Die Tötung des Fälschers war so beiläufig geschehen wie das Zertreten eines Kakerlaken. Der Schakal rauchte entspannt eine zweite Zigarette und schaute hinaus. Es war 21 Uhr 30, und über die enge Straße hatte sich tiefe Dunkelheit gesenkt. Leise verließ er das Studio und schloß die äußere Tür hinter sich ab. Niemand begegnete ihm, als er rasch die Straße hinunterging. Etwa einen Kilometer vom Studio entfernt, ließ er die Schlüssel in ein Siel fallen und hörte sie in einigen Metern Tiefe auf das Kanalisationswasser klatschen. Er kehrte in sein Hotel zurück, wo er ein spätes Abendessen einnahm.
Den nächsten Tag — es war Freitag — verbrachte er mit Einkäufen in den Arbeitervororten Brüssels. In einem auf Camping-Ausrüstungsartikel spezialisierten Geschäft erstand er ein Paar Wanderstiefel, lange Wollsocken, eine grobe Drillichhose, ein gewürfeltes wollenes Holzfällerhemd und einen Rucksack. Unter seinen anderen Erwerbungen befanden sich mehrere Lagen von dünnem Schaumgummi, ein Einkaufsnetz, ein Bindfadenknäuel, ein Jagdmesser, zwei dünne Pinsel, ein Topf mit rosa und ein weiterer mit brauner Farbe. Er überlegte sich, ob er an einem Obstkarren eine große Melone kaufen sollte, nahm aber davon Abstand, weil die Melone über das Wochenende wahrscheinlich verderben würde.
Wieder im Hotel, benutzte er seinen neuen Führerschein, der wie sein Paß auf den Namen Alexander Duggan ausgestellt war, um für den folgenden Morgen einen Leihwagen zu bestellen, und beauftragte den Empfangschef, ihm über das Wochenende ein Einzelzimmer mit Bad oder Dusche in einem Badeort an der See reservieren zu lassen. Obwohl im August nahezu alle Häuser ausgebucht waren, gelang es dem Mann, ihm in einem kleinen Hotel in Zeebrügge ein Zimmer mit Blick auf den malerischen Fischereihafen zu bestellen.
SIEBTES KAPITEL
Während der Schakal in Brüssel seine Einkäufe tätigte, hatte Viktor Kowalsky mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich ergeben, wenn man in einem Land, dessen Sprache man nicht spricht, eine internationale Fernsprechauskunft erhalten will.
Da er nicht Italienisch sprach, wandte er sich hilfesuchend an die Angestellten des Hotelempfangs, und nach einigem Hin und Her gab schließlich einer von ihnen zu erkennen, daß er ein wenig Französisch könne. Mühsam versuchte Viktor ihm klarzumachen, daß er einen Mann in Marseille, Frankreich, anzurufen wünsche, aber die Telephonnummer nicht wisse.
Ja, den Namen und die Adresse kannte er. Der Name war Grzybowski. Der Italiener verstand den Namen nicht und bat Kowalsky, ihn aufzuschreiben. Das tat Kowalsky, aber der Italiener, der nicht glauben mochte, daß irgendein Name mit drei Konsonanten beginnen könne, sprach ihn, in der Meinung, das von Kowalsky geschriebene» z «solle ein» i «sein,»Grib…«aus, als er das internationale Fernamt in der Leitung hatte. Im Marseiller
Fernsprechverzeichnis gebe es keinen Josef Grobowski, ließ das Telephonfräulein am anderen Ende der Leitung den Italiener wissen. Der Hotelangestellte wandte sich an Kowalsky und erklärte ihm, eine Person dieses Namens existiere nicht.
Weil er jedoch ein gewissenhafter Mann war und darauf bedacht, einem Ausländer behilflich zu sein, buchstabierte er den Namen noch einmal laut, um sicherzugehen, daß er ihn richtig verstanden hatte.
«£a n'existepas, monsieur. Voyons… G, r, i…«»Non, g, r, z — «, unterbrach Kowalsky. Der Hotelangestellte sah ihn fragend an. »Excusez-moi, monsieur. G, r, z? G, r, z, y?«»Qui«, bestätigte Kowalsky.»G, R, Z, Y, B, O, W, S, K, I. «Der Italiener zuckte mit den Achseln und ließ sich nochmals die Telephonvermittlung geben.
«Verbinden Sie mich bitte mit der internationalen Fernsprechauskunft.«
Innerhalb von zehn Minuten hatte Kowalsky Jo-Jos Telephonnummer, und eine halbe Stunde später war die Verbindung hergestellt. Die Stimme des Ex-Legionärs in Marseille war schlecht zu verstehen, weil es in der Leitung knackte, und Jo-Jo schien die schlimme Nachricht, die er seinem Freund brieflich hatte zukommen lassen, nur zögernd zu bestätigen.
Ja, er sei froh, daß Kowalsky anrief, er habe seit drei Monaten versucht, seine Adresse ausfindig zu machen.
Ja, das mit der Krankheit der kleinen Sylvie stimme unglücklicherweise. Sie sei immer schwächer und dünner geworden, und als schließlich ein Arzt die Krankheit diagnostiziert hatte, schon bettlägerig gewesen. Jetzt läge sie nebenan im Schlafzimmer der Wohnung, von der aus Jo-Jo telephonierte. Nein, es sei nicht die gleiche Wohnung, sie hätten sich eine neuere und größere genommen. Was? Die Adresse? Jo-Jo nannte sie Kowalsky, der sie sich, die Zunge zwischen den gespitzten Lippen, aufschrieb.
«Wie lange geben ihr die Quacksalber noch?«brüllte er in den Hörer. Nachdem er seine Frage dreimal wiederholt hatte, schien Jo-Jo sie begriffen zu haben. Es entstand eine lange Pause. »Allo? allo?« rief Kowalsky, als keine Antwort kam.»Eine Woche, vielleicht auch zwei oder drei«, sagte Jo-Jo. Ungläubig starrte Kowalsky in die Muschel, legte dann wortlos den Hörer auf die Gabel und stolperte aus der Telephonzelle.Nachdem er die Gebühren für das Gespräch bezahlt hatte, holte | er die Post ab, ließ den Deckel des an sein Handgelenk geketteten — Stahletuis zuschnappen und ging ins Hotel zurück. Zum erstenmal seit vielen Jahren waren seine Gedanken in Aufruhr geraten, und es gab niemanden, bei dem er sich zur Entgegennahme von Befehlen hätte melden können, die das Problem mit Gewalt gelöst haben würden.
In seiner Wohnung in Marseille — es war dieselbe, in der er schon immer gelebt hatte — legte Jo-Jo den Hörer auf, als ihm klar wurde, daß Kowalsky eingehängt hatte. Er drehte sich um und sah, daß die beiden Männer vom Aktionsdienst, von denen jeder einen 45er-Polizei-Spezial-Colt in der Hand hielt, sich nicht vom Fleck gerührt hatten. Die Waffe des einen war auf Jo-Jo, die des anderen auf dessen Frau gerichtet, die mit aschfahlem Gesicht auf dem Sofa saß.
«Hunde«, sagte Jo-Jo voller Haß.»Scheißkerle.«
«Kommt er?«fragte einer der beiden Männer.
Er hat nichts davon gesagt. Er hat einfach eingehängt«, sagte der Pole.
Die schwarzen Knopfaugen des Korsen starrten ihn unverwandt an.
«Er muß kommen. Wir haben unsere Anweisungen.«
«Nun, Sie haben es doch gehört. Ich habe gesagt, was Sie wollten. Es muß ihm einen Schock versetzt haben. Er hat einfach eingehängt. Ich konnte ihn nicht daran hindern.«
«Es wäre besser für Sie, wenn er käme, Jo-Jo«, wiederholte der Korse.
«Er wird kommen«, sagte Jo-Jo resigniert.»Wenn er kann, wird er kommen, wegen des kleinen Mädchens.«
«Gut. Dann haben Sie Ihre Rolle ausgespielt.«
«Dann machen Sie, daß Sie hier herauskommen«, brüllte Jo-Jo.»Lassen Sie uns in Ruhe. «Der Korse stand auf, behielt aber die Pistole in der Hand. Der zweite Mann blieb, den Blick unverwandt auf die Frau gerichtet, sitzen.
«Wir gehen«, sagte der Korse,»aber Sie kommen beide mit uns. Wir können nicht zulassen, daß Sie hier in der Gegend herumquatschen oder in Rom anrufen. Das werden Sie doch einsehen, was, Jo-Jo?«
«Wohin bringen Sie uns?«
«In ein hübsches kleines Hotel in den Bergen, wo es viel Sonne und frische Luft gibt. Wird Ihnen guttun, Jo-Jo.«»Für wie lange?«fragte der Pole dumpf.»So lange, wie es nötig ist. «Der Pole starrte zum Fenster auf das Gewirr der Gassen und Fischstände hinaus, das sich hinter der Postkartenkulisse des Alten Hafens versteckt.
«Gerade jetzt ist die Touristensaison auf dem Höhepunkt. Die Züge sind voll. Der August bringt uns mehr ein als der ganze Winter. Das wird uns auf Jahre hinaus ruinieren.«
Der Korse lachte, als fände er diese Vorstellung besonders belustigend.
«Sie müssen es als Gewinn und nicht als Verlust betrachten, Jo-Jo. Sie tun es schließlich für Frankreich, Ihre Wahlheimat.«