Nichts soll sie erben, gar nichts! Ich werde die Akten mit den wichtigsten Formeln unverzüglich in meinem absolut zaubersicheren Geheimkeller einlagern. Nie wird sie dort hineinkommen, sie nicht und auch kein anderer.«Er wollte schon fortrennen, bremste sich aber noch einmal ab und suchte mit wilden Augen im Labor herum.»Maurizio, zum Pestizid nochmal, wo steckst du?«»Hier, Maestro«, antwortete Maurizio vom Haifischkopf herunter.»Hör zu«, rief der Zauberer zu ihm hinauf,»solange ich weg bin, bewachst du mir scharf dieses impertinente Rabenaas da, verstanden! Aber schlaf nicht wieder ein. Gib acht, daß er seinen Schnabel nicht in Sachen steckt, die ihn nichts angehen. Am besten bringst du ihn in deine Kammer und setzt dich vor die Tür. Trau ihm auf keinen Fall, laß dich auf keine Gespräche und keine Anbiederungsversuche ein. Du bist mir verantwortlich.«Er hastete davon und sein giftgrüner Schlafrock flatterte hinter ihm drein.
Die beiden Tiere saßen sich allein gegenüber. Der Rabe schaute den Kater an, und der Kater schaute den Raben an.»Na?«fragte Jakob nach einer Weile.»Was - na?«fauchte Maurizio. Der Rabe zwinkerte wieder.»Hast du denn wirklich nix kapiert, Kollege?«Maurizio war verwirrt, wollte das aber auf keinen Fall zugeben, darum sagte er:»Halt deinen großen Schnabel! Wir sollen nicht schwätzen, hat mein Maestro befohlen.«»Aber jetzt is' er doch weg«, schnarrte Jakob,»jetzt können wir doch offen reden, Kollege.«»Keine Anbiederungsversuche!«antwortete Maurizio streng.»Gib dir keine Mühe. Du bist dreist und hast kein Niveau. Ich mag dich nicht.«»Mich mag sowieso niemand, da bin ich dran gewöhnt«, antwortete Jakob.»Aber trotzdem müssen wir jetzt zusammenhelfen, wir zwei. Das is' doch unsere Aufgabe.«»Sei still!«knurrte der kleine Kater aus der Kehle und versuchte, so gefährlich wie möglich auszusehen.»Wir gehen jetzt in mein Zimmer. Spring runter - und mach ja keinen Fluchtversuch! Los!«Jakob Krakel schaute Maurizio kopfschüttelnd an und fragte:»Bist du so blöd oder tust du nur so?«Maurizio wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Seit er mit dem Raben allein war, kam dieser ihm plötzlich viel größer vor und sein Schnabel wirkte viel schärfer und gefährlicher. Unwillkürlich machte er einen hohen Buckel und sträubte seinen Schnurrbart. Dem armen Jakob, der das für eine ernste Drohung hielt, schlug das Herz bis zum Hals. Gehorsam flatterte er auf den Boden hinunter. Der kleine Kater, selbst ganz überrascht von dieser Wirkung, sprang dem Raben nach.»Tu mir nix, ich tu dir auch nix«, gackste Jakob und duckte sich. Maurizio kam sich großartig vor.»Vorwärts, Fremdling!«befahl er.»Na, gut' Nacht!«schnarrte Jakob ergeben.»Ich wollt', ich war' bei meiner Klara im Nest geblieben.«»Wer ist Klara?«»Ach«, sagte Jakob,»bloß meine arme Frau.«Und er stakste auf seinen dünnen Beinen los, der Kater folgte ihm. Als sie in dem langen, dunklen Korridor mit den vielen Einmachgläsern angekommen waren, fragte Maurizio, der inzwischen nachgedacht hatte:»Wieso sagst du überhaupt dauernd Kollege zu mir?«»Heiliger Galgenstrick, weil wir's doch sind«, antwortete Jakob,»oder wenigstens waren wir's mal, hab' ich gemeint.«»Ein Kater und ein Vogel«, erklärte Maurizio stolz,»sind niemals Kollegen. Bilde dir nur nichts ein, Rabe. Kater und Vögel sind natürliche Feinde.«»Natürlich«, bestätigte Jakob.»Ich mein', natürlich war' das eigentlich natürlich. Aber natürlich nur dann, wenn die Lage natürlich is'. In unnatürlichen Lagen sind natürliche Feinde manchmal Kollegen.«»Halt ein!«sagte Maurizio.»Das habe ich nicht verstanden. Drück dich deutlicher
aus.«Jakob blieb stehen und drehte sich um.»Du bist doch auch als Geheimagent hier, um deinen Maestro zu beobachten, oder vielleicht nicht?«»Wieso?«fragte Maurizio, jetzt vollends verwirrt.»Du etwa auch? Aber warum schickt der Hohe Rat denn noch einen Agenten hierher?«»Nein, doch nicht hierher«, antwortete Jakob,»ich mein', nicht mich. Ah, du machst mich noch ganz konfuselig im Kopf mit deiner langen Leitung. Also: Ich bin Spion bei meiner Madam Hexe, so wie du bei deinem Musjö Zauberer. Hast du jetzt endlich den Wurm geschluckt?«Maurizio setzte sich vor Erstaunen.»Ist das ehrlich so?«»So ehrlich, wie ich ein Pechvogel bin«, seufzte Jakob.»Hättest du übrigens was dagegen, wenn ich mich mal kratze? Mich juckt's schon die ganze Zeit.«»Aber bitte sehr!«erwiderte Maurizio mit einer großzügigen Pfotenbewegung.»Wo wir doch Kollegen sind.«
Er legte seinen Schwanz elegant um sich herum und sah zu, wie Jakob sich ausgiebig mit einer Kralle am Kopf kratzte. Er fand diesen alten Raben auf einmal ungemein sympathisch.»Warum hast du dich denn nicht gleich von Anfang an zu erkennen gegeben?«»Hab' ich doch«, schnarrte Jakob.»Ich hab' dir doch dauernd zugezwinkert.«»Ach so!«rief Maurizio.»Aber das hättest du doch ruhig laut sagen können.«Jetzt war Jakob an der Reihe, nichts mehr zu verstehen.»Laut sagen?«krächzte er.»Damit dein Chef alles hört? Du bist ja gelungen.«»Mein Maestro weiß sowieso alles.«»Was?!«schnappte der Rabe.»Hat er's rausgekriegt?«»Nein«, sagte Maurizio,»ich habe ihn in die Sache eingeweiht.«Dem Raben blieb der Schnabel offen.»Das darf doch nicht wahr sein«, stieß er schließlich heraus.»Das pustet mich glatt vom Ast! Sag das nochmal!«»Ich mußte es einfach tun«, erklärte Maurizio mit wichtiger Miene.»Es wäre nicht ritterlich gewesen, ihn noch länger zu hintergehen. Ich habe ihn lange beobachtet und geprüft, und ich habe festgestellt, er ist ein edler Mensch und ein wahres Genie und unseres Vertrauens würdig. Obwohl er sich heute ein bißchen komisch benimmt, das gebe ich zu. Aber mich jedenfalls hat er die ganze Zeit behandelt wie einen Prinzen. Und das zeigt doch, was für ein gütiger Mann und Wohltäter der Tiere er ist.«Jakob starrte Maurizio bestürzt an.»Das gibt's nicht! So dämlich kann ein einzelner Kater nicht sein. Vielleicht zwei oder drei zusammen, aber nicht einer allein. Jetzt hast du alles verpatzt, mein Junge, jetzt is' es aus, jetzt wird der ganze Plan der Tiere ein böses Ende nehmen, ein bitterböses sogar. Ich hab's ja kommen sehen, ich hab's von Anfang an kommen sehen!«»Du kennst meinen Maestro doch überhaupt nicht«, maunzte der Kater beleidigt,»er ist sonst ganz anders als heute.«»Zu dir vielleicht!«kreischte Jakob.»Er hat dich total eingewickelt - und zwar in Fett, wie man sieht.«»Wofür hältst du dich?«fauchte Maurizio, jetzt ernstlich wütend.»Wieso weißt du alles besser als ich?«»Ja hast du denn keine Augen im Kopf?«schrie Jakob.»Da schau dich doch bloß mal um hier! Was glaubst du denn, was das da is'?«Und er wies mit ausgestrecktem Flügel auf die Regale mit den zahllosen Einmachgläsern.»Das? Das ist eine Krankenstation«, antwortete Maurizio.»Das hat der Maestro mir selbst gesagt. Er versucht, die armen Gnome und Elfen zu heilen. Was weißt du denn davon!«»Was ich weiß?«Jakob Krakel geriet immer mehr außer sich.»Soll ich dir sagen, was das is'? Ein Gefängnis is' das! Eine Folterkammer is' das! Dein guter Maestro is' in Wahrheit einer von den Allerschlimmsten, die es überhaupt auf der Welt gibt, das is' er! So sieht's aus, du Einfaltspinsel! Ha - ein Schönie! Ein Wohltäter!