«Es ging nicht anders«, entgegnete der Oberst.»Er hat drei meiner Leute außer Gefecht gesetzt.«
«Muß ja ein beachtlicher Kampf gewesen sein.«»Das war es. Also, was hat er abbekommen?«;»Möglicherweise eine Fraktur des rechten Handgelenks — geröntgt werden konnte es ja nicht —, Riß- und Platzwunden am linken Ohr und an der Kopfhaut sowie einen Nasenbeinbruch. Verschiedene Schnittwunden und Prellungen, leichte innere Blutungen, die zunehmen und sein Ende bedeuten, aber auch ganz von selbst aufhören können. Was mir Sorge macht, ist sein Kopf. Daß eine Gehirnerschütterung vorliegt, steht außer Zweifel. Ob sie leicht oder schwer ist, läßt sich im Augenblick nicht sagen. Für eine Schädelfraktur gibt es keine Anzeichen, was allerdings nicht das Verdienst Ihrer Leute ist. Aber die Gehirnerschütterung könnte schlimmer werden, wenn er nicht in Ruhe gelassen wird.«
«Ich muß ihm ein paar Fragen stellen«, sagte der Oberst, angelegentlich die Glut seiner Zigarette betrachtend. Zur Gefängnisklinik des Arztes gelangte man, wenn man den Korridor nach links hinunterging, und die rechter Hand gelegene Treppe führte zum Erdgeschoß hinauf. Die beiden Männer blieben stehen. Der Arzt sah den Chef des Aktionsdienstes mit mühsam beherrschtem Widerwillen an.
«Dies ist ein Gefängnis«, sagte er sehr ruhig,»für diejenigen, welche sich gegen die Sicherheit des Staates vergangen haben. So weit, so gut. Aber ich bin noch immer der Gefängnisarzt. Überall woanders in diesem Gefängnis gilt, was ich sage, sobald es die Gesundheit der Gefangenen betrifft. Der Flur — «er deutete mit einem Kopfnicken in die Richtung, aus der sie gekommen waren —»ist Ihre Enklave. Man hat mir in höchst eindeutiger Weise zu verstehen gegeben, daß mich das, was dort unten passiert, nichts angeht und ich da nicht hineinzureden habe. Aber eines möchte ich noch klarstellen: Wenn Sie anfangen, dem Mann, wie Sie es nennen, >Fragen zu stellen, und das mit Ihren Methoden, dann wird er entweder krepieren oder binnen kurzem wahnsinnig werden. «Oberst Rolland lauschte der Prognose des Arztes, ohne eine Miene zu verziehen.
«Wie lange?«fragte er nur. Der Arzt zuckte mit den Achseln.
«Schwer zu sagen. Er kann schon morgen das Bewußtsein wiedererlangen, möglicherweise aber noch tagelang bewußtlos bleiben. Aber wenn er zu sich kommt, wird er, vom ärztlichen Standpunkt aus gesehen, mindestens zwei Wochen lang nicht vernehmungsfähig sein. Vorausgesetzt, es handelt sich nur um eine leichte Gehirnerschütterung.«
«Es gibt gewisse Drogen«, wandte der Oberst ein.
«Ja, die gibt es. Aber ich habe nicht die Absicht, sie zu verschreiben. Sie werden möglicherweise in der Lage sein, sie zu bekommen, sehr wahrscheinlich sogar. Aber nicht von mir. In jedem Fall würde das, was er Ihnen jetzt sagen könnte, überhaupt keinen Sinn ergeben. Es wäre totaler Nonsens. Sein Geist ist verwirrt. Das mag wieder in Ordnung kommen oder auch nicht. Aber wenn es in Ordnung kommt, dann braucht das seine Zeit. Bewußtseinsverändernde Drogen würden ganz einfach einen Kretin aus ihm machen, der weder Ihnen noch sonst jemand anderem nützen kann. Es kann eine Woche dauern, bis auch nur ein erstes Zucken der Lider einsetzt. So lange werden Sie sich schon gedulden müssen. «Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging auf seine Krankenstation zurück.
Aber der Arzt sollte sich getäuscht haben. Drei Tage später, am 10. August, öffnete Kowalsky die Augen, und noch am gleichen Tag wurde er seinem ersten und einzigen Verhör unterzogen.
Die letzten drei Tage nach seiner Rückkehr aus Brüssel verbrachte der Schakal damit, seine Vorbereitungen für die bevorstehende Mission in Frankreich abzuschließen.
Er steckte seinen auf den Namen Alexander James Quentin Duggan lautenden neuen Führerschein ein und ging zur Hauptgeschäftsstelle der Automobile Association ins Fanum House, wo er sich auf den gleichen Namen einen internationalen Führerschein ausstellen ließ. In einem auf Reiseartikel spezialisierten Gebrauchtwarenladen erstand er eine Anzahl zueinander passender Koffer aus gleichem Leder. In den ersten packte er die Kleidungsstücke, die es ihm gegebenenfalls ermöglichen sollten, sich als Pastor Per Jensen aus Kopenhagen zu maskieren. Bevor er die Sachen in den Koffer legte, trennte er die Schildchen der dänischen Hersteller aus den drei in Kopenhagen gekauften Hemden heraus und nähte sie in das priesterliche Hemd, an dem runden hohen Kragen und dem schwarzen Plastron an, die er in London gekauft hatte. Zu diesen Kleidungsstücken packte er die Sachen — das Unterzeug, die Schuhe, die Socken sowie den schwarzgrauen leichten Anzug —, mit denen er, wenn nötig, das äußere Bild des dänischen Geistlichen vervollständigen konnte. In den gleichen Koffer wanderten die Kleidungsstücke des amerikanischen Studenten Marty Schulberg — Jeans, Sneakers, Socken, T-Shirts und Windjacke.
Er schnitt das Futter des Koffers auf und versteckte die Pässe der beiden Ausländer, als die er sich eventuell würde ausgeben müssen, zwischen den doppelten Lederschichten, mit denen die Schmalseiten des Koffers verstärkt waren. Das dänische Buch über die französischen Kathedralen, die beiden Brillen — eine für den Dänen, eine für den Amerikaner — und die sorgfältig in Seidenpapier eingewickelten beiden Paare unterschiedlich getönter Kontaktlinsen sowie die Haarfärbemittel vervollständigten den Inhalt des Koffers.
In den zweiten Koffer packte er die Schuhe, die Socken, das Hemd und die Hose, die er zusammen mit dem langen Militärmantel und dem beret auf dem Flohmarkt in Paris erstanden hatte. In das Kofferfutter steckte er die falschen Papiere des älteren französischen Staatsbürgers Andre Martin. Dieser Koffer wurde nicht vollgepackt, sollte er doch in Kürze eine Anzahl schlanker Stahlrohren aufnehmen, die ein vollständiges Scharfschützengewehr nebst Munition enthielten.
Den etwas kleineren dritten Koffer füllten die Kleidungsstücke Alexander Duggans: Schuhe, Socken, Unterzeug, Hemden, Krawatten, Taschentücher und drei elegante Anzüge. Im Futter dieses Koffers deponierte er mehrere Bündel Zehnpfundnoten im Gesamtwert von 1000 Pf und, die er nach seiner Rückkehr aus Brüssel von seinem Privatkonto abgehoben hatte.
Alle drei Koffer wurden vom Schakal sorgfältig abgeschlossen und die Schlüssel an seinem Schlüsselring befestigt. Den taubengrauen Anzug ließ er reinigen und bügeln und hängte ihn dann in den eingebauten Kleiderschrank seiner Wohnung. In der inneren Brusttasche des Anzugs befanden sich sein Paß, sein britischer wie auch sein internationaler Führerschein und seine Brieftasche mit 100 Pf und in bar.
In das letzte Gepäckstück, eine elegante Reisetasche, packte er Rasierzeug, Pyjama, Handtuch und Waschbeutel sowie seine letzten Erwerbungen — einen leichten Gurt aus feingewebtem Material, eine Zweipfundtüte Gips, mehrere Rollen grober baumwollener Binden, ein halbes Dutzend Rollen Leukoplast, drei Päckchen Watte und eine stumpfe, aber kräftige Schere. Die Reisetasche würde er als Handgepäck bei sich führen, denn bei Zollkontrollen auf den verschiedensten Flughäfen hatte er wiederholt die Erfahrung gemacht, daß Reisetaschen im allgemeinen nicht zu den Gepäckstücken gehören, die sich die Zollbeamten in geöffnetem Zustand vorführen lassen.
Die Tarnungen als Pastor Jensen und Marty Schulberg stellten lediglich Vorsichtsmaßregeln dar, auf die er wahrscheinlich — so hoffte er wenigstens — nicht zurückgreifen brauchte, es sei denn, daß irgend etwas schiefginge und die Identität Alexander Duggans aufgegeben werden mußte. Die Andre Martins dagegen war für das Gelingen seines Plans von entscheidender Bedeutung. Falls die anderen beiden nicht gebraucht wurden, konnte der Koffer, nachdem der Auftrag ausgeführt war, mit dem gesamten Inhalt in einer Gepäckaufbewahrung deponiert und dort zurückgelassen werden. Aber selbst dann, so überlegte er, mochte es sein, daß er sich als eine der beiden Personen würde tarnen müssen, um seine Flucht zu sichern. Andre Martin und das Gewehr konnten ebenfalls aufgegeben werden, sobald der Job erledigt war, da er für sie dann keine Verwendung mehr haben würde.