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Mit leisem Summen schienen die an dem gefesselten Mann befestigten und durch Drähte mit dem Schalter verbundenen kleinen Elektroden zum Leben zu erwachen. Der riesige Körper auf dem Stuhl bäumte sich wie durch Levitation auf, und die Beine und Handgelenke spannten sich gegen die Riemen, bis es schien, als schneide das Leder ungeachtet der Polsterung durch Fleisch und Knochen. Der Mund öffnete sich wie in fassungslosem Staunen, und es dauerte eine halbe Sekunde, bis der Schrei über die Lippen kam, der dann zu einem Schreien wurde und nicht mehr aufhören wollte…

Um 16 Uhr 10 war Viktor Kowalskys Widerstand gebrochen, und das Tonbandgerät begann zu laufen.

Als er zu sprechen oder vielmehr unzusammenhängend zu stammeln anfing, unterbrach ihn die ruhige Stimme des Mannes hinter dem Tisch mit hartnäckiger Eindringlichkeit:

«Warum sind sie dort in dem Hotel, Viktor — Rodin, Montclair, Casson? Wovor haben sie Angst…? Wo sind sie gewesen? Wen haben sie gesehen? Und warum sehen sie niemanden, Viktor? Sag uns das, Viktor. Warum Rom? Und vor Rom — warum Wien? Wo in Wien? In welchem Hotel? Warum waren sie dort, Viktor…?«

Als Kowalsky nach fünfzig Minuten schließlich verstummte, fuhr die Stimme noch eine kurze Zeitlang fort, ihm Fragen zu stellen, bis es sich erwies, daß keine Antworten mehr kommen würden. Der Mann gab seinen Untergebenen ein Zeichen, und das Verhör war beendet.

Das Band wurde aus der Spule genommen und mit einem schnellen Wagen zum Hauptquartier des Aktionsdienstes nach Paris gebracht.

Der strahlende Nachmittag, der die Pariser Bürgersteige erwärmt hatte, ging in eine goldfarbene Dämmerung über, und um 21 Uhr wurde die Straßenbeleuchtung eingeschaltet. An den Ufern der Seine schlenderten wie an allen Sommerabenden Hand in Hand die Liebespaare, und von den Cafeterrassen an den Quais klang Stimmengewirr und Gläserklirren herüber. Von dergleichen sommerlichen Unbeschwertheit war in einem engen Büro des Aktionsdienstes nahe der Porte des Lilas nichts zu spüren. Drei Männer saßen dort um ein Tonbandgerät herum, das auf einem Tisch stand. Einer von ihnen stellte das Gerät auf Weisung eines zweiten wieder und wieder auf» playback «oder» Rückspulen «und dann neuerlich auf» playback«. Der zweite Mann hatte sich Kopfhörer aufgesetzt und lauschte mit vor Anstrengung gerunzelten Brauen dem Wirrwarr von Lauten und Geräuschen, das aus dem Kopfhörer drang. Eine Zigarette, deren Rauch seine Augen tränen machte, zwischen den Lippen, gab er dem Mann am Tonbandgerät ein Fingerzeichen, sobald er eine Passage nochmals hören wollte. Zuweilen lauschte er einer Zehntelsekundenpassage ein halbes dutzendmal, bevor er den anderen aufforderte, das Tonband weiterlaufen zu lassen.

Der dritte, ein jüngerer blonder Mann, saß an einer Schreibmaschine und wartete auf das Diktat. Die Fragen, die in dem Keller unter der Festung gestellt worden waren, kamen klar und deutlich über den Kopfhörer. Die Antworten waren zusammenhangloser. Der Schreiber tippte die Aufzeichnung wie ein Interview, wobei die Fragen stets auf eine neue Zeile kamen, die mit dem Buchstaben» F «begann. Die Antworten standen auf der nächsten, jeweils mit einem» A «gekennzeichneten Zeile. Sie waren wirr, teilweise unverständlich und machten überall dort, wo sie keinerlei Sinn ergaben, den ausgiebigen Gebrauch von Gedankenstrichen erforderlich.

Es war fast Mitternacht, als die drei Männer ihre Arbeit beendet hatten. Müde und zerschlagen standen sie auf, und jeder von ihnen reckte sich in der ihm eigenen Weise, um die schmerzenden Muskeln zu entspannen. Einer der drei griff zum Telephon, verlangte eine Amtsleitung und wählte eine Ortsnummer. Ein anderer spulte das Band auf die ursprüngliche Rolle zurück, während der Schreiber die letzten Blätter aus der Maschine nahm, die Durchschläge aussortierte und die angehäuften Papiere in drei nach Seitenzahlen geordnete Exemplare des Geständnisses trennte. Das Original des Protokolls war für Oberst Rolland bestimmt, eine Kopie für die Akten und die zweite zur Anfertigung von zusätzlichen Photokopien für Abteilungsleiter, falls der Oberst anordnete, daß sie von dem Inhalt des Protokolls in Kenntnis gesetzt werden sollten.

Der Anruf erreichte Oberst Rolland in dem Restaurant, in dem er mit Freunden und deren Ehefrauen zu Abend gegessen hatte. Wie stets waren die Komplimente, die der unverheiratete elegante

Staatsbeamte den anwesenden Damen gemacht hatte, wenn schon nicht von ihren Männern, so doch von ihnen selbst ungemein freundlich aufgenommen worden. Als der Kellner ihn ans Telephon rief, entschuldigte er sich und verließ den Tisch. Das Telephon stand auf der Theke. Der Oberst sagte nur» Rolland «und wartete, bis der Anrufer sich identifiziert hatte.

Rolland seinerseits tat dies ebenfalls, indem er in den ersten Satz der Unterhaltung das vereinbarte Kennwort einflocht. Ein Zuhörer würde erfahren haben, daß Oberst Rollands Wagen repariert sei und jederzeit von ihm abgeholt werden könne. Oberst Rolland dankte seinem Informanten und kehrte an den Tisch zurück. Nach fünf Minuten entschuldigte er sich wortreich, daß ihn morgen ein arbeitsreicher Tag erwarte und er daher seinen Schlaf benötige. Er verabschiedete sich aufs liebenswürdigste und saß wenig später in seinem Wagen, um ihn in raschem Tempo durch die noch immer belebten Straßen in das um diese Zeit stillere Quartier der Porte des Lilas zu fahren. Kurz nach l Uhr morgens war er in seinem Büro, zog sich sein untadeliges dunkles Jackett aus, bestellte Kaffee beim Nachtdienst und klingelte nach seinem Assistenten.

Das Original der Niederschrift von Kowalskys Geständnis wurde ihm zugleich mit dem Kaffee gebracht. Zunächst las er das sechsundzwanzigseitige Dossier rasch durch und versuchte dabei, das Wesentliche dessen, was der geistesverwirrte Ex-Legionär gesagt hatte, sogleich zu erfassen. Etwa in der Mitte des Protokolls fiel ihm irgend etwas auf, was ihn die Brauen runzeln ließ, aber er las ohne Unterbrechung weiter bis zum Ende.

Die zweite Durchsicht erfolgte langsamer und sorgfältiger, wobei er jedem einzelnen Satz größere Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Beim drittenmal nahm er einen schwarzen Filzstift zur Hand und zog einen dicken Strich durch alle Passagen, die sich auf Sylvie,

Leuko- oder Leukä-irgendwas, Indochina, Algerien, Jo-Jo, Kovacs, Korsen, Hunde und die Legion bezogen. Sie alle verstand er, und sie interessierten ihn nicht.

Das wirre Gestammel betraf zumeist Sylvie, zum Teil auch eine Frau namens Julie, und beides war für Rolland bedeutungslos. Als er alles das gestrichen hatte, war der Umfang der Aufzeichnung auf etwa sechs Seiten zusammengeschmolzen, und Rolland versuchte, aus den verbleibenden Passagen einen Sinn herauszulesen. Da war Rom. Die drei Führer waren in Rom. Nun, das wußte er ohnehin. Aber warum? Diese Frage war achtmal gestellt worden. Die Antwort hatte immer gleich gelautet. Sie wollten nicht gekidnappt werden wie im Februar Argoud. Einleuchtend genug, dachte Rolland. Hatte er mit der ganzen Kowalsky-Aktion nur seine Zeit verschwendet? Es gab da ein Wort, das der Legionär zweimal erwähnt oder vielmehr undeutlich gemurmelt hatte, als er auf diese acht gleichlautenden Fragen antwortete. Das Wort war» geheim «oder» Geheimnis«. Das Adjektiv? Ihre Anwesenheit in Rom war alles andere als geheim. Oder hatte er das Substantiv gebraucht? Was für ein Geheimnis? Oberst Rolland las die Niederschrift zum zehntenmal durch und begann dann nochmals von vorn. Die drei OAS-Bosse waren in Rom. Sie wollten nicht gekidnappt werden, weil sie ein Geheimnis hatten, von dem niemand etwas erfahren durfte. Rolland lächelte ironisch. Er hatte es besser gewußt als General Guibaud, der glaubte, daß Rodin sich verkroch, weil er Angst hatte.

Sie hatten also ein Geheimnis zu bewahren. Was für ein Geheimnis? Es schien mit irgend etwas zu tun zu haben, was sich in Wien abgespielt hatte. Das Wort» Vienne «tauchte dreimal auf, aber Rolland hatte zunächst angenommen, es müsse sich um die dreißig Kilometer südlich von Lyon gelegene Stadt Vienne handeln. Vielleicht war gar nicht die französische Provinzstadt, sondern die österreichische Hauptstadt gemeint?