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Weitere hundert Meter vom Bahnhof entfernt, rief er von einem anderen Cafe aus abermals die Auskunft an, diesmal, um sich nach dem nächstgelegenen durchgehend geöffneten Postamt zu erkundigen. Man sagte ihm, daß es sich, wie er angenommen hatte, gleich um die Ecke beim Bahnhof befand.

Auf dem Postamt meldete er ein Gespräch mit der Nummer in Rom an, die man ihm gegeben hatte, vermied es jedoch, das Hotel, um dessen Nummer es sich handelte, beim Namen zu nennen. Er wartete zwanzig Minuten lang, bis die Verbindung hergestellt war.»Ich möchte Signor Poitiers sprechen«, erklärte er der italienischen Stimme am anderen Ende der Leitung. »Signor ehe?« fragte die Stimme. »IISignorfrancesi. Poitiers, Poitiers…«»Che?» wiederholte die Stimme. »Francesi, francesi…« sagte der Mann in Paris. »Ah, si, ilsignor francesi. Momenta, perfavore… « Es klickte ein paarmal, dann meldete sich eine müde Stimme auf französisch. »Ouäi…«

«Hören Sie«, sagte der Mann in Paris beschwörend.»Ich habe nicht viel Zeit. Nehmen Sie Papier und Bleistift und schreiben Sie auf, was ich Ihnen sage. Haben Sie? Also: >Valmy an Poitiers. Der Schakal ist aufgeflogen. Wiederholen Sie: Der Schakal ist aufgeflogen.

Kowalsky wurde geschnappt. Hat gesungen, bevor er starb. Ende.< Haben Sie das?«

«Ouäi«, sagte die Stimme.»Ich gebe es weiter. «Valmy hängte ein, zahlte rasch die Gebühren und verließ eilig das Postamt. Innerhalb einer Minute war in der Menge der Pendler verschwunden, die in diesem Augenblick aus der Bahnhofshalle strömte. Die Sonne stand über dem Horizont und begann das Pflaster und die kühle Morgenluft zu erwärmen.

Zwei Minuten nachdem Valmy gegangen war, fuhr ein Wagen vor dem Postamt vor, und zwei Männer von der DST eilten hinein. Sie ließen sich von dem Beamten in der Telephonvermittlung eine Personenbeschreibung geben, die jedoch auf jedermann gepaßt hätte.

In Rom erwachte Marc Rodin um 7 Uhr 55, als ihn der Mann, der während der Nacht ein Stockwerk tiefer den Dienst am Emfpangstisch versehen hatte, an der Schulter rüttelte. Rodin war sofort hellwach, griff nach der Pistole unter seinem Kopfkissen und wollte mit einem Satz aus dem Bett springen. Dann sah er das Gesicht des Ex-Fremdenlegionärs über sich und atmete erleichtert auf. Ein Blick auf seine Armbanduhr belehrte ihn, daß er ohnedies verschlafen hatte. Nach all den in den Tropen verbrachten Jahren war er es gewohnt, zu einer sehr viel früheren Stunde aufzuwachen, und die römische Augustsonne stand schon hoch über den Dächern. Aber die wochenlange Untätigkeit, der gesteigerte Rotweinkonsum und der Mangel an körperlicher Bewegung hatten ihn träge und schläfrig gemacht.

«Eine Meldung, mon Colonel. Eben hat jemand angerufen. Schien es eilig zu haben.«

Der Legionär reichte ihm einen aus seinem Meldeblock herausgerissenen Zettel, auf dem Valmys Botschaft gekritzelt war. Rodin überflog sie und sprang dann aus dem nur mit einer leichten Decke versehenen Bett. Er hüllte sich in den Sarong, den zu tragen er sich in Indochina angewöhnt hatte, und las Valmys Meldung ein zweites Mal.

«Schon gut. Abtreten. «Der Legionär verließ das Zimmer und begab sich wieder in das daruntergelegene Stockwerk.

Rodin stieß eine Serie stummer Flüche aus und zerknüllte wütend den Zettel in seiner Hand. Ein schwachsinniger Idiot, dieser verdammte Kowalsky!

In den ersten beiden Tagen nach Kowalskys Verschwinden hatte er zunächst angenommen, der Mann sei ganz einfach desertiert. Im gleichen Maß, in dem sich unter den Mannschaften die Überzeugung verbreitete, daß die OAS versagt habe und ihr Ziel, de Gaulle zu beseitigen und die gegenwärtige Regierung Frankreichs zu stürzen, nie erreichen würde, mehrten sich in letzter Zeit die Fälle, in denen OAS-Männer der Sache untreu wurden. Von Kowalsky allerdings hatte er immer angenommen, daß er bis zum letzten Atemzug loyal bleiben würde. Und hier lag nun der Beweis vor, daß er aus irgendeinem unerklärlichen Grund nach Frankreich zurückgekehrt oder auch in Italien ergriffen und nach Frankreich verschleppt worden war. Offenbar hatte er ausgepackt, unter Druck selbstverständlich.

Der Tod seiner Ordonnanz betrübte Rodin aufrichtig. Zu einem nicht geringen Teil beruhte sein Ruf als Truppenoffizier auf der unermüdlichen Fürsorge, die er seinen Untergebenen gegenüber bewiesen hatte. Eine solche Einstellung wird von kämpfenden Soldaten weit mehr anerkannt, als Militärtheoretiker sich das träumen lassen. Nun war Kowalsky tot, und Rodin machte sich über die Art, wie er gestorben war, keine Illusionen.

Weit wichtiger als alles andere war jetzt allerdings die Frage, was genau Kowalsky zu erzählen gehabt hatte. Die Zusammenkunft in Wien, der Name der Pension. Die drei Männer, die an der Besprechung teilgenommen hatten. Das war keine Neuigkeit für den SDECE. Aber was hatte er über den Schakal gewußt? Daß er nicht an der Tür gelauscht hatte, stand fest. Er mochte ihnen von einem hochgewachsenen, blonden Ausländer erzählt haben, der die drei Männer in der Pension aufgesucht hatte. Für sich genommen, besagte das gar nichts. Der Ausländer konnte ebensogut ein Waffenhändler gewesen sein oder ein Geldgeber. Namen waren nicht genannt worden.

Aber Valmys Meldung erwähnte den Decknamen des Schakals. Wie hatte Kowalsky ihnen den nennen können?

Plötzlich fiel Rodin wieder ein, was sich beim Weggang des Schakals abgespielt hatte, und ein tödlicher Schrecken durchzuckte ihn. Er hatte mit dem Engländer in der offenen Tür gestanden, und der Pole, noch immer verstimmt, weil er von dem Engländer im Alkoven entdeckt worden war, ein paar Schritte entfernt auf dem Korridor, auf Ärger gefaßt, ja ihn herbeiwünschend. Und was hatte er, Rodin, gesagt? »Bonsoir, Mister Schakal. «O verflucht, genau das waren seine Worte gewesen. Aber dann fiel ihm ein, daß Kowalsky den Klarnamen des Engländers nie erfahren haben konnte. Er war nur Montclair, Casson und ihm selbst bekannt. Dennoch hatte Valmy recht. Wenn dem SDECE Kowalskys Geständnis vorlag, war der Schaden schon zu groß, als daß er noch hätte repariert werden können. Sie hatten Kenntnis von der Besprechung in Wien, sie wußten den Namen der Pension, und wahrscheinlich hatten sie auch schon mit dem Portier gesprochen. Sie besaßen eine Personenbeschreibung des Mannes und kannten seinen Decknamen. Es konnte keinen Zweifel darüber geben, daß sie erraten würden, was schon Kowalsky erraten hatte — daß der blonde Mann ein Killer war. Von da ab würde das Netz der zum persönlichen Schutz de Gaulles getroffenen Sicherheitsmaßnahmen noch engmaschiger gezogen werden; alle öffentlichen Veranstaltungen, zu denen sein Erscheinen vorgesehen gewesen war,würden abgesagt werden. Er würde den Elysee-Palast nicht mehr verlassen und damit seinem Mörder jede Chance nehmen, ihn zu erwischen. Es war vorbei, die Aktion geplatzt. Er würde den Schakal zurückpfeifen und auf Erstattung des überwiesenen Geldes, abzüglich aller Unkosten und eines Ausfallhonorars für die investierte Zeit und die aufgewendeten Mühen, bestehen müssen.

Eines hatte sofort zu geschehen. Der Schakal mußte dringend gewarnt und veranlaßt werden, die Aktion abzubrechen. Rodin war noch immer Troupier genug, um keinen Mann auf eine Mission zu schicken, für die jede Aussicht auf Erfolg geschwunden war.

Er befahl den Legionär zu sich, dem seit Kowalskys Verschwinden die Aufgabe übertragen worden war, täglich das Hauptpostamt aufzusuchen, um die für Monsieur Poitiers bestimmten Sendungen abzuholen und, wenn nötig, Ferngespräche zu führen. Rodin instruierte den Mann sorgfältig.

Um 9 Uhr war der Legionär auf dem Postamt und meldete ein Ferngespräch mit London an. Es dauerte zwanzig Minuten, bevor das Telephon am anderen Ende der Leitung zu läuten begann. Der Postbeamte wies dem Franzosen eine Zelle zu, in die er das Gespräch gelegt hatte. Der Franzose hob den Hörer ab und lauschte dem jeweils von einer Pause gefolgten zweimaligen kurzen Summerton, mit dem in England eine freie Leitung signalisiert wird, bis sich nach einer Weile automatisch das Besetztzeichen einschaltete.