Er drehte Goossens Schreibblock zu sich herum und fertigte mit raschen Strichen eine Skizze an.
«Können Sie das erkennen?«fragte er dann und schob den Block wieder dem Büchsenmacher zu.
«Aber natürlich«, erklärte der Belgier, nachdem er einen Blick auf die präzis gezeichnete Skizze geworfen hatte.
«Gut. Also, das Ganze besteht aus einer Anzahl hohler Aluminiumröhren, die zusammengeschraubt sind. Dieses Rohrstück hier«- er deutete mit der Spitze des Kugelschreibers auf eine Stelle des Diagramms —»enthält eine Strebe des Gewehrkolbens und das da die andere. Beide sind in den Röhren verborgen, die zusammen diesen Teil ergeben. Das dort ist die Schulterstütze des Gewehrs und also der einzige Teil, der einen doppelten Zweck erfüllt, ohne im geringsten verändert zu werden. Und hier«- er tippte mit der Spitze des Kugelschreibers auf einen anderen Punkt der Skizze, während sich die Augen des Belgiers vor Überraschung weiteten —,»an der dicksten Stelle, wird die Röhre mit dem größten Durchmesser montiert, die die Kammer mit dem darin befindlichen Bolzen aufnimmt. Von hier ab verjüngt sie sich zum Lauf hin ohne Unterbrechung. Da das Zielfernrohr die Visiereinrichtung überflüssig macht, gleitet das Ganze aus diesem Teil heraus, wenn die Röhre aufgeschraubt wird. Die letzten beiden Abschnitte — hier und hier — enthalten das Fernrohr und den Schalldämpfer. Und dann die Geschosse — die sollten in dem kleinen Stumpf dort unten verwahrt werden. Wenn das ganze Ding zusammengesetzt ist, muß man es für genau das halten, wonach es aussieht. Sobald man es in seine sieben Abschnitte zerlegt, können die Geschosse, der Schalldämpfer, das Zielfernrohr, das Gewehr und die drei Streben, welche die Schulterstütze bilden, herausgenommen und zu einem voll funktionsfähigen Gewehr zusammengesetzt werden. O.K.?«
Der kleine Belgier blickte noch einige Sekunden länger unverwandt auf das Diagramm. Dann stand er langsam auf und streckte dem Engländer die Hand hin.
«Monsieur«, sagte er bewundernd,»das ist eine geniale Konzeption. Absolut unerkennbar und doch ganz einfach. Genauso werde ich es Ihnen machen.«
Der Engländer zeigte sich weder erfreut noch verstimmt.»Gut«, sagte er.»Dann kommen wir jetzt zur Frage des Termins. Ich werde die Waffe in etwa vierzehn Tagen brauchen. Läßt sich das einrichten?«
«Ja. Ich kann das Gewehr innerhalb von drei Tagen besorgen. Die notwendigen Änderungen müßten in einer Woche zu machen sein. Der Kauf des Teleskops ist kein Problem.
Hinsichtlich der Wahl des Fabrikats können Sie sich ganz auf mich verlassen, ich weiß, was bei einer Distanz über hundertdreißig Meter, von der Sie sprachen, gebraucht wird. Das Kalibrieren und die Festlegung der Nulleinstellung des optischen Geräts bleibt besser Ihrem eigenen Belieben überlassen. Die Anfertigung des Schalldämpfers, das Aufladen der Geschosse und die Konstruktion des äußeren Behälters — ja, das ist in der vorgesehenen Zeit zu schaffen, wenn ich alles andere zurückstelle. Dennoch wäre es besser, wenn Sie, für den Fall, daß in letzter Minute noch irgendwelche Einzelheiten zu be-sprechen sein sollten, um einen oder zwei Tage früher kämen. Könnten Sie in zwölf Tagen wieder hier sein?«
«Ja, ab nächster Woche, von heute an gerechnet, kann ich in den darauffolgenden sieben Tagen jederzeit kommen. Aber vierzehn Tage sind der äußerste Termin. Ich muß am 4.
August wieder in London sein.«
«Sie werden die bis ins letzte Detail Ihren Wünschen entsprechend angefertigte Waffe am 4. August vormittags in Empfang nehmen können, sofern es Ihnen möglich sein wird, am 1. August zu abschließender Diskussion und Abholung hier einzutreffen, Monsieur.«
«Gut. Bliebe noch die Frage Ihres Honorars und Ihrer Auslagen zu klären. Haben Sie eine Ahnung, wie hoch sie sich belaufen werden?«
Der Belgier überlegte eine Weile.»Für einen Job solcher Art und die Arbeiten, die damit verbunden sind, für den Gebrauch der Werkzeuge und für meine eigenen Spezialkenntnisse muß ich ein Honorar von eintausend englischen Pfund fordern. Ich gebe zu, das ist mehr als der übliche Preis für ein einfaches Gewehr, aber dies ist kein einfaches Gewehr. Es muß ein Kunstwerk werden. Ich glaube der einzige Mann in Europa zu sein, der in der Lage ist, Ihnen genau das zu liefern, was Sie benötigen, eine wirklich perfekte Arbeit. So wie Sie auf Ihrem Gebiet, Monsieur, bin ich auf meinem der Beste. Für das Beste muß man zahlen. Dazu kämen dann noch die Anschaffungskosten der Waffe, der Geschosse, des Fernrohrs und der Rohmaterialien — sagen wir, alles in allem weitere zweihundert Pfund.«
«Gemacht«, sagte der Engländer. Er langte wiederum in seine Brusttasche und holte ein Bündel Fünfpfundnoten hervor. Sie waren in Päckchen zu je zwanzig Scheinen sortiert. Er zählte fünf Päckchen ab.
«Ich würde vorschlagen«, fuhr er fort,»daß ich, um meinen guten Glauben zu demonstrieren, eine Anzahlung in Höhe von fünfhundert Pfund als Vorschuß und zur Deckung der Unkosten leiste. Die restlichen siebenhundert Pfund werde ich mitbringen, wenn ich in elf Tagen wiederkomme. Sind Sie damit einverstanden?«
«Monsieur«, sagte der Belgier und steckte das Geld sorgsam in seine Brieftasche,»es ist ein Vergnügen, mit jemandem ein Geschäft abzuschließen, der ein Profi und ein Gentleman zugleich ist.«
«Und noch etwas«, fuhr der Engländer fort, als sei er nicht unterbrochen worden.»Sie werden Ihrerseits keinen weiteren Versuch machen, Louis zu kontaktieren. Sie werden weder ihn noch sonst jemanden fragen, wer ich bin und was es mit meiner wahren Identität auf sich hat. Auch werden Sie nicht herauszufinden suchen, für wen ich arbeite und ebensowenig gegen wen. Falls Sie dergleichen dennoch versuchen sollten, bekomme ich todsicher Wind davon. In diesem Fall werden Sie sterben. Sollte sich bei meiner Rückkehr nach hier herausstellen, daß irgendein Versuch unternommen worden ist, die Polizei zu informieren oder mir eine Falle zu stellen, werden Sie ebenfalls sterben. Ist das klar?«
Goossens war schmerzlich berührt. Im Gang stehend, blickte er zu dem Engländer hinauf, während sich in seinen Eingeweiden kalte Furcht zu regen begann. Er war vielen skrupellosen Männern der belgischen Unterwelt begegnet, die ihn aufgesucht hatten, um spezielle oder unübliche Waffen in Auftrag zu geben oder auch einfach einen regulären, stumpfnasigen Colt Special. Das waren harte Männer. Aber der Besucher von jenseits des Kanals, der einen bedeutenden und sorgsam bewachten Mann zu töten beabsichtigte — keinen Gangsterboß, sondern einen großen Mann, möglicherweise einen Politiker —, hatte etwas Unnahbares und zugleich Unerbittliches an sich.
Der Belgier dachte einen Moment lang daran, sich gegen die Unterstellung zu verwahren, besann sich dann jedoch eines Besseren.
«Monsieur«, sagte er leise, aber deswegen doch nicht weniger eindringlich,»ich will gar nichts über Sie wissen, überhaupt nichts. Das Gewehr, das Sie erhalten, wird keine Seriennummer tragen. Sehen Sie, für mich ist es wichtiger, sicherzustellen, daß von dem, was Sie tun, nicht etwa eine Spur zu mir führt, als meinerseits zu versuchen, mehr über Sie in Erfahrung zu bringen. Bonjour, monsieur. «
Der Schakal trat in den strahlenden Sonnenschein hinaus und winkte zwei Straßenecken weiter ein leeres Taxi heran, das ihn in die Stadt zurück und zum Hotel Amigo fuhr.
Er vermute te zwar, daß Goossens, um Gewehre erwerben zu können, einen Fälscher beschäftigte, zog es jedoch vor, sich einen Mann seiner Wahl zu suchen. Wieder war ihm
Louis, sein Kumpan aus den alten Tag in Katanga, dabei behilflich. Nicht, daß es sonderlich schwierig gewesen wäre. Brüssel hat eine lange Tradition als Zentrum der IdentitätskartenFälscherindustrie, und nicht wenige Ausländer wissen die Leichtigkeit, mit der man sich dort auf diesem Gebiet helfen lassen kann, zu schätzen. In den frühen sechziger Jahren hatte sich Brüssel darüber hinaus zur Operationsbasis der Söldner entwickelt, denn damals waren die französischen und südafrikanischen bzw. englischen Einheiten, die später in diesem Gewerbe dominieren sollten, noch nicht im Kongo aufgetaucht. Seit dem Verlust Katangas trieben sich mehr als dreihundert arbeitslose» Militärberater «des alten Tschombe-Regimes, von denen viele im Besitz mehrerer falscher Ausweise waren, in den Bars und Kneipen des Bordellviertels herum.