Zur Rechten Sanguinettis wiederum saßen General Guibaud, Chef des SDECE, und Oberst Rolland, Chef des Aktionsdienstes und Verfasser des Berichts, von dem jedem Konferenzteilnehmer ein Exemplar ausgehändigt worden war. Ferner Kommissar Ducret von der persönlichen Sicherungsgruppe des Präsidenten und der Oberst der Luftwaffe Saint Clair de Villauban aus dem Stab des Elysee-Palastes, ein fanatischer Gaullist, dem in der engeren Umgebung des Präsidenten nachgesagt wurde, daß ihn ein nicht minder fanatischer persönlicher Ehrgeiz auszeichne.
Links von Maurice Papon, dem Polizeipräfekten, saßen Maurice Grimaud, Generaldirektor der Sürete Nationale, und die Leiter der fünf Abteilungen, aus denen die Sürete besteht. Obschon von Romanschreibern und Krimiautoren gern als schlagkräftigste aller das Verbrechen bekämpfenden Organisationen gefeiert, stellt die Sürete Nationale nur eine sehr kleine, personell schwach besetzte Dienststelle dar, die den fünf Kriminalabteilungen, welche die eigentliche Arbeit leisten, vorgesetzt ist. Die Aufgaben der Sürete sind, ganz ähnlich wie die der ebensooft irreführend beschriebenen Interpol, verwaltungstechnischer Art, und die Sürete beschäftigt nicht einen einzigen Detektiv in ihrem Stab.Der Mann, dessen persönlichem Kommando die gesamten Polizeikräfte der französischen Republik unterstellt waren, saß unmittelbar neben Maurice Grimaud. Es war Max Fernet, der Direktor der Police
Judidaire. Neben ihrem gewaltigen Hauptquartier am Quai des Orfevres, das so viel größer ist als das in unmittelbarer Nachbarschaft des Innenministeriums, in der rue des Saussaies, gelegene der Sürete, unterhält die Police Judiciaire siebzehn regionale Zentralen, das heißt eine in jedem der siebzehn städtischen Polizeidistrikte Frankreichs. Diesen unterstehen die in insgesamt 453 Städten stationierten Polizeikräfte, die ihrerseits in 74 Zentralkommissariate, 253 Wahlbezirkskommissariate und 126 örtliche Polizeiposten gegliedert sind. Das gesamte Organisationsnetz umfaßt 2000 Städte und Ortschaften Frankreichs. In ländlichen Gebieten und auf Fernverkehrsstraßen obliegt die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung der Gendarmerie Nationale und den Gendarmes Mobiles, der Verkehrspolizei. Aus Gründen der. Effektivität benutzen Gendarmen und agents de police in manchen Gebieten dieselben Einrichtungen, Unterkünfte und Anlagen. Die Gesamtstärke der Max Fernet unterstehenden Police Judiciaire betrug im Jahre 1963 rund 20000 Mann.
Links von Fernet saßen die Chefs der anderen vier Sektionen der Sürete: des Bureau de Securite Publique, der Renseignements Generaux, der Direction de la Surveillance du Territoire und des Corps Republicain de la Securite.
Die erstgenannte dieser Sektionen, das B SP, war vor allem für den Schutz öffentlicher Gebäude, Kommunikationseinrichtungen, Fernverkehrsstraßen und allen sonstigen Staatseigentums vor Sabotage oder Beschädigung zuständig. Die zweite, die RG oder Zentralkartei, fungierte als das Gedächtnis der anderen vier Sektionen; in ihrem Archiv verwahrte sie viereinhalb Millionen Dossiers über sämtliche Individuen, die der französischen Polizei seit deren Gründung angezeigt worden waren. Alphabetisch geordnet sowohl nach den Namen der betreffenden Personen als auch nach den Vergehen oder Verbrechen, deren sie verurteilt oder lediglich verdächtig waren, füllten die Dossiers Regale von insgesamt nahezu neun Kilometer Länge. Die Namen von Zeugen, die in Strafprozessen ausgesagt hatten, waren wie die von freigesprochenen Angeklagten ebenfalls erfaßt. Obschon das Karteisystem seinerzeit noch nicht auf Computer umgestellt worden war, rühmten sich die Archivare, innerhalb von Minuten sämtliche Einzelheiten eines vor Jahren in irgendeinem Provinznest verübten Giftmords oder die Namen aller Zeugen beibringen zu können, die in einem von der Presse weitgehend unbeachtet gebliebenen Prozeß aufgetreten waren.
Außer den Dossiers wurden die Fingerabdrücke sämtlicher Personen, die sich in Frankreich jemals dieser Prozedur hatten unterziehen müssen, hier verwahrt, ferner zehneinhalb Millionen Meldezettel einschließlich aller in französischen Hotels außerhalb von Paris ausgefüllten Anmeldeformulare. Sie mußten in verhältnismäßig kurzen Abständen vernichtet werden, um Platz für die gewaltige Anzahl alljährlich neu hinzukommender Meldezettel zu machen. Einzig die in Pariser Hotels ausgefüllten Anmeldungen wurden nicht den RG weitergeleitet; sie gingen direkt an die Prefecture de Police.
Die DST, deren Chef drei Stühle von Fernet entfernt am Konferenztisch saß, war und ist Frankreichs Spionageabwehr und als solche auch für die Überwachung französischer Häfen, Flughäfen und Grenzstationen verantwortlich. Bevor die Lande- und Grenzübertrittskarten aller nach Frankreich einreisenden Personen in die Archive wandern, werden sie an Ort und Stelle vom DST-Offizier überprüft und diejenigen unerwünschter Personen mit Karteireitern versehen.
Aus Platzgründen saß der Chef des CRS, jener 45 000 Mann starken Spezialeinheit, die Alexandre Sanguinetti im Verlauf der letzten beiden Jahre in so unpopulärer Weise eingesetzt hatte, am unteren Ende des Konferenztisches. Den Platz zwischen ihm und dem am unteren Ende der rechten Seite des Tisches sitzenden Oberst Saint Clair wurde von einem großen, korpulenten Mann eingenommen, dessen Pfeifenrauch den Geruchssinn des aristokratischen Luftwaffen-Obersten zu seiner Linken offenkundig beleidigte. Der Minister hatte Max Fernet ausdrücklich gebeten, ihn zur Sitzung mitzubringen. Es war Kommissar Maurice Bouvier, Chef der Brigade Criminelle der PJ.
«Das also ist die Situation, der wir uns gegenübersehen, meine Herren«, fuhr der Innenminister fort.»Sie alle haben nun den Bericht gelesen, der vor Ihnen liegt. Und Sie haben von mir gehört, welche beträchtlichen Einschränkungen der Präsident uns um der Würde Frankreichs willen bei unseren Anstrengungen, diese Gefahr für seine Person abzuwenden, zur Auflage macht. Ich betone nochmals, daß absolute Geheimhaltung sowohl bei derDurchführung der Ermittlungen als auch bei allen weiterhin zu unternehmenden Schritten oberstes Gebot sein muß. Überflüssig zu sagen, daß Sie alle ohne Ausnahme zu striktem Stillschweigen verpflichtet sind und mit keiner außerhalb dieses Raums befindlichen Person, sofern sie nicht inzwischen offiziell in den Kreis der Mitwisser einbezogen wurde, über diese Angelegenheit sprechen dürfen. Ich habe Sie hergebeten, weil ich davon ausgehe, daß wir, was immer wir auch unternehmen, auf die Unterstützung und die Hilfsmittel aller hier vertretenen Abteilungen angewiesen sein werden und ich Sie als die Chefs dieser Abteilungen über die absolute Vorrangigkeit dieser Angelegenheit nicht im Zweifel lassen möchte. Ihr hat jederzeit Ihre uneingeschränkte persönliche Aufmerksamkeit zu gelten. Mit Ausnahme solcher Aufgaben, die den mit ihr verfolgten Zweck nicht erkennen lassen, dürfen keine im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit sich ergebenden Aufträge an Untergebene delegiert werden.«
Der Minister schwieg einen Augenblick. Zu beiden Seiten des Konferenztisches nickten einige der Herren nachdenklich. Andere hatten den Blick auf den Sprecher oder auf das vor ihnen liegende Dossier gerichtet. Am unteren Ende des Tisches starrte Kommissar Bouvier zur Decke hinauf und entließ aus dem Mundwinkel heraus kleine Rauchwölkchen. Der neben ihm sitzende Luftwaffen-Oberst zuckte bei jedem neuerlichen Rauchausstoß leicht zusammen.
«Und jetzt«, fuhr der Minister fort,»darf ich Sie um Ihre Vorschläge bitten. Oberst Rolland, haben Ihre Nachforschungen in Wien irgendwelche Resultate ergeben?«
Der Chef des Aktionsdienstes sah von seinem eigenen Bericht auf und warf dem General, der den SDECE leitete, einen raschen Seitenblick zu, ohne von ihm jedoch durch ein Nicken ermuntert oder ein Stirnrunzeln gewarnt zu werden.