«Das bedeutet meiner Ansicht nach, daß es kein Mehrladegewehr sein kann, weil eine Gaskammer zu groß wäre. Aus dem gleichen Grund kommt auch ein Federmechanismus nicht in Frage«, sagte der Engländer.»Mir scheint, es wird sich nur um ein Bolzengewehr handeln können.«
Goossens sah zur Decke hinauf, während er sich im Geiste das Bild von einem Gewehr zu machen versuchte, dessen Verschlußteile sich, wie es sein Besucher wünschte, durch außerordentliche Schlankheit auszeichneten.»Gut, weiter.«
«Andererseits darf es keinen Bolzen mit einem Riegel haben, der wie bei der Mauser 7.92 oder der Lee Enfield.303 seitlich herausragt. Der Bolzen muß sich zum Einlegen des Geschosses in die Kammer mit Daumen und Zeigefinger fassen und spielend leicht auf der Kammerbahn zur Schulter hin zurückschieben lassen. Ebensowenig darf es einen Abzugbügel geben, und der Abzug selbst muß abnehmbar sein, damit er erst unmittelbar vor dem Feuern aufgesetzt zu werden braucht.«»Warum das?«fragte der Belgier.
«Weil der ganze Mechanismus in einem röhrenförmigen Behälter untergebracht und transportiert werden muß und der Behälter nicht auffallen soll. Zu diesem Zweck darf sein Durchmesser aus Gründen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, nicht größer sein, als ich eben angegeben habe. Ist es möglich, einen abnehmbaren Abzug herzustellen?«
«Gewiß, möglich ist fast alles. Natürlich könnte man ein Einzelladegewehr entwerfen, das zum Laden wie eine Schrotflinte aufgeklappt wird. Das würde den Bolzen gänzlich überflüssig machen, aber ein Gelenk erfordern und wäre insofern wohl nicht unbedingt von Vorteil. Außerdem müßte ein solches Gewehr von Grund auf neu entworfen, angefertigt und dabei das für Kammer und Schloß benötigte Metallstück gewalzt werden. Keine ganz leichte Aufgabe in einer so kleinen Werkstatt, aber doch zu schaffen.«
«Wie lange würden Sie dazu brauchen?«fragte der Engländer.Der Belgier zuckte mit den Achseln und hob die Hände.»Ein paar Monate schon, fürchte ich.«»So viel Zeit habe ich nicht.«
«In dem Fall wird es nötig sein, sich ein im Handel erhältliches Gewehr zu beschaffen und daran die entsprechenden Änderungen vorzunehmen. Bitte, fahren Sie fort.«
«Gut. Die Büchse muß außerdem leicht sein. Sie braucht kein schweres Kaliber zu haben, das Geschoß wird schon seine Wirkung tun. Der Lauf muß kurz sein, nach Möglichkeit nicht länger als dreißig Zentimeter…«
«Aus welcher Entfernung werden Sie feuern müssen?«» Das steht noch nicht fest, aber vermutlich werden es nicht mehr als hundertdreißig Meter sein.«
«Wollen Sie einen Kopf- oder einen Brustschuß abfeuern?«»Es wird wahrscheinlich ein Kopfschuß sein müssen. Möglicherweise bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die Brust zu zielen, aber der Kopf ist sicherer.«
«Mit größerer Sicherheit tödlich, ja, wenn Sie treffen«, sagte der Belgier.»Aber sicherer zu treffen ist die Brust. Zumindest, wenn man eine leichte Waffe mit kurzem Lauf über eine Entfernung von hundertdreißig Meter benutzt — und das womöglich unter hinderlichen Umständen. Aus Ihrer Unbestimmtheit, was diesen einen Punkt betrifft — ob Kopf- oder Brustschuß —, schließe ich, daß irgend jemand dazwischentreten könnte?«»Ja, das könnte schon sein.«
«Glauben Sie, daß Sie die Chance haben werden, einen zweiten Schuß abzugeben — wo Sie doch einige Sekunden benötigen, um die leere Patronenhülse herauszunehmen, eine zweite einzulegen, den Verschluß zu betätigen und neuerlich zu zielen?«
«Das halte ich für so gut wie ausgeschlossen, es sei denn, ich hätte einen Schalldämpfer aufgesetzt und das Ziel mit dem ersten Schuß so weit verfehlt, daß von keinem Umstehenden etwas bemerkt worden wäre. Aber auch wenn ich gleich mit dem ersten Schuß die Stirn treffe, brauche ich den Schalldämpfer, um mir die Flucht zu sichern. Es müssen ein paar Minuten verstreichen, bevor irgend jemand aus der näheren Umgebung des Getroffenen auch nur annähernd begreift, aus welcher Richtung der Schuß gekommen ist.«
Der Belgier, der jetzt nicht mehr zur Zimmerdecke hinauf, sondern auf den Schreibblock vor sich starrte, nickte mehrmals.
«In diesem Fall wird es besser sein, wenn Sie Explosivgeschosse verwenden. Ich kann Ihnen eine Handvoll davon zusammen mit dem Gewehr zurechtmachen. Sie wissen, was ich meine?«Der Engländer nickte.»Glyzerin oder Quecksilber?«»Oh, Quecksilber, würde ich meinen. Das ist hübscher und sauberer. Gibt es noch weitere Punkte zu besprechen, die das Gewehr betreffen?«
«Ich fürchte, ja. Um die Waffe möglichst schlank zu halten, sollte nicht nur der Schaft, sondern auch der Kolben entfernt werden. Zum Feuern müßte es eine Schulterstütze erhalten, deren drei Teile sich wie beim Sten-Gewehr auseinanderschrauben lassen. Und schließlich muß es sowohl mit einem hundertprozentig funktionierenden Schalldämpfer als auch mit einem Zielfernrohr ausgestattet sein. Beides muß sich zur Lagerung und zum Transport abschrauben lassen.«
Der Belgier dachte sehr lange nach und trank gemächlich schluckend sein Bier aus. Der Engländer wurde ungeduldig.»Also, wie ist es — werden Sie es schaffen?«Goossens schien aus seinen Träumereien zu erwachen. Er lächelte, um Entschuldigung bittend.
«Verzeihen Sie. Es ist ein recht komplexer Auftrag. Aber ja, selbstverständlich schaffe ich das. Schließlich habe ich bislang noch jeden gewünschten Artikel produzieren können. Was Sie da beschrieben haben, ist recht eigentlich eine Jagdexpedition, bei der die Ausrüstung gewisse Kontrollen passieren muß, ohne Mißtrauen zu erwecken. Auf einer Jagdexpedition braucht man ein Jagdgewehr, und das ist es, was Sie bekommen werden. Kein.22er-Kaliber-Gewehr, denn das ist für Hasen und Kaninchen gedacht, aber auch keine.300er-Kanone wie die Remington, weil die sich niemals auf die von Ihnen gewünschten Größenmaße reduzieren ließe.
Ich glaube, das Gewehr, an das ich denke, wäre schon richtig für Ihre Zwecke. Ein erstklassiges Präzisionsgewehr, das hier in Brüssel in einigen Sportgeschäften zu haben ist. Außerordentlich zielgenau gearbeitet, dabei leicht und schlank. Wird viel für die Gamsjagd und zum Erlegen von anderem Kleinwild benutzt, dürfte aber mit Explosivgeschossen für lohnendere Ziele genau das Richtige sein. Sagen Sie, wird der — hm — Gentleman sich rasch, langsam oder überhaupt nicht bewegen?«»Letzteres.«»Dann ist es kein Problem. Die Anfertigung einer aus drei getrennten Stahlstreben bestehenden Schulterstütze sowie eines abschraubbaren Abzugshahns ist bloßes Handwerk. Die Befestigung des Schalldämpfers am Ende des Laufs wie auch dessen Kürzung um zwanzig Zentimeter kann ich selbst vornehmen. Man verliert an Zielgenauigkeit, wenn man den Lauf verkürzt. Schade, schade. Sind Sie Scharfschütze?«
Der Engländer nickte.
«Dann werden Sie auf hundertdreißig Meter Entfernung mit einem Zielfernrohr bei unbewegtem menschlichem Ziel kaum Schwierigkeiten haben. Was den Schalldämpfer betrifft, so werde ich den selbst bauen. Schalldämpfer sind alles andere als kompliziert, aber im Handel schwer zu bekommen, besonders die langen für Gewehre, weil die zur Jagd nicht gebraucht werden. Nun, Monsieur, Sie sprachen vorhin von zylindrischen Behältern, in denen Sie das zerlegte Gewehr transportieren wollen. Woran hatten Sie gedacht?«
Der Engländer stand auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Über den kleinen Belgier gebeugt, ließ er seine Hand in die Innentasche seiner Jacke gleiten, und eine Sekunde lang schien in den Augen des kleinen Mannes Furcht aufzuflackern. Zum erstenmal bemerkte der
Belgier, daß die Augen des Engländers von dem Ausdruck, den sein Gesicht zeigte, gänzlich unberührt blieben und von grauen, streifigen Flecken wie von Rauchschleiern durchzogen waren, die jede Regung, welche sich dort verraten mochte, undurchdringlich verbargen. Aber der Engländer holte nur einen silbernen Kugelschreiber hervor.