Und seine Frage: »Alors, petite, tu veux…?« wäre auch jetzt wieder ganz überflüssig gewesen. Wie stets flüsterte sie: »Oui, tu sais bien…« und schloß die Augen. Sie glaubte ihn in sich zu fühlen, seine ganze heiße und harte, pochende Kraft, meinte seine ihr leise ins Ohr geraunten Koseworte und schließlich den erstickten Befehclass="underline" » Viens, viens…!« zu hören, dem sie noch immer gehorcht hatte.
Sie öffnete die Augen und starrte zur Zimmerdecke hinauf.»Francis«, flüsterte sie und preßte das erwärmte Glas des Photos an ihre Brüste,»hilf mir, bitte, hilf mir heute nacht.«
Am letzten Tag des Monats war der Schakal ungemein beschäftigt. Er verbrachte den Vormittag auf dem Flohmarkt, wo er, eine zusammenlegbare, billige Reisetasche mit sich führend, von Stand zu Stand ging. Er kaufte ein speckiges schwarzes beret, ein Paar ausgetretener Schuhe, eine nicht allzu saubere Hose und, nach langem Suchen, einen ausgedienten, schweren Militärmantel. Er würde einen Mantel aus leichterem Stoff vorgezogen haben, aber Militärmäntel sind selten für den Hochsommer geschneidert, und die der französischen Armee werden aus Duffel angefertigt. Der Mantel war jedoch lang genug, selbst an ihm, dem er, und darauf kam es ihm an, ein gutes Stück bis unters Knie reichte.
Im Weggehen fiel sein Blick auf einen Stand voller Orden und Medaillen, die zumeist alt und fleckig waren. Er suchte sich eine Kollektion aus und erwarb sie zusammen mit einer Broschüre, welche die französischen Militärmedaillen mitsamt Ordensbändern auf verblichenen Farbabbildungen zeigte und den Betrachter anhand ausführlicher Bildunterschriften darüber aufklärte, für welche Schlachten oder tapferen Handlungen sie verliehen zu werden pflegten.
Nach einem leichten Lunch bei Queenie's in der rue Royale ging er in sein nahes Hotel, zahlte seine Rechnung und begann zu packen. Seine jüngsten Anschaffungen wurden im doppelten Boden eines seiner beiden teuren Koffer verstaut. Aus der Medaillensammlung stellte er mit Hilfe der erworbenen Broschüre eine Ordensschnalle zusammen, die von der Medaille Militaire für Tapferkeit vor dem Feind über die Medaille de la Liberation bis hin zu fünf der den Angehörigen der Streitkräfte des Freien Frankreich im Zweiten Weltkrieg verliehenen Gefechtsauszeichnungen reichte. Er verlieh sich selbst Medaillen für die Teilnahme an den Kämpfen bei Bir Hakeim, in Libyen, Tunesien und der Normandie sowie das Abzeichen für die Angehörigen der von General Philippe Leclerc befehligten Zweiten Panzerdivision.
Die restlichen Medaillen wie auch die Broschüre deponierte er in zwei auf dem Boulevard Malesherbes an Laternenkandelabern befestigten Papierkörben. Der Empfangschef seines Hotels unterrichtete ihn, daß der bequeme Etoile-du-Nord-Expreß nach Brüssel um 17 Uhr 15 von der Gare du Nord abfuhr. Er erreichte den Zug, speiste ausgezeichnet zu Abend und traf in den letzten Stunden des Juli in Brüssel ein.
SECHSTES KAPITEL
Der Brief an Viktor Kowalsky traf am folgenden Morgen in Rom ein. Als der hünenhafte Pole vom Postamt zurückkehrte, wo er die an Monsieur Poitiers adressierten Briefe in Empfang genommen hatte, und die Hotelhalle durchschritt, rief ihm einer der Pagen nach: »Signor, per favore…!«
Schroff wie immer, wandte er sich um. Spaghettifresser waren eine Sorte Mensch, die er grundsätzlich nicht zu beachten pflegte. Er übersah sie, wenn er durch die Hotelhalle zum Aufzug stapfte. Der dunkeläugige Junge, der auf ihn zutrat, hielt einen Brief in der Hand.
«E una lettera, signor. Per un Signor Kowalsky. No cognosce questo signor… Eforse un francese…«
Kowalsky verstand kein Wort von dem italienischen Redeschwall, begriff aber den Sinn und vor allem, daß es sein eigener Name war, den der Hotelpage, wenn auch in falscher Aussprache, genannt hatte. Er riß ihm den Brief aus der Hand und starrte auf den in ungelenker Schrift gekritzelten Namen und die Adresse. Kowalsky war unter falschem Namen gemeldet, und da er keine Zeitungen las, wußte er nicht, daß ein Pariser Blatt vor drei
Tagen berichtet hatte, daß die drei ranghöchsten OAS-Führer sich im obersten Stockwerk des Hotels verbarrikadiert hatten.
Was ihn betraf, so hätte niemand wissen sollen, wo er sich aufhielt. Und doch freute er sich über den Brief. Er bekam nur selten Post, und wie die meisten einfachen Leute empfand er die Ankunft eines Briefes als ein größeres Ereignis. Daß unter den im Empfang beschäftigten Hotelangestellten keiner einen Gast dieses Namens kannte und niemand mit dem Brief etwas anzufangen wußte, hatte Kowalsky dem Redeschwall des kleinen Italieners, der jetzt mit treuen Hundeaugen zu ihm aufblickte, als sei er der Hort menschlicher Weisheit und könne das Dilemma lösen, immerhin entnommen. »Bon. Je vais demander«, sagte er gnädig. Der Italiener blickte ihn noch immer fragend an. »Demander, demander«, wiederholte Kowalsky und deutete nach oben. Der Italiener begriff. Ah, si. Domandare, Prego, Signor. Tante grazie…« Kowalsky ließ ihn stehen und fuhr im Lift zum achten Stock hinauf, wo er beim Verlassen des Aufzugs vom in der Rezeption des Stockwerks postierten Wachhabenden mit gezogener Pistole empfangen wurde. Eine Sekunde lang starrten die beiden Männer einander an, dann sicherte der Posten seine Waffe und steckte sie wieder ein. Außer Kowalsky war niemand im Aufzug gewesen. Das Ganze war eine reine Routinesache, die sich jedesmal abspielte, wenn das Licht über der Fahrstuhltür ankündigte, daß der Aufzug höher als bis zum siebenten Stock hinauffahren würde.
Neben dem diensthabenden Mann am Empfangstisch gab es einen weiteren, der die Tür zur Feuerleiter am Ende des Korridors bewachte, und einen dritten, der auf dem Treppenabsatz postiert war. Obschon das Hotelmanagement nichts davon wußte, waren sowohl die Treppe als auch die Feuerleiter mittels Schreckminen gesichert, die nur durch Betätigung eines die Stromzufuhr zu den Zündern regulierenden Schalters unter dem Empfangstisch entschärft werden konnten.
Der vierte Mann hielt auf dem Dach über dem neunten Stock, in dem die Bosse wohnten, Wache. Im Falle eines Überraschungsangriffs würden drei weitere Männer, die Nachtschicht gehabt hatten und jetzt in ihrem Zimmer am Ende des Korridors schliefen, in wenigen Sekunden geweckt und einsatzbereit sein. Die Fahrstuhltür im neunten Stock war von außen zugeschweißt worden, aber sobald das Licht über der des achten Stocks anzeigte, daß der Lift zum neunten hinauffuhr, wurde Alarm geschlagen. Es war nur ein einziges Mal geschehen, und das rein zufällig. Ein Page, der
Drinks heraufbringen wollte, hatte den Knopf» Neun «gedrückt. Die Unart war ihm rasch abgewöhnt worden.
Der Wachhabende am Empfangstisch telephonierte mit dem neunten Stock, um die Ankunft der Post zu melden, und gab Kowalsky ein Zeichen, nach oben zu gehen. Der Ex-Korporal hatte den an ihn gerichteten Brief bereits in seine innere Jackentasche gesteckt, während er die für seine Chefs bestimmte Post in einem an sein linkes Handgelenk geketteten Stahletui trug. Sowohl die Kette als auch der flache Stahlbehälter waren mit Schnappschlössern versehen, zu denen nur Rodin die Schlüssel besaß. Ein paar Minuten später waren beide vom OAS-Chef aufgeschlossen, und Kowalsky kehrte in sein Zimmer zurück, um zu schlafen, bevor er den Wachhabenden am Empfangstisch am späten Nachmittag ablöste.
Auf seinem Zimmer im achten Stock las er schließlich den Brief, wobei er mit der Unterschrift begann. Er war überrascht, daß er von Kovacs sein sollte, den er seit einem Jahr nicht gesehen hatte und der so schlecht schreiben konnte, daß Kowalsky sich mit dem Lesen schwertat. Aber mit einiger Mühe gelang es ihm dann doch, den Brief zu entziffern. Er war nicht lang. Kovacs schrieb, er habe an dem Tag, an dem er diesen Brief abschickte, einen Bericht in der Zeitung gesehen, der ihm von einem Freund vorgelesen worden sei und besagte, daß Rodin, Montclair und Casson sich in dem Hotel in Rom versteckt hielten. Er habe angenommen, sein alter Kumpel Kowalsky würde bei ihnen sein, und daher auf die Möglichkeit hin, ihn auf diesem Weg zu erreichen, den Brief geschrieben.