«Berufsmörder, Sir?«Der Assistent sah aus, als habe ihn der Assistant Commissioner aufgefordert, die Akten aller polizeilich gemeldeten Marsmenschen zu überprüfen.
«Jawohl, Berufsmörder. Keine Unterweltfiguren, von denen man entweder weiß oder denen zuzutrauen ist, daß sie irgendwann einmal ein Mitglied einer rivalisierenden Gangsterbande umgelegt haben, sondern politische Meuchelmörder, John. Männer, die imstande sind, einen von erfahrenen Sicherheitsbeamten beschützten Politiker oder Staatsmann gegen Geld umzubringen.«»Das klingt aber mehr nach der Stammkundschaft des Sicherheitsdienstes,
Sir.«
«Ja, ich weiß. Ich will die ganze Sache ohnehin an Special Branch abgeben. Aber vorher müssen wir eine gründliche Routineüberprüfung veranlassen. O ja, fast hätte ich es vergessen: Bis Mittag möchte ich die Auskunft erhalten haben, O.K.?«
«Ja, Sir. Ich werde mich sofort darum kümmern.«
Fünfzehn Minuten später nahm Assistant Commissioner Mallinson auf seinem gewohnten Platz an der morgendlichen Besprechung teil.
In sein Büro zurückgekehrt, überflog er die Post, schob sie dann zur Seite und ließ sich von seinem Assistenten eine Schreibmaschine bringen. Er setzte einen kurzen Bericht an den Commissioner auf, in dem er sowohl den Anruf, der ihn am frühen Morgen in seinem Haus erreichte, als auch das Gespräch erwähnte, das um 9 Uhr über das Interpol-Netz geführt worden war, und Lebels Ansuchen näher erklärte. Dann schloß er das MemorandenFormblatt, dessen unteren Teil er freigelassen hatte, in seiner Schreibtischlade ein und wandte sich der täglichen Routinearbeit zu.
Kurz vor zwölf erschien der Assistent.
«Superintendent Markheim hat eben angerufen«, sagte er.»Im Archiv existiert keine Kriminalakte, die auf die Beschreibung paßt. Siebzehn auf Kontraktbasis arbeitende Killer, allesamt aus der Unterwelt, Sir; zehn im Zuchthaus und sieben in Freiheit. Aber sie arbeiten ausschließlich für die organisierten Gangsterbanden, entweder hier in London oder in den anderen großen Städten. Der Super sagt, daß keiner von ihnen für einen Attentatsjob gegen einen Politiker auf Staatsbesuch in Betracht kommt. Auch er schlägt vor, daß Sie sich an Special Branch wenden, Sir.«
«Gut, John, ich danke Ihnen. Das ist alles, was ich wissen wollte.«
Als der Assistent das Zimmer verlassen hatte, holte Mallinson das angefangene Memorandum aus der Schreibtischlade und spannte es nochmals in die Maschine ein.
Auf den freigebliebenen unteren Teil schrieb er:»Das Zentralarchiv meldete auf Anfrage, daß keine Akten oder Unterlagen vorhanden seien, die der von Kommissar Lebel übermittelten Beschreibung des Tätertyps entsprechen. Daraufhin wurde das Ermittlungsersuchen an den Leiter des Sicherheitsdienstes weitergereicht.«
Er unterschrieb das Memorandum und steckte das Original in einen Umschlag, den er an den Commissioner adressierte. Eine Kopie legte er im Geheimkorrespondenz-Ordner ab, den er wieder im Safe einschloß. Die zweite Kopie steckte er in die Innentasche seines Jacketts.
Auf den Notizblock, der auf seinem Schreibtisch lag, kritzelte er eine Nachricht, die folgenden Wortlaut hatte:»An: Kommissar Claude Lebel, Stellvertretender Generaldirektor, Police Judiciaire, Paris. Von: Assistant Commissioner Anthony Mallinson, A. C. Crime, Scotland Yard, London.
Meldung: Auf ihre anfrage in hiesigem Zentralarchiv erfolgte durchsicht einschlägiger kriminalakten ergab keinerlei anhalt für derartige und bekannte person stop ansuchen wurde Sicherheitsdienst zu weiterer ermittlung zugeleitet stop mallinson. Datum: 12. 8. 63.«
Es war gerade halb eins durch. Er nahm den Hörer auf, wartete, bis die Vermittlung sich meldete, und ließ sich mit Assistant Commissioner Dixon, dem Leiter des Sicherheitsdienstes, verbinden.»Hallo, Alec? Tony Mallinson. Können Sie eine Minute für mich erübrigen?
Würde ich sehr gern, aber es geht nicht. Werde meinen Lunch auf ein Sandwich reduzieren müssen. Ist mal wieder einiges los hier. Nein, ich wollte Sie nur kurz gesprochen haben, bevor Sie gehen. Gut, ich komme dann gleich hinauf.«
Auf seinem Weg durch das Vorzimmer legte er seinem Assistenten das an den Commissioner adressierte Kuvert auf den Tisch.»Ich gehe nur rasch zu Dixon 'rauf. Schicken Sie das hier bitte an das Büro des Commissioner, John. Persönlich. Und sehen Sie zu, daß diese Meldung so bald wie möglich abgeht. Am besten, Sie tippen sie selbst ab.«
«Yessir. «Mallinson schaute dem Assistenten, der seinen Bericht an Lebel las, über die Schulter.»John…«»Sir?«
«Reden Sie bitte nicht darüber.«»Nein, Sir.«»Mit niemandem.«»Kein Wort, Sir.«
Mallinson lächelte ihm kurz zu und verließ das Büro. Sein Assistent las die für Lebel bestimmte Nachricht ein zweites Mal, dachtean die Erkundigungen im Zentralarchiv, die er in Mallinsons Auftrag veranlaßt hatte, reimte sich den Rest selbst zusammen und wurde blaß. Mallinson blieb zwanzig Minuten bei Dixon und brachte ihn auf diese Weise um seinen Lunch, den er im Klub hatte einnehmen wollen. Er überreichte dem Chef des Sicherheitsdienstes die zweite Kopie seines an den Commissioner gerichteten Memorandums. Im Begriff zu gehen, wandte er sich, die Hand schon auf der Türklinke, nochmals zu Dixon um.
«Entschuldigen Sie, Alex, aber diese Geschichte scheint mir wirklich mehr auf Ihrem als auf unserem Gebiet zu liegen. Wenn Sie mich fragen, würde ich allerdings meinen, daß es hier bei uns vermutlich nichts und niemanden dieses Kalibers gibt und es daher mit einer gründlichen Durchsicht der Akten getan sein dürfte. Geben Sie Lebel so oder so bitte möglichst rasch Bescheid. Ich muß sagen, daß ich ihn um diesen Job wahrhaftig nicht beneide. «Assistant Commissioner Dixon vom Special Branch, zu dessen Aufgaben es unter anderem gehörte, alle Sonderlinge und Psychopathen — von den unzähligen verbittert im englischen Exil lebenden Ausländern ganz zu schweigen —, denen es einfallen mochte, einen auf Staatsbesuch in Großbritannien weilenden ausländischen Politiker umbringen zu wollen, sicherheitsdienstlich zu überwachen, empfand die Unmöglichkeit dessen, was von Lebel erwartet wurde, sogar noch krasser. Einheimische und durchreisende Politiker vor Fanatikern und Verrückten zu schützen war ' schon schwierig genug. Das eigene Staatsoberhaupt als Objekt wiederholter Attentatsversuche zu wissen, die von einer Organisation kampferprobter Ex-Soldaten geplant und ausgeführt wurden, war weit schlimmer. Und doch hatten die Franzosen es geschafft, mit der OAS fertig zu werden, und als Fachmann zollte ihnen Dixon dafür hohen Respekt. Aber das Engagement eines ausländischen Killers war eine andere Sache. Einen Vorteil freilich brachte sie, von Dixons Standpunkt aus gesehen, dennoch mit sich: Sie engte den Kreis möglicher Täter so weit ein, daß sich seine Vermutung, in den Dossiers des Sicherheitsdienstes gäbe es keinen Engländer vom Kaliber des gesuchten Mannes, als zutreffend erweisen mußte.
Als Mallinson gegangen war, las Dixon die Kopie des Memorandums. Dann bestellte er seinen persönlichen Assistenten zu sich.»Rufen Sie bitte Kriminal-Superintendent Thomas an und sagen Sie ihm, daß ich ihn um —»er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und überschlug rasch, wieviel Zeit die Einnahme einer verspäteten Mittagsmahlzeit in Anspruch nehmen würde —»Punkt zwei Uhr gern hier in meinem Büro sprechen möchte.«
Kurz nach zwölf Uhr landete der Schakal auf dem Brüsseler National-Flughafen. Er deponierte seine drei Koffer in einem Schließfach des Flughafengebäudes und nahm lediglich die Reisetasche, die außer seinen Toilettenartikeln den Gips, die Wattepackungen und Binden enthielt, mit in die Stadt. Am Hauptbahnhof entlohnte er den Taxifahrer und ging zur Gepäckaufbewahrung.
Der Fiberkoffer mit dem Gewehr stand noch immer auf dem Regal, auf das der Schakal den Mann hinter dem Tresen ihn vor einer Woche hatte stellen sehen. Er wies den Gepäckschein vor und bekam den Koffer ausgehändigt.
Unweit des Bahnhofs fand er ein schmuddeliges kleines Hotel von der Sorte, wie sie auf der ganzen Welt in der näheren Umgebung von Hauptbahnhöfen anzutreffen sind. Er mietete ein Einzelzimmer für die Nacht, zahlte den geforderten Preis mit dem belgischen Geld, das er am Flughafen eingewechselt hatte, im voraus und trug den Koffer selbst in sein Zimmer hinauf. Nachdem er die Tür abgeschlossen hatte, ließ er das Waschbecken vollaufen, legte Gipstüten und Bandagen bereit und machte sich an die Arbeit. Es dauerte länger als zwei Stunden, bis der Gipsverband getrocknet war. Den schweren, unförmigen Fuß hochgelegt, saß er die Zeit ab, rauchte seine Filterzigaretten und blickte auf das Gewirr rußiger Dächer hinaus, das die Aussicht, die sich vom Fenster seines Zimmers aus bot, beherrschte. Dann und wann prüfte er mit dem Daumen, ob der Gips schon hart geworden war, und beschloß jedesmal, noch ein wenig länger zu warten, bevor er mit dem verbundenen Fuß auftrat.