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Als sie das Schlafzimmer verlassen hatte, schloß sie leise die Tür, ging durch das Wohnzimmer in die Halle und zog auch hier die Tür hinter sich zu. Von dem Apparat aus, der auf dem Tisch in der Halle stand, rief sie eine Molitor-Nummer an. Sie mußte ein paar Minuten warten, bis sich eine verschlafene Stimme meldete. Sie sprach zwei Minuten lang so rasch sie konnte, ließ sich bestätigen, daß sie verstanden worden war, und legte auf. Eine Minute später war sie wieder im Bett und versuchte einzuschlafen.

Im Verlauf der Nacht wurden die Spitzenfunktionäre der Kriminalbehörden fünf westeuropäischer Länder sowie der Vereinigten Staaten und Südafrikas durch Anrufe aus Paris geweckt. Die meisten Kripochefs reagierten gereizt oder verschlafen. In Washington war es 9 Uhr abends, als der Anruf durchkam. Der Leiter der Mordkommission beim FBI befand sich auf einer Dinnerparty. Erst beim dritten Versuch gelang es Caron, ihn an den Apparat zu bekommen. Ihre Unterhaltung wurde durch das aus dem Nebenzimmer hereindringende Stimmengewirr der anderen Gäste beeinträchtigt. Aber der Amerikaner verstand die Botschaft und sagte zu, sich um 2 Uhr morgens (Washingtoner Ortszeit) in der Fernsprechzentrale der FBI-Direktion einzufinden, um mit Kommissar Lebel zu sprechen, der ihn um 8 Uhr morgens (Pariser Ortszeit) von der dortigen Interpol-Zentrale aus anrufen würde.

Die Kripochefs Belgiens, Italiens, Westdeutschlands und Hollands waren offenbar allesamt vorbildliche Familienväter; einer nach dem anderen wurden sie geweckt und erklärten sich bereit, zu der ihnen von Caron vorgeschlagenen Zeit einen Anruf Lebels in einer Sache von außerordentlicher Dringlichkeit entgegenzunehmen.

Der Südafrikaner Van Ruys hielt sich zur Zeit des Anrufs außerhalb der Stadt auf und würde in keinem Fall bei Sonnenaufgang wieder in seinem Amt sein können. Caron ließ sich daher mit Andersen, seinem Stellvertreter, verbinden. Lebel war keineswegs unzufrieden, als er das erfuhr, denn er kannte Andersen recht gut, Van Ruys dagegen überhaupt nicht. Zudem vermutete er, daß Van Ruys' Ernennung aus politischen Gründen erfolgt war, während Andersen sich wie er selbst in der Polizei von unten heraufgedient hatte.

Mr. Anthony Mallinson, Assistant Commissioner (Crime) von Scotland Yard, erreichte der Anruf kurz vor 4 Uhr morgens in seinem Haus in Bexley. Er brummte protestierend, als der neben seinem Bett stehende Apparat klingelte, langte schlaftrunken nach dem Hörer und murmelte:»Mallinson.«

«Mister Anthony Mallinson?«fragte eine Stimme.

«Am Apparat. «Er zuckte mit den Schultern, um den Oberkörper von der Bettdecke zu befreien, und sah auf die Uhr.

«Hier spricht Inspektor Caron von der Sürete Nationale in Paris. Ich rufe Sie im Auftrag Kommissar Lebels an.«

Die Stimme, die ein gutes, wenngleich nicht akzentfreies Englisch sprach, war so deutlich zu verstehen, als handele es sich um ein Ortsgespräch. Um diese Stunde waren die Leitungen kaum belastet. Mallinson runzelte die Brauen. Konnten die Brüder nicht zu einer zivilisierten Zeit anrufen?

«Ja.«

«Ich glaube, Sie kennen Kommissar Lebel, Mister Mallinson.«

Mallinson überlegte einen Augenblick. Lebel? O ja, der rundliche kleine Mann, der die Mordkommission der PJ geleitet hatte. Sah nicht sonderlich beeindruckend aus, hatte aber Resultate vorzuweisen. War vor zwei Jahren in der Sache mit dem ermordeten englischen Touristen verdammt hilfsbereit gewesen. Hätte damals ein gefundenes Fressen für die Presse werden können, wenn der Killer nicht im Handumdrehen von der PJ gefaßt worden wäre.

«Ja, ich kenne Kommissar Lebel«, sagte er.»Was gibt's denn?«Lily, seine Frau, murmelte neben ihm im Schlaf.

«Es handelt sich um eine Sache von äußerster Dringlichkeit, die zudem absolute Diskretion erfordert. Ich bin Kommissar Lebel zugeteilt worden, um ihm bei diesem Fall zu assistieren. Es ist ein ganz ungewöhnlicher Fall. Der Kommissar würde Sie gern heute morgen um 9 Uhr im Yard anrufen. Könnten Sie es vielleicht einrichten, sich zu der Zeit in der Fernsprechzentrale sprechbereit zu halten?«Mallinson dachte einen Augenblick nach.

«Geht es um eine übliche Ermittlungssache unter Einschaltung kooperierender Polizeidienststellen?«Wenn das der Fall war, konnten sie das Interpol-Netz in Anspruch nehmen. Um 9 Uhr war Hochbetrieb im Yard.

«Nein, Mister Mallinson. Es handelt sich um ein persönliches Ansuchen, das Kommissar Lebel an Sie hat. Der Kommissar bittet Sie um Ihre diskrete Hilfe in dieser Sache. Es kann durchaus sein, daß sie Scotland Yard gar nicht betrifft. Falls sich das bewahrheitet, ist es besser, wenn kein offizielles Ansuchen gestellt wurde.«

Mallinson überlegte. Er war von Natur aus ein vorsichtiger Mann und hatte kein Interesse daran, von einer ausländischen Polizeibehörde in eine geheime Ermittlungssache hineingezogen zu werden. Wenn ein Verbrechen begangen worden und der Täter nach Großbritannien entflohen war, sah das schon anders aus. Aber wozu dann die Heimlichtuerei? Plötzlich fiel ihm eine andere Geschichte ein, die vor Jahren passiert war. Man hatte ihn damals ausgeschickt, um die Tochter eines Kabinettsmitgliedes zurückzuholen, die mit einem hübschen jungen Bengel durchgebrannt war. Das Mädchen war noch minderjährig gewesen, so daß eine Klage wegen Entfernung des Kindes aus der elterlichen Obhut hätte erhoben werden können. Aber der Minister hatte die ganze Geschichte so gehandhabt wissen wollen, daß die Presse kein Sterbenswörtchen davon erfuhr. Die italienischen Polizeibehörden waren ungemein kooperativ gewesen, als man das Paar, das sich selbst Romeo und Julia vorspielte, in Verona aufspürte. Na schön,Lebel brauchte ein bißchen Hilfe, die er über den» Old-Boy«-Draht von ihm bekommen konnte. Dazu waren» Old-Boy«-Drähte ja schließlich da.

«Geht in Ordnung. Ich erwarte seinen Anruf. Um 9 Uhr.«

«Haben Sie vielen Dank, Mister Mallinson.«

«Gute Nacht. «Mallinson legte den Hörer auf, stellte den Wecker auf 6 Uhr 30 statt auf 7 Uhr und legte sich wieder schlafen.

Während Paris der Morgendämmerung entgegenschlief, ging ein Schullehrer mittleren Alters ruhelos im engen Wohn-Schlafzim-mer einer muffigen kleinen Junggesellenwohnung auf und ab. Um ihn herum herrschte ein Chaos: Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und Manuskripte lagen überall auf dem Tisch, den Sesseln und dem Sofa, ja selbst auf der Decke des in einen Alkoven eingebauten schmalen Bettes herum. In einem weiteren Alkoven befand sich ein Spülbecken, in dem schmutziges Geschirr gestapelt war.

Was ihn zu seiner ruhelosen Wanderung trieb, war jedoch nicht der unordentliche Zustand seines Zimmers, denn seit seiner Enthebung vom Posten eines Gymnasialdirektors in Sidi-bel-Abbes und dem Verlust seines schönen Hauses und der beiden Diener, die dazu gehörten, hatte er gelernt, so zu leben, wie er jetzt lebte. Seine Schwierigkeiten waren anderer Art.

Als die Dämmerung über den östlichen Vorstädten anbrach, setzte er sich schließlich und nahm eine der herumliegenden Zeitungen zur Hand. Sein Blick überflog nochmals den Bericht auf der Seite mit den Meldungen aus dem Ausland. Die Überschrift lautete:»OAS-Chefs igeln sich in römischem Hotel ein. «Nachdem er den Artikel ein letztes Mal gelesen hatte, faßte er einen Entschluß, schlüpfte in einen leichten Überzieher, um sich gegen die frühmorgendliche Kühle zu wappnen, und verließ die Wohnung.

Auf dem nahe gelegenen Boulevard hielt er ein Taxi an und ließ sich zur Gare du Nord fahren. Als das Taxi ihn abgesetzt hatte, wartete er, bis es davongefahren war, und entfernte sich dann vom Bahnhof. Er überschritt die Straße und betrat eines der durchgehend geöffneten Cafes. Nachdem er sich einen Kaffee bestellt und eine Telephonmarke hatte geben lassen, suchte er die im hinteren Teil des Raumes befindliche Telephonzelle auf, wählte die Auskunft, die ihn ihrerseits mit der Auslandsauskunft verband. Er fragte nach der Telephonnummer eines Hotels in Rom, erhielt innerhalb von sechzig Sekunden die gewünschte Auskunft, hängte ein und ging.