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Auf seinem letzten Urlaub im Frühjahr 1961 war er wiederum nach Paris gekommen, und als sie die Boulevards entlangschlenderten, er in Uniform, sie in ihrem schönsten Kleid, fand sie, daß er der stärkste, bestgewachsene und hübscheste Mann der Stadt war. Eine ihrer Arbeitskolleginnen hatte sie mit ihm zusammen gesehen, und am nächsten Tag machte die aufregende Nachricht von Jacquis schönem »para« im Schönheitssalon die Runde. Sie selbst war gar nicht da; sie hatte ihren Jahresurlaub genommen, um die Zeit ganz mit ihm verbringen zu können.

Francis war erregt. Es lag etwas in der Luft. Die Nachricht von den Gesprächen mit der FLN hatte sich allgemein herumgesprochen. Die Armee, die richtige Armee, würde dem nicht mehr lange tatenlos zuschauen, prophezeite er. Daß Algerien französisch blieb, war für sie beide, den kampferprobten 27jährigen Offizier und die ihn anbetende 23jährige werdende Mutter, ein Glaubensartikel.

Francis hat nie erfahren, daß er Vater werden sollte. Im März 1961 kehrte er nach Algerien zurück, und am 21. April meuterten mehrere Einheiten der französischen Armee gegen die Pariser Regierung. Nur eine Handvoll wehrpflichtig Dienender schlich sich aus den Kasernen, um sich im Büro des Präfekten zu melden. Die Berufssoldaten ließen sie laufen. Innerhalb einer Woche kam es zu Kämpfen zwischen den Meuterern und den loyalen Regimentern. Anfang Mai fiel Francis im Gefecht mit einer regierungstreuen Armee-Einheit.

Jacqueline, die seit April keine Briefe mehr erwartet hatte, war, bis man ihr im Juli die Nachricht überbrachte, arglos geblieben. Sie mietete sich eine Wohnung in einem billigen Pariser Vorort, um sich dort mit Gas zu vergiften. Der Versuch mißlang, weil der Raum nur ungenügend abzudichten war, aber sie verlor das Baby. Im August nahmen ihre Eltern sie auf ihre alljährliche Sommerreise mit, und bei ihrer Rückkehr schien sie sich gut erholt zu haben. Im Dezember begann sie ihre aktive Untergrundarbeit für die OAS.

Ihre Motive waren einfach: Francis und nach ihm Jean-Claude. Sie sollten gerächt werden, gleichgültig, mit welchen Mitteln, und gleichgültig auch, was es sie und andere kosten würde. Von dieser Leidenschaft abgesehen, gab es nichts mehr auf derWelt, wofür es sich zu leben lohnte. Ihre einzige Klage war, daß man sie nur Botengänge machen, Meldungen weitergeben und gelegentlich einen mit Plastik-Explosivstoff gefüllten Brotlaib in ihrer Einholtasche an seinen Bestimmungsort bringen ließ. Sie war überzeugt, mehr tun zu können. Ließen sie die nach jedem Bombenanschlag auf Cafes und Kinos an den Straßenecken postierten flies bei der Durchsuchung wahllos herausgegriffener Passanten denn nicht regelmäßig schon auf ein bloßes Senken ihrer seidigen langen Wimpern, ein leichtes Schürzen ihrer vollen Lippen hin unbehelligt?

Nach dem Petit-Clamart-Vorfall hatte einer der nicht zum Zuge gekommenen flüchtigen Killer drei Nächte in ihrer Wohnung bei der Place de Breteuil verbracht. Es war ihr großer Augenblick gewesen, aber dann hatte der OAS-Kämpfer den Unterschlupf gewechselt. Einen Monat später war er gefaßt worden, hatte aber über seinen Aufenthalt in ihrer Wohnung kein Wort verlauten lassen. Um sicherzugehen, wurde sie jedoch von ihrem Zellenleiter instruiert, ein paar Monate lang, bis Gras über die Sache gewachsen sei, nicht mehr für die OAS zu arbeiten. Es war Januar 1963, als sie wieder Meldungen zu übermitteln begann.

Und so ging es weiter, bis dann im Juli ein Mann sie aufsuchte. Er war in Begleitung ihres Zellenleiters gekommen, der ihm gegenüber großen Respekt an den Tag legte. Er hatte keinen Namen. Ob sie bereit sei, eine Spezialaufgabe für die Organisation zu übernehmen? Selbstverständlich. Eine vielleicht gefährliche, gewiß aber unangenehme Aufgabe? Auch das. Drei Tage später zeigte man ihr einen Mann, der aus einem Apartmenthaus trat. Sie saßen in einem geparkten Wagen. Ihr wurde gesagt, wer es war und welche Stellung er bekleidete. Und was sie zu tun hatte.

Mitte Juli hatten sie, offenkundig per Zufall, Bekanntschaft geschlossen, als sie in einem Restaurant in unmittelbarer Nähe des Mannes saß und ihn mit scheuem Lächeln um das auf seinem Tisch befindliche Salzfaß bat. Er war gesprächig geworden, sie zurückhaltend und scheu geblieben. Dieses Verhalten erwies sich als genau richtig. Ihre Sprödigkeit reizte ihn. Die Unterhaltung, die der Mann führte und der sie artig folgte, belebte sich. Innerhalb von vierzehn Tagen hatten sie eine Affäre miteinander.

Sie verstand genug von den Männern, um sehr rasch über die generelle Richtung und Beschaffenheit ihrer Wünsche Bescheid zu wissen. Ihr neuer Liebhaber war leichte Eroberungen und erfahrene Frauen gewohnt. Sie spielte die Scheue, war aufmerksam, aber keusch, nach außen hin kühl, jedoch nicht ohne gelegentlich durchblicken zu lassen, daß sie ihren erlesenen Leib eines Tages, sofern nur der Richtige käme, willig hingeben würde. Das zog. Sie zu gewinnen wurde für den Mann zu einer Angelegenheit von höchster Priorität.

Ende Juli wies sie ihr Zellenleiter an, daß ihr Zusammenleben in Kürze beginnen solle. Das einzige Hindernis stellten die Frau und die Kinder des Mannes dar, von denen er nicht getrennt lebte. Am 29. Juli reisten sie zum Landhaus der Familie im Loiretal ab, während der Mann seiner Arbeit wegen in Paris zurückbleiben mußte. Wenige Minuten nach der Abreise seiner Familie hatte er bereits im Salon angerufen und darauf bestanden, daß Jacqueline und er noch am gleichen Tag in seinem Apartment gemeinsam zu Abend aßen.

In ihrer Wohnung angekommen, warf Jacqueline Dumas einen Blick auf ihre Armbanduhr.

Sie hatte drei Stunden Zeit, um sich für den Abend herzurichten, und obschon sie beabsichtigte, ihre Vorbereitungen mit größer Sorgfalt zu treffen, würden dazu zwei Stunden genügen. Sie zog sich aus, duschte und sah, während sie sich vor dem in die Innenseite der Schranktür eingelassenen Standspiegel abtrocknete, mit teilnahmsloser Gleichgültigkeit zu, wie das Handtuch in kreisender Bewegung ihre Haut frottierte, und als sie die Arme hochstreckte, um ihre vollen, von zarten rosa Knospen gekrönten Brüste zu heben, geschah es ohne jenes Vorgefühl kommender Entzückungen, das sie noch stets empfunden hatte, wenn sie wußte, daß Francis' Handflächen sie bald liebkosen würden.

Sie dachte mit Widerwillen an die bevorstehende Nacht, und ihre Bauchmuskeln strafften sich vor Ekel. Sie würde, das gelobte sie sich, durchhalten und es hinter sich bringen, egal, welche Art von Liebe er von ihr verlangte. Aus einer Kommodenlade holte sie das Photo von Francis hervor, aus dessen Rahmen er ihr mit dem gleichen, leise ironischen Lächeln zuzunicken schien, das seine Lippen immer umspielt hatte, wenn er sie über die ganze Länge des Bahnsteigs hinweg auf ihn zulaufen sah, um von ihm in die Arme genommen zu werden. Das weiche braune Haar, das khakifarbene Uniformhemd mit der breiten, muskulösen Brust darunter, an der den Kopf zu bergen sie vor langer, langer Zeit so sehr geliebt hatte, das Abzeichen mit den stählernen Fallschirmjägerschwingen, das sich an ihrer heißen Wange so kühl anfühlte, alles das war noch immer da — auf Photopapier. Sie lag auf dem Bett und hielt Francis über sich, der auf sie hinunterblickte, wie er es getan hatte, wenn sie sich liebten.