Der Belgier war sprachlos. Er hatte in der Tat bei einem Anwalt einen Brief hinterlegt, der im Fall seines Todes geöffnet werden sollte. Darin wurde die Polizei instruiert, unter einem bestimmten Stein im Garten nach einer Kassette zu suchen, in der sich eine Liste der Besucher befand, die er im Laufe des betreffenden Tages erwartet hatte. Die Liste pflegte er täglich neu aufzustellen. An diesem Dienstag war auf ihr lediglich ein einziger Kunde vermerkt, der seinen Besuch angesagt hatte, ein schlanker, hochgewachsener Engländer, der sich Duggan nannte und seinem Äußeren nach wohlhabend zu sein schien. Es war ganz einfach eine Art Lebensversicherung.
Der Engländer beobachtete ihn kalt.
«Das hatte ich mir gedacht«, sagte er.»Sie können sich sicher fühlen. Aber ich werde sie umbringen, wenn Sie irgend jemandem gegenüber meine Besuche bei Ihnen erwähnen oder auch nur ein Wort über das verlieren, was Sie für mich angefertigt haben. Für Sie habe ich aufgehört zu existieren, sobald ich dieses Haus verlasse.«
«Das ist mir völlig klar, Monsieur. Tatsächlich entspricht es den Vereinbarungen, die ich mit allen meinen Kunden zu treffen pflege. Ich darf hinzufügen, daß ich meinerseits die gleiche Diskretion von Ihnen erwarte. Deswegen habe ich auch die Seriennummer auf dem Lauf Ihres Gewehrs mit Säure unkenntlich gemacht. Auch ich muß mich schützen.«
Der Engländer lächelte.»Dann haben wir uns verstanden. Guten Tag, Monsieur Goossens.«
In der nächsten Minute war die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen, und der Belgier, der so viel von Waffen verstand und so wenig vom Schakal wußte, seufzte erleichtert und ging in sein Büro zurück, um das Geld nachzuzählen.
Der Schakal wollte nicht von den Angestellten seines Hotels mit dem Fiberkoffer gesehen werden und fuhr daher, obschon es Zeit zum Lunch war, im Taxi direkt zum Hauptbahnhof, wo er den Koffer in der Gepäckaufbewahrung abgab. Den Gepäckschein verwahrte er im inneren Fach seiner schlanken Eidechsenleder-Brieftasche.
Er aß im Cygne teuer und gut zu Mittag, um das Ende der Planungs- und Vorbereitungsphase in Frankreich und Belgien zu feiern, und ging dann in das Amigo zurück, wo er packte und seine Rechnung beglich. Als er das Hotel verließ, trug er den gleichen, vorzüglich geschnittenen Glencheck-Anzug, in dem er gekommen war. Seine beiden Vuitton-Koffer wurden von einem Hausdiener zum wartenden Taxi hinuntergeschafft. Der Schakal war um 1600 Pfund ärmer, besaß aber dafür ein Gewehr, das wohlverpackt in einem unauffälligen Koffer in der Gepäckaufbewahrung des Bahnhofs lag, sowie drei hervorragend gefälschte Ausweise, die er in einer Innentasche seines Anzugs verwahrte.
Die Maschine nach London flog kurz nach 16 Uhr von Brüssel ab. Auf dem Londoner Flughafen wurde einer seiner Koffer, der ohnehin nichts enthielt, was er hätte verbergen müssen, oberflächlich durchsucht. Gegen 19 Uhr duschte er in seiner Wohnung, und anschließend ging er auswärts essen.
ACHTES KAPITEL
Es war Kowalskys Pech, daß es am Mittwochvormittag auf dem Postamt keine Telephonanrufe zu erledigen gab; wäre dies der Fall gewesen, hätte er seine Maschine verpaßt. Die Post wartete schon auf ihn, und er legte die fünf Briefe in sein an das Handgelenk gekettete Stahletui, ließ es zuschnappen und begab sich eilig auf den Rückweg zum Hotel. Um halb zehn hatte er Oberst Rodin die Post übergeben und war bis zur nächsten Wache, die er um 19 Uhr auf dem Hoteldach übernehmen sollte, dienstfrei.
Normalerweise würde er sich für ein paar Stunden schlafen gelegt haben, aber er ging nur auf sein Zimmer, um sich seinen Colt 45, den auf der Straße zu tragen Rodin ihm nie erlaubt haben würde, in den Achselhafter zu stecken. Wenn seine Anzuggröße auch nur einigermaßen passend gewesen wäre, hätte man ihm auf hundert Meter Entfernung angesehen, daß er eine Pistole unter der Achsel trug; aber seine Kleidung saß so schlecht, wie sie selbst ein drittklassiger Schneider nicht anzufertigen vermocht hätte, und trotz seiner Unförmigkeit hingen seine Anzüge wie Säcke an ihm herunter. Er steckte die Leukoplastrolle und die Baskenmütze, die er am Tag zuvor erstanden hatte, in seine Jackentasche, das Päckchen 10-Lire- und Francsscheine, das seine Ersparnisse des letzten halben Jahres darstellte, in die andere und schloß die Tür hinter sich.
Der Wachhabende am Empfangstisch blickte auf.
«Jetzt wollen die da oben, daß ich telephonieren gehe«, sagte Kowalsky und wies mit dem Daumen zur Decke hinauf. Der Wachhabende sagte nichts, behielt ihn aber im Auge, bis der Fahrstuhl kam und Kowalksy einstieg. In der nächsten Minute war er auf der Straße und setzte sich seine dunkle Sonnenbrille auf.
Der Mann, der im gegenüberliegenden Cafe die Zeitschrift» Oggi «las, ließ das Blatt ein paar Millimeter sinken und beobachtete den Polen, der nach einem Taxi Ausschau hielt, durch seine dunklen Sonnengläser. Als kein Taxi kam, ging Kowalsky zur nächsten Straßenecke. Der Mann mit dem Magazin verließ die Cafeterrasse und stellte sich an den Straßenrand. Ein kleiner Fiat steuerte aus einer Reihe weiter die Straße hinauf geparkter Wagen und hielt ihm gegenüber auf der anderen Seite der Straße. Er stieg ein, und der Fiat folgte Kowalsky im Schrittempo. An der Ecke hielt Kowalsky ein Taxi an.
«Fiumicino«, sagte er dem Fahrer.
Auf dem Flughafen folgte ihm der SDECE-Mann unauffällig und behielt ihn im Auge, als er an den Alitalia-Schalter trat, sein Ticket in bar bezahlte und der jungen Dame erklärte, er habe keinen Koffer und kein Handgepäck bei sich. Man sagte ihm, daß die Passagiere für den Flug nach Marseille in einer Stunde und fünf Minuten aufgerufen werden würden. Der ExLegionär schlenderte in die Cafeteria hinüber, bestellte sich an der Theke eine Tasse Kaffee und trug sie zu einem Platz an dem großen Fenster hinüber, von wo aus er die Maschinen landen und starten sehen konnte. Er liebte Flughäfen, obwohl er nicht verstand, wie sie funktionierten. Die meiste Zeit seines Lebens hindurch war das Motorengeräusch von Flugzeugen für ihn gleichbedeutend mit deutschen Messerschmitts, russischen Stormoviks oder amerikanischen Fliegenden Festungen gewesen. Später hatte es Luftunterstützung durch die B-26 oder Skyraiders in Indochina, Mysteres oder Fougas in Algerien bedeutet. Aber er liebte es, die Maschinen auf zivilen Flughäfen mit gedrosselten Triebwerken wie große silberne Vögel einschweben und unmittelbar vor dem Aufsetzen wie an unsichtbaren Fäden in der Luft hängend zu sehen. Obgleich er ein scheuer und im Umgang mit Menschen unbeholfener Mann war, fand er es erregend, die unaufhörliche Geschäftigkeit des Lebens und Treibens auf Flughäfen zu beobachten. Vielleicht hätte er, wenn alles anders gekommen wäre, auf einem Flughafen arbeiten können. Aber er war, was er geworden war, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Seine Gedanken wanderten zu Sylvie, und seine zusammengewachsenen dichten Brauen runzelten sich zu einem einzigen Gestrüpp, das seinen Blick verfinsterte. Es war nicht recht, sagte er sich, daß sie sterben sollte, während all die verräterischen Hunde in Paris weiterlebten. Oberst Rodin hatte ihm davon erzählt, wie sie Frankreich im Stich gelassen, die Armee hinters Licht geführt, die Legion betrogen und die Leute in Indochina und Algerien den Terroristen ausgeliefert hatten. Und Oberst Rodin hatte immer recht.
Sein Flug wurde aufgerufen, und er trat durch die Glastür auf den gleißendhellen Beton des Vorfelds hinaus, um die hundert Schritte zur Maschine zu gehen. Von der Aussichtsterrasse aus beobachteten die beiden Agenten Oberst Rollands, wie er die Treppe zum Flugzeug hinaufstieg. Er trug jetzt die schwarze Baskenmütze und auf der Wange ein Pflaster. Einer der beiden Agenten wandte sich seinem Kollegen zu und hob gelangweilt die Brauen. Als die Turboprop-Maschine nach Marseille startete, traten die beiden Männer von der Brüstung zurück. Auf ihrem Weg durch die Haupthalle blieb der eine vor einem Zeitungskiosk stehen, während der andere in eine Telephonzelle trat, um ein Ortsgespräch zu führen. Er meldete sich mit einem Vornamen und sagte:»Er ist abgeflogen. Alitalia vier-fünf-eins. Ankunft Marignane um 12 Uhr 10. Ciao.«