In der räumlichen Enge des Korridors war ihm aber weder seine Körpergröße noch seine überlegene Kraft von Vorteil. Seine Größe hatte lediglich verhindert, daß der niedersausende
Stiel der Spitzhacke die beabsichtigte volle Wucht erreichte, bevor er seinen Kopf traf. Durch das Blut, das ihm über die Augen lief, sah er, daß vor ihm in der Tür zwei Männer standen und zwei weitere auf jeder Seite. Er brauchte Raum, um sich Bewegungsfreiheit zum Kämpfen zu verschaffen, und stürmte, mit angewinkelten Ellbogen Stöße austeilend, vorwärts in das Apartment 23.
Der Mann, der unmittelbar vor ihm stand, taumelte unter dem Anprall zurück. Die anderen drängten von hinten nach und versuchten, ihn am Kragen und am Jackett zu packen. In die Wohnung vorgedrungen, zog er den Colt aus dem Achselhalfter, drehte sich auf dem Absatz um und feuerte in Richtung auf die Tür. Im gleichen Augenblick traf ihn ein heftiger Schlag am Handgelenk, und der Schuß wurde nach unten verrissen. Die Kugel zerschmetterte die Kniescheibe eines seiner Gegner, der mit einem schmerzerfüllten Schrei zu Boden ging. Aber nachdem ein weiterer Schlag auf das Handgelenk Kowalskys Finger gefühllos gemacht hatte, wurde ihm die Waffe entrissen. In der nächsten Sekunde warfen sich die fünf Männer auf den Polen und überwältigten ihn. Der Kampf hatte drei Minuten gedauert. Später erklärte ein Arzt, Kowalsky müsse von unzähligen Schlägen mit den lederumwickelten Knüppeln am Kopf getroffen worden sein, bevor er schließlich das Bewußtsein verlor. Ein abprallender Schlag hatte ihm ein Stück Ohr weggerissen, sein Nasenbein war gebrochen und sein Gesicht eine einzige blutige, verschwollene Masse.
Keuchend und fluchend umstanden die drei Sieger den reglos auf dem Boden liegenden riesigen Körper. Der Mann mit dem Beinschuß saß mit wachsbleichem Gesicht, die blutverschmierten Hände an sein zerschmettertes Knie gepreßt, zusammengesunken neben der Tür an der Wand, während seine schmerzverzerrten, weißen Lippen unaufhörlich Obszönitäten ausstießen. Ein anderer wiegte sich, auf den Knien hockend, langsam hin und her wie ein Jude vor der Klagemauer und bohrte seine Hände tief in seine von Kowalskys gezieltem Fußtritt getroffene Lendengegend. Der letzte Verwundete lag mit dem Gesicht nach unten neben dem Polen auf dem Teppich. Eine blutunterlaufene Prellung an seiner linken Schläfe zeigte an, wo Kowalsky einen seiner wuchtigen Schwinger gelandet hatte.
Der Anführer der Gruppe drehte den Polen auf den Rücken und hob sein geschlossenes Augenlid. Dann ging er zum Telephon hinüber, drehte eine Ortsnummer und wartete.
«Wir haben ihn«, sagte er, noch immer schwer atmend, als sich die Dienststelle meldete.»Widerstand? Und ob er Widerstand geleistet hat! Einen Schuß hat er abgegeben, Guerinis Kniescheibe ist hinüber. Capetti hat einen Tritt in die Eier bekommen, und Vissart ist noch bewußtlos… Was? Ja, der Pole lebt. Das war doch die Anweisung, oder? Sonst hätte er nicht so viel Unheil anrichten können… Na ja, verletzt ist er schon. Weiß ich nicht, er ist bewußtlos… Hör mal, wir brauchen keine grüne Minna, sondern zwei oder drei Krankenwagen. Und zwar rasch.«
Er schmetterte den Hörer auf die Gabel und murmelte ein offenbar der Welt im allgemeinen geltendes »Cons«. Im ganzen Zimmer verstreut lagen die Trümmer zerschlagener Möbelstücke umher. Sie hatten allesamt angenommen, daß der Pole draußen im Hausflur zu Boden gehen würde. Kein einziges Möbelstück war vorsorglich aus dem Weg geräumt und in das Nebenzimmer geschafft worden. Er selbst war mit voller Wucht von einem Lehnsessel, den Kowalsky mit einer Hand geschleudert hatte, am Brustkorb getroffen worden, und die Stelle schmerzte auch jetzt noch höllisch. Verdammter Pole, dachte er, die Scheißkerle in der Präfektur hatten ihm kein Wort davon gesagt, was für ein Bursche das war.
Eine Viertelstunde später fuhren zwei Citröen-Krankenwagen vor, und der Arzt kam herauf.
Er verbrachte fünf Minuten damit, Kowalsky zu untersuchen. Schließlich schob er dem Bewußtlosen einen Ärmel hoch und gab ihm eine Spritze. Als die beiden Krankenträger mit dem riesigen Polen auf der Bahre zum Aufzug stolperten, wandte sich der Arzt dem verwundeten Korsen zu, der ihn, inmitten seiner Blutpfütze an der Wand hockend, mit finsterer Miene anblickte.
Er zog dem Mann die Hände vom Knie weg und stieß einen leisen Pfiff aus.
«Morphium, und ab ins Hospital. Ich gebe Ihnen eine Knockout-Spritze. Weiter kann ich hier nichts für Sie tun. Auf jeden Fall ist Ihre Laufbahn beendet. Sie werden sich einen anderen Beruf zulegen müssen, mon petit.«
Guerini stieß einen Schwall obszöner Verwünschungen aus, als ihm die Injektionsnadel unter die Haut fuhr.
Vissart hatte sich aufgesetzt und hielt sich den Kopf. Capetti war jetzt wieder auf die Beine gekommen und lehnte sich röchelnd gegen die Wand. Zwei seiner Kollegen griffen ihm unter die Achseln und führten den Humpelnden in den Treppenhausflur hinaus. Der Anführer der Gruppe half Vissart beim Aufstehen, während die Krankenträger der zweiten Ambulanz den betäubten Guerini mit sich fortschleppten.
Draußen auf dem Treppenhausflur warf der Anführer der sechs einen letzten Blick in den verwüsteten Raum zurück.
«Ein beachtliches Chaos, hein?« bemerkte der Arzt.
«Das können die Leute vom örtlichen Polizeirevier in Ordnung bringen«, sagte der Korse und schloß die Tür.»Es ist schließlich deren verdammte Wohnung. «Die Türen der Apartments 22 und 24 standen ebenfalls noch offen, aber die Wohnungen waren unbeschädigt. Er zog beide Türen zu.
«Keine Nachbarn?«fragte der Arzt.
«Keine Nachbarn«, sagte der Korse.»Wir haben die ganze Etage gemietet.«
Hinter dem Arzt führte er den noch immer benommenen Vissart die Treppe hinunter zum wartenden Krankenwagen.
Zwölf Stunden später lag Kowalsky nach einer raschen Fahrt quer durch Frankreich auf der Pritsche einer Zelle, die sich in den Kasematten einer als Kaserne dienenden alten Befestigung außerhalb von Paris befand.
Der Raum hatte fleckige, feuchte Wände, die wie in allen Gefängnissen weiß getüncht und stellenweise mit in das Gemäuer geritzten Obszönitäten und Gebeten bedeckt waren. Die Luft in der heißen, engen Zelle war stickig und roch nach Karbol, Schweiß und Urin. Der Pole lag auf dem Rücken auf einer schmalen Eisenpritsche, deren Füße in den Betonfußboden eingelassen waren. Außer der harten Matratze und einer aufgerollten Decke unter dem Kopf gab es kein Bettzeug. Zwei breite Lederriemen banden seine Fußgelenke, je zwei weitere seine Schenkel und Handgelenke an die Pritsche. Ein einzelner Riemen umspannte seinen Brustkorb. Kowalsky war noch immer bewußtlos, atmete jedoch tief und regelmäßig.
Man hatte ihm das Blut vom Gesicht gewaschen und die Wunden am Ohr und an der Kopfhaut genäht. Ein Pflaster bedeckte die gebrochene Nase, und in dem offenen Mund, durch den der Atem rasselte, waren die Stümpfe zweier ausgeschlagener Schneidezähne zu sehen.
Unter der dichten Wolle schwarzen Haares, die Brust, Schultern und Bauch bedeckte, zeichneten sich Prellungen und Schürfwunden ab, die von Faustschlägen, Fußtritten und Knüppelhieben herrührten. Das rechte Handgelenk war bandagiert und mit Leukoplast umwickelt. I
Der Mann im weißen Kittel beendete seine Untersuchung, richtete sich auf und legte das Stethoskop in seine Tasche zurück. Er drehte sich um und nickte dem Mann zu, der hinter ihm stand und gegen die Tür pochte. Sie wurde geöffnet, und die beiden traten in den Gang hinaus. Die Zellentür schlug zu, und der Aufseher; legte wieder die beiden schweren Stahlriegel vor.
«Womit haben sie ihn so zugerichtet?«fragte der Arzt, als sie den Gefängniskorridor hinuntergingen.
«Es waren sechs Mann nötig, um das zu schaffen«, erwiderte Oberst Rolland.
«Nun, sie haben ganze Arbeit geleistet. Es fehlte nicht viel, und sie hätten ihn umgebracht. Wäre er nicht ein solcher Bulle von einem Kerl, würden sie es geschafft haben.«