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Notwendigkeit bestehe, die Polizei in sein Hotel zu rufen, da er seinen Paß offenkundig irgendwoanders auf der Reise verloren habe. Der Däne, der ein freundlicher Mann und seiner Rechte auf ausländischem Boden nicht sonderlich sicher war, stimmte ihm wider besseres Wissen zu. Am Tag darauf meldete er seinem Generalkonsulat den Verlust, erhielt einen ersatzweise ausgestellten Reiseausweis, mit dem er nach Abschluß seines vierzehntägigen Aufenthalts in London die Rückreise nach Kopenhagen antreten konnte, und vergaß die Angelegenheit. Der Angestellte des Generalkonsulats, der ihm die Ersatzpapiere ausgehändigt hatte, machte den Verlust eines auf den Namen Per Jensen, Pastor an der Sankt Kjeldskirke in Kopenhagen, ausgestellten Reisepasses in Form eines entsprechenden Vermerks aktenkundig und vergaß dann die Angelegenheit ebenfalls. Das war am 14. Juli.

Zwei Tage später erlitt ein amerikanischer Student aus Syracuse im Staate New York den gleichen Verlust. Er war soeben im Transatlantik-Gebäude des Londoner Flughafens eingetroffen und hatte am Schalter des American Express seinen Paß vorgewiesen, um den ersten seiner Traveller-Schecks einzulösen. Das ausgezahlte Geld steckte er in eine Innentasche seiner Jacke und den Paß in einen mit einem Reißverschluß versehenen Beutel, den er anschließend wieder in seiner kleinen ledernen Reisetasche verstaute. Ein paar Minuten später stellte er die Tasche für einen Moment ab, um einen Gepäckträger herbeizuwinken, und nach drei Sekunden war sie verschwunden. Zunächst beschwerte er sich bei dem Gepäckträger, der ihn zum Auskunftsschalter der Pan Am brachte, von wo aus er an den nächsten Beamten der Flughafenpolizei verwiesen wurde, der ihn zur Polizeiwache geleitete, auf welcher er dann sein Mißgeschick zu Protokoll gab.

Nachdem eine Überprüfung ergeben hatte, daß die Handtasche unmöglich von irgend jemandem in der irrtümlichen Annahme, sie gehöre ihm, mitgenommen worden sein konnte, wurde ein Bericht aufgenommen und der Vorfall als vorsätzlicher Diebstahl gemeldet.

Man entschuldigte sich dem hochgewachsenen, athletischen jungen Amerikaner gegenüber in aller Form wegen des bedauerlichen Unwesens, das Taschen-, Reise- und Handtaschendiebe vorzugsweise in öffentlichen Gebäuden trieben, und informierte ihn eingehend über die zahllosen Vorkehrungen, mit denen die Flughafenbehörde ausländische Fluggäste vor Diebstählen zu schützen suchte. Der Amerikaner hatte den Anstand, seinerseits zuzugeben, daß einer seiner Freunde auf der Grand Central Station in New York in ganz ähnlicher Weise beraubt worden sei.

Der Bericht wurde zusammen mit einer Beschreibung der verschwundenen Reisetasche, ihres Inhalts sowie des in dem Beutel \ befindlichen Passes und der Papiere allen Dienststellen der Londoner Polizei routinemäßig zugestellt und sein Eingang dort aktenkundig vermerkt. Als aber Wochen vergingen, ohne daß sich für den Verbleib der Tasche oder ihres Inhalts irgendwelche Anhaltspunkte ergeben hätten, geriet auch dieser Vorgang in Vergessenheit. Inzwischen war Marty Schulberg auf sein Konsulat am Grosvenor Square gegangen, hatte den Diebstahl seines Passes gemeldet und Reisepapiere ausgestellt bekommen, mit denen er nach der vierwöchigen Rundreise, die er gemeinsam mit einer ihm befreundeten

Austauschstudentin durch das Schottische Hochland unternehmen wollte, in die Vereinigten Staaten zurückfliegen konnte. Der Verlust wurde auf dem Konsulat registriert, dem State Department in Washington gemeldet und anschließend von beiden Ämtern vergessen.

Wie viele Flugpassagiere bei ihrer Ankunft vor einem der beiden für eintreffende Überseefluggäste reservierten Gebäude des Londoner Flughafens von der Aussichtsterrasse aus durchs Fernglas gemustert wurden, wird nie genau festzustellen sein. Trotz ihres Altersunterschiedes hatten die beiden Männer, die ihrer Pässe verlustig gingen, einiges gemeinsam. Beide waren etwa ein Meter siebzig groß, breitschultrig und schlank, beide hatten blaue Augen und Gesichtszüge, die denen des unauffälligen Engländers, der sie beobachtet und beraubt hatte, nicht unähnlich waren.

Im übrigen war Pastor Jensen achtundvierzig Jahre alt, grauhaarig und trug beim Lesen eine goldgefaßte Brille; Marty Schulberg war fünfundzwanzig, hatte kastanienbraunes Haar und eine dicke Manager-Hornbrille, die er ständig trug.

Das waren die Gesichter, deren Paßbilder der Schakal auf dem Sekretär in seiner Wohnung hinter der South Audley Street ausgiebig studierte. Er verbrachte einen Tag damit, Maskenbildner, Optikerläden sowie ein Herrenausstattungsgeschäft aufzusuchen, um sich ein Paar blaugefärbter Klarsicht-Kontaktlinsen, zwei Brillen- eine goldgefaßte und eine mit schwerem schwarzem Gestell —, eine vollständige Garnitur, bestehend aus einem Paar schwarzer Mokassins, T-Shirt, Slip, cremefarbener Hose und himmelblauer Windjacke mit Reißverschluß und angestricktem Kragen und Manschetten aus roter und weißer Wolle, alles das Made in USA, zu besorgen, ferner ein weißes Hemd mit gestärktem hohem Kragen und schwarzer Krawatte, wie sie von Geistlichen getragen zu werden pflegen. Aus jedem der drei letztgenannten Artikel trennte er das Firmenschild sorgfältig heraus.

Sein letzter Besuch an diesem Tag galt einem von zwei Homosexuellen betriebenen Laden in Chelsea, in welchem es Herrenperücken und Toupets zu kaufen gab. Hier erhielt er eine Tinktur, die das Haar mittelgrau, und eine zweite, die es braun tönte, zusammen mit ebenso präzise wie diskret erteilten Instruktionen darüber, wie die Flüssigkeit aufzutragen sei, um eine möglichst echt aussehende Färbung innerhalb kürzester Zeit zu erzielen. Er kaufte auch mehrere kleine Haarbürsten zum Auftragen der Tinkturen. Ansonsten — und abgesehen von der kompletten amerikanischen Garnitur — tätigte er in keinem der Läden mehr als jeweils einen einzigen Kauf. Am nächsten Tag- es war der 18. Juli-brachte» Le Figaro «auf der Innenseite eine kurze Notiz. Sie besagte, daß Kommissar Hyppolite Dupuy, stellvertretender Leiter der Brigade Criminelle bei der Police Judiciaire, in seinem Büro am Quai des Orfevres in Paris einen Schlaganfall erlitten habe und auf dem Transport in ein nahe gelegenes Krankenhaus verstorben sei. Zu seinem Nachfolger habe man Kommissar Lebel, den bisherigen Leiter der Mordkommission ernannt, der in Anbetracht der in den Sommermonaten besonders starken Arbeitsüberlastung aller Abteilungen der Brigade seine verantwortungsvolle Tätigkeit in der neuen Stellung unverzüglich aufnehmen werde. Der Schakal, der täglich alle in London erhältlichen französischen Zeitungen las, hatte die Meldung überflogen, weil ihm in der Überschrift das Wort »Criminelle« ins Auge gesprungen war, aber über ihren Inhalt nicht weiter nachgedacht.

Bevor er seinen Beobachtungsposten auf dem Londoner Flughafen bezog, hatte er beschlossen, während des gesamten Zeitraums des bevorstehenden Mordunternehmens unter falschem Namen zu operieren. Es gehört zu den einfachsten Dingen der Welt, sich einen britischen Paß zu verschaffen. Der Schakal bediente sich hierbei einer Methode, wie sie von den meisten Söldnern, Schmugglern und Banditen benutzt wird, wenn sie sich, um Staatsgrenzen überschreiten zu können, eine andere Identität zuzulegen wünschten. Auf der Suche nach kleinen Ortschaften, die für seine Zwecke geeignet erschienen, unternahm er zunächst einer Autotour durch die Home Counties des Themsetals. Nahezu jedes englische Dorf hat eine hübsche Kirche nebst einem kleinen Friedhof, der sich in ihren Schatten schmiegt. Auf dem dritten Friedhof, den der Schakal aufsuchte, fand er einen Grabstein, der ihm! für seine Pläne geeignet erschien. Er war für den im Jahre 19311 im Alter von zweieinhalb Jahren verstorbenen Alexander Duggan errichtet worden. Wäre das Kind der Duggans am Leben geblieben, würde es im Juli 1963 nur um wenige Monate älter als der Schakal gewesen sein. Der Vikar zeigte sich dem Besucher gegenüber, der im Vikariat erschien, sich als Amateurgenealoge ausgab und behauptete, sich als solcher für den Stammbaum der Familie Duggan zu interessieren, freundlich und hilfsbereit. Der Besucher hatte gehört, daß es hier eine Familie Duggan gäbe, die sich vor Jahren in diesem Dorf niedergelassen habe, und war gekommen, um sich, übrigens durchaus bescheiden, ja sogar ein wenig schüchtern, zu erkundigen, ob die Eintragungen im Kirchenbuch ihm wohl auf seiner Suche weiterzuhelfen vermochten. Der Vikar war die Freundlichkeit selbst, und das auf dem Gang zur Kirche der Schönheit ihres normannischen Baus gezollte Kompliment wie auch der in die hierfür vorgesehene Büchse gesteckte Beitrag zum Renovierungsfonds taten ein übriges, um die Atmosphäre vollends aufzulockern. Das Kirchenbuch wies aus, daß beide Eltern Duggan im Verlauf der letzten sieben Jahre verstorben waren, und natürlich auch, daß ihr einziger Sohn Alexander vor mehr als dreißig Jahren auf dem Friedhof eben dieser Kirche begraben worden war. Der Schakal blätterte in den Seiten des Geburts-, Heirats- und Sterberegisters für das Jahr 1929 und entdeckte unter den im April jenes Jahres vorgenommenen Eintragungen den in schnörkliger geistlicher Schönschrift vermerkten Namen Duggan.