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«Ja. Caron«, sagte Lebel. Der junge Inspektor, der schon in der Mordkommission unter ihm gearbeitet hatte, war seine rechte Hand geworden, als er seinen neuen Posten als Stellvertretender Chef der Brigade Criminelle antrat.

«O.K., Sie sollen ihn haben. Sonst noch jemanden?«»Nein, danke. Aber Caron muß eingeweiht werden. «Bouvier dachte einen Augenblick nach.»Das sollte keine Schwierigkeiten machen. Schließlich kann man auch von der PJ keine Wunder erwarten. Selbstverständlich muß man Ihnen einen Assistenten zubilligen. Aber sagen Sie ihm noch nichts. Ich rufe Frey an, sobald ich in meinem Büro bin, und bitte ihn um die formelle Unbedenklichkeitserklärung. Aber außer ihm sollte keine weitere Person einbezogen werden. Wenn auch nur irgend etwas durchsickert, steht es morgen, spätestens übermorgen in der Presse.«

«Niemand sonst, nur Caron«, sagte Lebel. »Bon. Und noch etwas. Bevor ich die Sitzung verließ, schlug Sanguinetti vor, daß alle diejenigen, die heute abend anwesend waren, in regelmäßigen Abständen über den weiteren Verlauf der Angelegenheit unterrichtet werden. Frey war sehr dafür, Fernet und ich versuchten, es ihm auszureden, aber wir konnten uns nicht durchsetzen. Von jetzt ab wird jeden Abend im Ministerium eine Sitzung stattfinden, bei der Sie die Herren über den jeweiligen Stand der Dinge auf dem laufenden halten sollen. Beginn Punkt zehn Uhr.«

«Oh Gott«, stöhnte Lebel.

«Theoretisch«, fuhr Bouvier nicht ohne Ironie fort,»sind die Herren allesamt gehalten, Ihnen mit Vorschlägen und Anregungen zur Seite zu stehen. Aber keine Sorge, Claude, Fernet und ich werden dasein, falls die Wölfe anfangen, nach Ihnen zu schnappen.«

«Gilt das bis auf weiteres?«fragte Lebel.»Ich fürchte, ja. Der Haken an der Sache ist, daß es keinen Zeitplan für diese Operation gibt. Sie müssen den Killer unter allen Umständen aufspüren, bevor er an Charlemagne herankommt. Wir wissen nicht, ob der Mann seinerseits einen Zeitplan hat und wie der aussieht. Vielleicht schlägt er morgen früh zu, vielleicht auch erst in einem Monat. Sie müssen sich darauf einstellen, solange unter Hochdruck zu arbeiten, bis er dingfest gemacht oder zumindest identifiziert und lokalisiert worden ist. Ich denke, den Rest kann man getrost den Burschen vom Aktionsdienst überlassen.«

«Dieser Gangsterbande.«

«Zugegeben«, sagte Bouvier leichthin,»aber sie haben auch ihre Meriten. Wir leben in haarsträubenden Zeiten, mein lieber Claude. Neben der enormen Zunahme konventioneller Verbrechen haben wir jetzt außerdem noch das politische Verbrechen. Es gibt nun einmal Dinge, die erledigt werden müssen. Sie tun es. Wie auch immer, versuchen Sie, um Himmels willen, diesen Burschen aufzuspüren.«

Der Wagen bog in den Quai des Orfevres ein und passierte die Toreinfahrt zur PJ. Wenige Minuten später war Claude Lebel wieder in seinem Büro. Er trat ans Fenster, öffnete es und sah zum Quai des Grands Augustins auf dem linken Ufer hinüber. Obschon durch die Breite des Seine-Arms von ihnen getrennt, konnte er die Leute, die auf dem anderen Ufer an den vor den Restaurants aufgestellten, weißgedeckten Tischen zu Abend aßen, nicht nur sehen, sondern auch ihre Stimmen und ihr Lachen hören.

Jedem anderen Mann wäre in seiner Lage vermutlich bewußt geworden, daß ihn die Vollmachten, die man ihm vor einer Stunde übertragen hatte, zum mächtigsten Polizeibeamten Europas hatten werden lassen; daß mit Ausnahme des Präsidenten und seines Innenministers niemand sein Recht auf unbeschränkte Inanspruchnahme aller technischen Hilfsmittel und jeglicher Unterstützung von seiten staatlicher Institutionen anfechten konnte; daß er praktisch autorisiert war, die Armee zu mobilisieren, vorausgesetzt, daß dies unter absoluter Geheimhaltung geschah. Vermutlich hätte er sich ebenfalls klargemacht, daß seine Machtfülle, so groß sie auch sein mochte, vom Erfolg abhing; daß der Erfolg ihm die Krönung seiner Karriere bescheren konnte, sein Ausbleiben, wie Saint Clair de Villauban dunkel angedeutet hatte, ihm jedoch mit Gewißheit das Genick brechen würde.

Weil er aber der Mann war, der er war, verschwendete er an Überlegungen dieser Art keinen einzigen Gedanken. Er zerbrach sich lediglich den Kopf darüber, wie er Amelie am Telephon klarmachen konnte, daß er bis auf weiteres nicht nach Hause kommen würde.

Ein Pochen an der Tür schreckte ihn auf.

Die Inspektoren Malcoste und Favier kamen, um die Dossiers über die vier Fälle abzuholen, an denen Lebel gearbeitet hatte, als man ihn am frühen Abend in das Innenministerium rief.

Er verbrachte eine halbe Stunde damit, Malcoste in die beiden Fälle einzuweisen, die er ihm übertrug, und Favier in die anderen beiden. Als sie gegangen waren, klopfte es neuerlich an der Tür. Es war Lucien Caron.

«Ich bin gerade von Kommissar Bouvier angerufen worden«, erklärte er.»Man sagte mir, ich solle mich bei Ihnen melden.«

«Stimmt. Bis auf weiteres hat man mich aller Routinepflichten entbunden und mir eine Sonderaufgabe zugewiesen. Sie sind mir als Assistent zugeteilt worden.«

Er vermied es, Caron dadurch zu schmeicheln, daß er ihn wissen ließ, niemand anderer als er selbst habe ihn als seine rechte Hand angefordert. Das Telephon klingelte. Lebel hob den Hörer ab, lauschte kurz, sagte:»Gut, in Ordnung«, und hängte ein.

«Das war Bouvier«, erklärte er.»Er hat mir gesagt, daß Sie als Geheimnisträger für unbedenklich erklärt worden sind. Ich kann Ihnen also jetzt erzählen, worum es geht. Am besten lesen Sie sich erst einmal dies hier durch.«

Während Caron auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß und den Rolland-Bericht las, räumte Lebel die restlichen Aktenordner und Notizen vom Tisch und legte sie auf die unordentlichen Regale, die hinter ihm an der Wand befestigt waren. Das Büro sah nicht so aus, wie man sich die Befehlszentrale der umfangreichsten geheimen Ermittlungsaktion Frankreichs vorstellen würde. Polizeibüros wirken nie sehr beeindruckend, und das von Lebel machte darin keine Ausnahme.

Es maß nicht mehr als vier mal fünf Meter und hatte zwei nach Süden auf den Fluß und das jenseits davon gelegene Quartier Latin gehende Fenster. Neben Lebels quer vor das Fenster gestellten Schreibtisch, an dem er mit dem Rücken zur Aussicht Platz zu nehmen pflegte, enthielt es einen an die östliche Wand geschobenen Arbeitstisch für seine Sekretärin. Die Tür befand sich gegenüber den Fenstern an der Nordseite des Raums.

Außer den beiden Tischen und den dazugehörigen Stühlen gab es noch einen dritten Stuhl sowie einen neben die Tür gestellten Sessel, ferner sechs halbhohe, graugestrichene Aktenschränke, die nahezu die ganze Westwand einnahmen. Diverse Nachschlagewerke und Gesetzesbücher, die auf den zwischen den beiden Fenstern angebrachten Bücherregalen keinen Platz mehr gefunden hatten, standen auf den Aktenschränken.

Die einzige private Note des Zimmers stellte die auf Lebels Schreibtisch stehende gerahmte Photographie einer entschlossen dreinblickenden Frau mit ihren beiden Kindern dar. Es war Madame Amelie Lebel, flankiert von einem Mädchen mit Stahlbrille und Zöpfen und einem Jungen, dessen sanfter Gesichtsausdruck dem seines Vaters glich.

Caron hatte den Bericht durchgelesen und blickte auf. »Merde«, sagte er.

«Une enorme merde, kann man in diesem Fall wohl sagen«, erwiderte Lebel, der sich Kraftausdrücke nur selten gestattete. Die meisten leitenden Kommissare der PJ hatten Spitznamen wie le Patron oder le Vieux, aber Claude Lebel, der nie mehr als einen kleinen Aperitif trank, weder rauchte noch fluchte und seine jüngeren Detektive zwangsläufig an irgendeinen ihrer Schullehrer erinnerte, wurde in den Korridoren des Stockwerks der Brigadeführung seit einiger Zeit le Professeur genannt. Wäre er nicht ein so guter Detektiv gewesen, hätte man ihn wahrscheinlich zu einer komischen Figur abgestempelt.