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Claude Lebel stand auf und ging zur Tür. Die anderen erhoben sich ebenfalls und waren im Begriff, sich zum Essen zu begeben.

«Oh, sagen Sie mir doch eines«, rief der Minister Lebel nach.

«Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, das Telephon in Oberst Saint Clairs Privatwohnung abzuhören?«

«Ich bin nicht darauf gekommen«, sagte er,»und habe deswegen gestern nacht bei Ihnen allen das Telephon anzapfen lassen. Guten Tag, meine Herren.«

Am gleichen Nachmittag um 5 Uhr kam dem Schakal, als er, eine dunkle Brille, wie sie hier jedermann trug, vor den Augen, bei einem Glas Bier auf einer Cafeterrasse an der Place de l'Odeon saß, die rettende Idee. Er verdankte sie dem Anblick zweier Männer, die auf dem Bürgersteig vorüberschlenderten. Er zahlte sein Bier, stand auf und ging. Hundert Meter weiter fand er, was er suchte — einen Schönheitssalon für Damen. Er betrat den Laden und tätigte ein paar Einkäufe.

Um sechs änderten die Abendzeitungen ihre Schlagzeilen. Die Spätausgaben trugen in fetten Balken die Überschrift: »Assassin de la Belle Baronne se refugie a Paris«. Darunter prangte ein vor fünf Jahren auf einer Party in Paris aufgenommenes Photo der Baronin de la Chalonniere. Es war im Archiv einer Bildagentur ausgegraben worden, und alle Blätter brachten das gleiche Photo.

Mit einem Exemplar des» France-Soir «unter dem Arm betrat Oberst Rolland um 18 Uhr 30 ein kleines Cafe nahe der rue Washington. Der Barmann mit dem blauschwarzen Schimmer auf Kinnlade und Wangen sah ihn scharf an und nickte dann einem anderen Mann im hinteren Teil des Cafes zu.

Der zweite Mann kam herangeschlendert und trat auf Rolland zu.

«Oberst Rolland?«

Der Chef des Aktionsdienstes nickte.

«Bitte folgen Sie mir.«

Er führte den Oberst durch die Hintertür des Cafes und über eine Treppe in ein kleines Wohnzimmer im ersten Stock hinauf, das vermutlich zu den Privaträumen des Cafebesitzers zählte. Er klopfte, und eine Stimme rief: »Entrez.«

Als sich die Tür hinter ihm schloß, drückte Rolland die ausgestreckte Hand des Mannes, der sich aus einem Sessel erhoben hatte.

«Oberst Rolland? Enchante. Ich bin der Capu der Union Corse. Ich höre, daß Sie einen bestimmten Mann suchen… «Es war 20 Uhr, als Lebel der Anruf aus London durchgestellt wurde. Superintendent Thomas' Stimme klang müde.

Es war kein leichter Tag für ihn gewesen. Einige Konsulate hatten sich entgegenkommend gezeigt, andere in der Zusammenarbeit als ungemein schwierig erwiesen.

Von Frauen, Negern, Asiaten und Männern unter einssiebzig abgesehen, waren in den letzten fünfzig Tagen insgesamt acht ausländischen Touristen die Pässe in London abhanden gekommen oder gestohlen worden, berichtete er. Sorgfältig hatte er sich die Namen, die Paßnummern und Personenbeschreibungen der Betreffenden notiert.

«Lassen Sie uns zunächst diejenigen eliminieren, die nicht in Frage kommen«, schlug er Lebel vor.»Drei haben ihren Paß zu einem Zeitpunkt verloren, zu dem der Schakal, alias Duggan, nachweislich nicht in London war. Wir haben Flugbuchungen und Schiffspassagen ebenfalls bis zum 1.Juli einschließlich überprüft. Offenbar ist er am 18. Juli mit der Abendmaschine nach Kopenhagen geflogen. Laut BEA hat er in Brüssel an ihrem Schalter für ein Ticket bar gezahlt und am 6. August abends die Maschine zurück nach England genommen.«

«Ja, das dürfte stimmen«, sagte Lebel.»Wir haben festgestellt, daß er auf dieser Reise auch in Paris gewesen ist. Vom 22. bis zum 31.Juli.«

«Als er weg war«, sagte Thomas,»sind also drei Pässe gestohlen oder verloren worden. Die können wir ausschließen, ja?«»Ja«, sagte Lebel.

«Von den übrigen fünf Paßinhabern ist einer extrem groß — mehr als sechs Fuß sechs Zoll, das heißt also in Ihrer Sprache über zwei Meter. Abgesehen davon ist er Italiener und seine Größe daher im Paß in Zentimetern angegeben. Jeder französische Zollbeamte würde es lesen können und den Unterschied sofort bemerken, es sei denn, der Schakal ginge auf Stelzen.«»Sie haben recht, das muß ja ein Riese gewesen sein. Der Mann kommt nicht in Frage. Was ist mit den anderen vier?«

«Tja, der eine ist enorm dick, wiegt zweihundertzweiundvierzig Pfund, fast zweieinhalb Zentner also. Der Schakal müßte seinen Anzug so auswattieren, daß er kaum noch darin gehen könnte.«

«Kann also ebenfalls ausgeschlossen werden«, sagte Lebel.

«Wer sonst noch?«

«Einer ist Norweger, der andere Amerikaner«, sagte Thomas.

«Auf beide paßt die Beschreibung. Hochgewachsen, breitschultrig, zwischen zwanzig und fünfzig. Zwei Dinge sprechen dagegen, daß der Norweger Ihr Mann sein könnte. Zum einen ist er blond, und ich glaube nicht, daß der Schakal, nachdem er als Duggan aufgeflogen ist, zu seiner eigenen Haarfarbe zurückkehren würde. Damit sähe er Duggan allzu ähnlich. Zum anderen hat der Norweger seinem Konsul gemeldet, der Paß müsse ihm abhanden gekommen sein, als er bei einer Bootsfahrt mit seiner Freundin auf dem Serpentine-Teich im Hyde Park in voller Kleidung ins Wasser gefallen sei. Er schwört, daß der Paß in seiner Brusttasche gesteckt habe, als er hineinfiel, und nicht mehr drin war, als er fünfzehn Minuten später an Land kletterte. Der Amerikaner dagegen hat gegenüber der Polizei im Londoner Flughafen unter Eid erklärt, daß ihm seine Reisetasche mit dem darin befindlichen Paß gestohlen wurde, als er in der Haupthalle nur einmal kurz in eine andere Richtung schaute. Was meinen Sie?«»Schicken Sie mir rasch alle Angaben über den Amerikaner. Ich lasse mir sein Photo vom Paßamt in Washington kommen. Und seien Sie nochmals für Ihre Unterstützung bedankt.«

Am gleichen Tag fand abends um 10 Uhr eine zweite Sitzung statt. Es war die bisher kürzeste. Eine Stunde zuvor hatten alle Abteilungen des Staatssicherheitsapparats bereits Photokopien mit der genauen Personenbeschreibung des wegen Mordes gesuchten Amerikaners Marty Schulberg erhalten. Eine Photographie hoffte man noch vor dem nächsten Morgen zu erhalten, rechtzeitig für die ersten Ausgaben der Abendblätter, die um 10 Uhr vormittags an den Kiosken erschienen. Der Minister erhob sich.

«Meine Herren, als wir uns das erstemal hier zusammensetzten, schlössen wir uns Kommissar Bouviers Auffasssung an, daß die Identifizierung des unter dem Decknamen >Der Schakal< bekannten Mörders im wesentlichen die Aufgabe eines Detektivs sei. In der Rückschau erweist sich nun, wie richtig diese Einschätzung gewesen war. Wir können von Glück sagen, daß wir in den vergangenen zehn Tagen über die Dienste Kommissar Lebels verfügten. Ungeachtet des dreimaligen Wechsels der Identität des Mörders, von Calthrop zu Duggan, von Duggan zu Jensen und von Jensen zu Schulberg, und trotz des fortgesetzten Geheimnisverrats, der in diesem Raum seinen Ausgang nahm, ist es gelungen, den gesuchten Mann zu identifizieren und ihn innerhalb der Stadtgrenzen von Paris zu lokalisieren. Wir schulden ihm Dank. «Er verneigte sich leicht vor Lebel, der verlegen dreinblickte.

«Jetzt aber«, fuhr der Minister fort,»ist die Reihe an uns. Wir wissen seinen Namen, haben seine Personenbeschreibung, und seine Paßnummer sowie seine Nationalität sind uns ebenfalls bekannt. In wenigen Stunden werden wir auch sein Photo haben. Ich bin zuversichtlich, daß wir den Mann mit Hilfe der Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte rasch fassen. Schon jetzt ist jeder Polizeibeamte in Paris, jeder CRS-Mann und jeder Detektiv unterrichtet. Noch vor dem Morgengrauen, spätestens aber ab morgen mittag wird der Gesuchte sich nirgendwo mehr verborgen halten können.

Und nun lassen Sie mich Ihnen nochmals danken, Kommissar Lebel, und Sie von der schweren Bürde befreien, die Ihnen mit dieser Ermittlung auferlegt war. In den kommenden Stunden werden wir nicht mehr auf Ihre unschätzbare Hilfe angewiesen sein. Ihre Arbeit ist getan, und gut getan. Ich danke Ihnen.«