Dort umwickelte er alle Einzelteile wieder sorgfältig mit Schaumgummi, bevor er sie zusammen mit den Stiefeln, den Wollsocken, dem Hemd und der Drillichhose in den Rucksack packte. Er zog sich die Stadtkleidung an, schloß den Rucksack im Kofferraum ein und aß gemächlich die mitgebrachten Sandwiches zum Lunch.
Als er satt war, steuerte er den Wagen im Rückwärtsgang aus dem Waldpfad heraus, fuhr den Weg, der zur Straße führte, hinunter und bog dann nach links in Richtung Bastogne, Namur und Brüssel ein. Kurz nach 18 Uhr war er wieder im Hotel, und nachdem er den Rucksack auf seinem Zimmer deponiert hatte, ging er noch einmal in die Halle hinunter, um beim
Empfangschef die Rechnung für den Leihwagen zu begleichen. Dann verbrachte er eine Stunde damit, das Gewehr sorgfältig zu reinigen und zu ölen. Den Koffer, in den er die Einzelteile legte, schloß er wieder im Garderobenschrank ein. Später am gleichen Abend — er hatte inzwischen gebadet und diniert — warf er den Rucksack, das restliche Bindfadenknäuel und diverse Schaumgummistreifen in eine städtische Mülltonne und zwanzig leere Patronenhülsen in ein Gully.
Am selben Montag, dem 5. August, fand sich Kowalsky wiederum auf dem Hauptpostamt in Rom ein und erbat die Hilfe eines französisch sprechenden Beamten. Diesmal ging es ihm um einen Anruf beim Alitalia-Auskunftsschalter, wo er die Abflugzeiten der in dieser Woche zwischen Rom und Marseille verkehrenden Maschinen zu erfahren wünschte. Wie sich herausstellte, war es für den Montagflug bereits zu spät, denn die Maschine startete in einer Stunde vom Flughafen Fiumicino, und ihm blieb nicht mehr genügend Zeit, um sie noch zu erreichen. Der nächste Direktflug fand am Mittwoch statt. Nein, andere Gesellschaften, die Marseille direkt anflogen, gab es nicht. Dann also den Mittwochflug? Gewiß. Abflug um 11 Uhr 15, Ankunft in Marseille auf dem Flughafen Marignane kurz nach 12 Uhr. Rückflug am Donnerstag. Eine Person? Hin- und Rückflug? Gewiß, und der Name? Kowalsky nannte den Namen, auf den die Papiere, die er bei sich trug, ausgestellt waren.
Er wurde aufgefordert, sich am Mittwoch eine Stunde vor Abflug am Alitalia-Schalter in Fiumicino einzufinden. Als der Postbeamte den Hörer auflegte, nahm Kowalsky die abholbereiten Briefe entgegen, schloß sie in sein Stahletui und ging ins Hotel zurück.
Am nächsten Vormittag traf der Schakal ein letztesmal mit Goossens zusammen. Er rief ihn vor dem Frühstück an, und der Büchsenmacher schätzte sich, wie er sagte, glücklich, ihm mitteilen zu können, daß die Arbeit fertiggestellt sei. Ob er Monsieur Duggan um 11 Uhr erwarten dürfe? Und Monsieur möge doch bitte daran denken, die zur letzten Anprobe benötigten Gegenstände mitzubringen.
Den kleinen Attachekoffer in einem größeren Fiberkoffer bei sich führend, den er am gleichen Morgen bei einem Trödler erstanden hatte, war der Schakal wiederum eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit zur Stelle. Dreißig Minuten lang beobachtete er die Straße, in welcher der Büchsenmacher wohnte, bevor er sich zu Goossens Haus begab. Der Belgier ließ ihn ein, und er ging ohne Zögern vor ihm in das kleine Büro. Goossens folgte ihm, nachdem er die Haustür verschlossen hatte, und schloß auch die Bürotür hinter sich.
«Keine weiteren Schwierigkeiten?«fragte der Engländer.»Nein. Ich glaube, jetzt haben wir es geschafft. «Hinter seinem Arbeitstisch holte der Belgier eine Anzahl dünner Stahlröhren bevor, die in Hüllen aus grobem Leinen steckten. Die Röhren waren matt poliert und sahen aus, als seien sie aus Aluminium. Goossens legte sie nebeneinander auf den Tisch und bat den Schakal, ihm den Attachekoffer mit dem zerlegten Gewehr zu reichen.
Stück für Stück ließ er die Gewehrteile in die Röhren gleiten. Alles paßte auf den Millimeter genau ineinander.
«Wie sind die Zielübungen verlaufen?«erkundigte er sich, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.»Sehr zufriedenstellend.«
Als Goossens das Zielfernrohr zur Hand nahm, bemerkte er, daß die Einstellschrauben mit Balsaholzzement verklebt waren.
«Es tut mir leid, daß ich so kleine Schrauben nehmen mußte«, sagte er.»Mit genauen Markierungen arbeitet es sich angenehmer, aber das Fernrohr wäre niemals in der Röhre unterzubringen gewesen, wenn ich die Schrauben in ihrer ursprünglichen Größe belassen hätte. «Er steckte es in die hierzu vorgesehene Stahlröhre, in die es haargenau paßte. Als auf diese Weise alle fünf Teile des Gewehrs unsichtbar geworden waren, sagte Goossens:
«Die Abzugszunge und die fünf Explosivgeschosse mußte ich woanders unterbringen. «Er wies seinem Kunden die mit schwarzem Leder gepolsterte Schulterstütze vor und zeigte ihm, daß sie mit einem Rasiermesser aufgeschlitzt worden war. Er steckte die Abzugszunge in die
Polsterung und schloß die Öffnung mit schwarzem Isolierband. Dann holte er einen runden schwarzen Gummipfropfen von etwa vier Zentimeter Durchmesser aus der Schublade. Oben aus dem Propfen ragte ein Stahlstift heraus, der mit einem Schraubengewinde versehen und von fünf in das Gummi gebohrten gleich großen Löchern umgeben war. In jedes der Löcher steckte der Belgier ein Geschoß, von dem nur das flache Messingzündhütchen sichtbar blieb.»Wenn der Pfropfen am unteren Ende der letzten Stahlröhre befestigt ist, sind die Patronen sicher versteckt, und das Gummi läßt das Ganze noch echter aussehen«, erklärte er.
Der Engländer schwieg.
«Was halten Sie davon?«fragte der Belgier, und in seiner Stimme schwang ein Ton ängstlicher Besorgnis mit.
Wortlos nahm der Schakal eine Röhre nach der anderen zur Hand, um sie zu prüfen. Er schüttelte sie, aber da die Röhren innen mit einer doppelten Lage Flanellstoff ausgekleidet waren, löste die Erschütterung keinerlei Geräusch aus. Die längste Röhre war fünfzig Zentimeter lang; sie enthielt den Lauf und den Verschluß des Gewehrs. Die Länge der anderen betrug je etwa dreißig Zentimeter; in ihnen steckten die obere und untere Strebe der Schulterstütze, der Schalldämpfer und das Zielfernrohr. Die Schulterstütze selbst mit dem in ihr befindlichen Abzug wie auch der Gummipfropfen, der die Geschosse enthielt, bildeten selbständige Teile. Daß es sich um das Gewehr eines Mörders, ja überhaupt um eine Waffe handelte, war dem Ganzen nicht anzusehen.
«Perfekt«, sagte der Schakal und nickte.»Genau das, was ich wollte. «Der Belgier war erfreut. Als Fachmann auf seinem Gebiet wußte er ein Lob genauso zu schätzen wie jeder Laie, und es war ihm klar, daß dieser Kunde in seinem Gewerbe ebenfalls zur Spitzenklasse gehörte.
Der Schakal steckte die Stahlröhren in die Hüllen, umwickelte sie nochmals sorgfältig mit Sackleinwand und packte sie dann in seinen Fiberkoffer. Den Attachekoffer mit den für die Einzelteile vorgesehenen eingebauten Kästchen gab er dem Büchsenmacher zurück.»Den brauche ich nicht mehr. Das Gewehr bleibt jetzt in diesem Koffer, bis ich Gelegenheit habe, es zu benutzen.«
Er holte die restlichen 200 Pfund, die er dem Belgier noch schuldete, aus der Brieftasche und legte sie auf den Tisch.
«Ich glaube, damit wäre alles erledigt.«
Der Belgier steckte das Geld ein.»Ja, Monsieur, es sei denn, Sie hätten noch weitere
Wünsche, bei denen ich Ihnen dienlich sein
könnte.«
«Nur einen«, entgegnete der Engländer.»Daß Sie die kleine Predigt nicht vergessen, die ich Ihnen vor vierzehn Tagen über die Weisheit des Schweigens hielt.«
«Ich habe jedes Wort behalten, Monsieur«, sagte der Belgier leise.
Er hatte wieder Angst. Würde ihn dieser elegant gekleidete, gepflegte Killer jetzt kaltmachen wollen, um sich seines Schweigens zu versichern? Gewiß nicht. Bei den Ermittlungen, die ein solcher Mordfall nach sich zöge, würden die wiederholten Besuche, die der hochgewachsene, blonde Engländer diesem Haus abstattete, der Polizei zur Kenntnis kommen, noch ehe der Schakal eine Gelegenheit hatte, das Gewehr zu benützen, das er jetzt in einem Fiberkoffer trug.
Der Engländer schien seine Gedanken gelesen zu haben. Er lächelte flüchtig.
«Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen. Ich nehme an, daß sich ein Mann von Ihrer Intelligenz gegen die Möglichkeit, von einem seiner Kunden ermordet zu werden, abzusichern weiß. Vielleicht durch einen Anruf, der innerhalb einer Stunde fällig ist? Oder den Besuch eines Freundes, falls der Anruf nicht erfolgt? Möglicherweise auch durch einen Brief, der bei einem Rechtsanwalt hinterlegt und im Falle Ihres plötzlichen Todes zu öffnen ist?Sie umzubringen, würde für mich nicht so viele Probleme lösen, wie es Probleme aufwerfen würde.«