatsächlich bis heute noch, ich hätte nichts davon gemerkt.«Jakob klappte fast hörbar seinen großen Schnabel zu. Maurizio stieß ihn an und raunte:»So kann man sich irren - Kollege.«Der Zauberer zog die Augenbrauen hoch und nickte nachdenklich.»Sieh mal einer an«, sagte er,»auch ich habe seit einiger Zeit solch einen Spion im Haus - einen völlig verblödeten Kater, der sich einbildet, ein Sänger zu sein. Er ist leichtgläubig, gefräßig und eitel, also ein sehr angenehmer Charakter -

für mich jedenfalls. Es war ein Kinderspiel, ihn von Anfang an unschädlich zu machen. Ich habe ihn mit Fressen vollgestopft - und mit Betäubungsmittelchen. Er döst nur noch vor sich hin, aber er ist glücklich und zufrieden, der kleine Idiot. Er vergöttert mich geradezu.«»Und er ahnt nichts?«»Er ist vollkommen vertrauensselig«, antwortete Irrwitzer.»Weißt du, was er heute getan hat? Er hat mir von sich aus alles gestanden - warum er hier ist und wer ihn geschickt hat. Er hat mich sogar um Verzeihung gebeten, weil er mich all die Zeit über getäuscht hätte. Kannst du dir einen solchen Trottel vorstellen?«Die Spannung zwischen Zauberer und Hexe explodierte in einem schallenden Gelächter. Obwohl es zweistimmig war, klang es nicht gerade harmonisch. Maurizio in der Tonne konnte ein kleines, lautloses Schluchzen nicht unterdrücken. Jakob, der gerade etwas Spöttisches hatte sagen wollen, fühlte es und verzichtete taktvollerweise auf jeden Kommentar. 

»Trotzdem«, sagte Tyrann] a, die unvermittelt wieder ernst wurde,»ist äußerste Vorsicht geboten, mein Junge! Daß man uns Spione ins Haus schickt, bedeutet, daß der Hohe Rat der Tiere Verdacht gegen uns ge- schöpft hat. Ich frage mich nur, durch wessen Schuld, Bubi?«Irrwitzer trotzte dem Blick der Tante und erwiderte:»Das fragst du mich? Vielleicht warst du etwas zu leichtsinnig, Tyti. Wer weiß schon, was in so einem Rabengehirn vor sich geht. Hoffentlich verdirbt der Kerl mir nicht meinen dummen Kater und bringt ihn am Ende noch auf gefährliche Gedanken.«Tyrannja schaute sich im Labor um.»Wir sollten die beiden mal ins Verhör nehmen. Wo stecken sie denn?«»In der Katzenkammer«, antwortete der Zauberer.»Ich habe Maurizio beauftragt, den Raben dort einzuschließen und zu bewachen.«»Und wird er den Befehl ausführen?«»Darauf kannst du Gift nehmen.«»Dann lassen wir's vorläufig dabei«, entschied die Hexe.»Wir können uns die beiden später immer noch vorknöpfen. Im Augenblick habe ich etwas Dringenderes mit dir zu besprechen.«Irrwitzers Argwohn kehrte sofort zurück.»Und was wäre denn das, Tantchen?«»Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich eigentlich zu dir gekommen bin.«»Dann frage ich es dich also jetzt.«Die Hexe lehnte sich zurück und fixierte ihren Neffen eine Weile mit strengem Blick. Er wußte, daß ihm wieder einmal eine ihrer sogenannten Gardinenpredigten bevorstand, die er haßte, weil sich dahinter immer irgendeine andere Absicht verbarg. Nervös trommelte er mit den Fingern auf der Stuhllehne, blickte zur Decke hinauf und pfiff vor sich hin.»Also, nun hör mir mal gut zu, Beelzebub Irrwitzer«, begann sie.»Mir hast du im Grunde alles zu verdanken, was du heute bist. Ist dir das eigentlich klar? Als deine lieben Eltern - mein Schwager Asmodeus und meine schöne Schwester Lilith - damals bei der großen Schiffskatastrophe, die sie verursacht hatten, versehentlich selbst so tragisch ums Leben kamen, habe ich dich bei mir aufgenommen und dich großgezogen. Ich habe es dir an nichts fehlen lassen. Ich habe dir eigenhändig die ersten Anfänge in profitabler Tierquälerei eingebleut, als du noch im zarten Kindesalter warst. Später habe ich dich auf die teuflischsten Schulen geschickt, ans Sodom- und Gomorra-Gymnasium und ans AhrimanCollege. Aber du warst immer ein schwer erziehbarer Charakter, Bubi; schon als du noch ein kleiner Student an der Magisch-Technischen Universität in Stinkfurt warst, habe ich stets deine Eigenmächtigkeiten vertuschen und deine Unfähigkeiten decken müssen, weil wir nun mal eben die beiden letzten aus unserer Familie sind. Alles das hat mich ein hübsches Sümmchen gekostet, wie du weißt. Deine guten Noten beim Examen in Höherer Diabolik hast du auch nur mir zu verdanken, weil ich als Präsidentin der Internationalen BosnickelAktien-Gesellschaft meinen Einfluß geltend gemacht habe. Ich habe dafür gesorgt, daß man dich in die Akademie der Schwarzen Künste aufnahm; und ich habe dich in die Tiefsten Kreise eingeführt, wo du deinen Gönner und Namenspatron höchstpersönlich kennenlernen durftest. Alles in allem, meine ich, stehst du genügend in meiner Schuld, um mir eine kleine Bitte nicht abzuschlagen, deren Erfüllung dich absolut nichts kostet.«Irrwitzers Gesicht hatte einen verkniffenen Ausdruck angenommen. Wenn sie ihm so kam, dann wollte sie ihn für gewöhnlich irgendwie hereinlegen.»Was mich absolut nichts kostet?«fragte er gedehnt.»Da bin ich aber neugierig.«»Nun -«, sagte die Hexe,»es ist wirklich kaum der Rede wert. Unter den Erbstücken, die dein Großvater Belial Irrwitzer dir hinterlassen hat, befand sich doch, wenn ich mich recht erinnere, eine uralte Pergamentrolle von etwa zweieinhalb Metern Länge.«Irrwitzer nickte zögernd.»Sie liegt irgendwo auf meinem Speicher. Ich müßte sie erst suchen. Ich habe sie weggeräumt, weil mit ihr ganz und gar nichts anzufangen ist. Ursprünglich war sie offenbar viel länger, aber der gute Opa Belial hat sie bei einem seiner berühmten Wutanfälle in zwei Stücke gerissen. Mir hat er nur die zweite Hälfte vermacht, boshaft wie er war. Wo die erste Hälfte ist, weiß niemand. Wahrscheinlich handelt es sich um irgendein Rezept leider völlig wertlos, auch für dich, Tantchen.«»Eben!«sagte Tyrannja und lächelte, als ob ihr Gebiß aus Kandiszucker wäre.»Und da du, wie ich annehmen darf, auch in Zukunft auf meine Finanzierung Wert legst,könntest du mir eigentlich dieses wertlose Stück Pergamentrolle schenken.«Das plötzliche Interesse der Tante an diesem Erbstück ließ den Zauberer aufhorchen.»Schenken?!«- Er spuckte das Wort förmlich aus wie etwas Unappetitliches. -»Ich schenke nichts. Wer schenkt mir?«Tyrannja seufzte.»Nun, ich habe es mir fast gedacht. Warte einen Augenblick.«Sie begann, mit ihren goldenen Klauen an dem Nummernschloß ihres Handtaschen-Tresors herumzufingern. Dazu murmelte sie geschäftsmäßig:»Oh Mammon, Fürst dieser Welt, du gibst Macht über Menschen und Sachen! Aus Nichts schöpfst du immerfort Geld, und mit Geld kann man Alles machen.«Dann öffnete sie mit einem Ruck die kleine Panzertür und zog einige dicke Bündel Banknoten heraus, die sie vor Irrwitzer hinblätterte.