Der Fiberkoffer, der das Gewehr enthalten hatte, war geleert. Die restlichen Bandagen packte er für den Fall, daß sich die Notwendigkeit etwaiger Ausbesserungen ergab, zusammen mit dem übriggebliebenen Gipspulver in die Reisetasche. Als er schließlich zum Aufbruch bereit war, schob er den billigen Koffer unter das Bett, überprüfte das Zimmer nochmals auf irgendwelche verräterischen Spuren, die er zurückgelassen haben mochte, schüttelte den Inhalt des Aschenbechers aus dem Fenster und trat auf den Gang hinaus.Er stellte fest, daß der Gipsverband ihn ohnehin zwang, auf durchaus glaubwürdige Weise zu humpeln, und ihn damit aller diesbezüglichen Sorge enthob. Am Fuß der Treppe angekommen, bemerkte er erleichtert, daß der schmierige, verschlafen aussehende Portier sich nicht in seiner Loge, sondern offenbar in dem dahinter befindlichen Raum aufhielt, dessen mit einer Milchglasscheibe versehene Tür offenstand.
Nachdem er sich mit einem raschen Blick zur Haustür vergewissert hatte, daß nicht ausgerechnet in diesem Augenblick jemand hereinkam, steckte der Schakal seinen Arm durch den Griff seiner Reisetasche, ließ sich auf alle viere nieder und kroch rasch über den gekachelten Boden zum Ausgang. Wegen der sommerlichen Hitze stand die Haustür offen, und auf der obersten der drei Stufen, die auf die Straße hinausführten, konnte sich der Schakal wieder aufrichten, ohne in das Blickfeld des Portiers zu geraten.
Er humpelte mühsam die Stufen hinunter und die Straße entlang bis zur nächsten Ecke, an der sie eine Hauptverkehrsstraße kreuzte. Innerhalb einer halben Minute hatte ihn ein Taxifahrer erspäht, der ihn zum Flughafen zurückbrachte.
Dort meldete er sich am Alitalia-Schalter und wies seinen Paß vor. Das Mädchen lächelte freundlich.
«Schauen Sie doch bitte nach, ob Sie ein auf den Namen Duggan ausgestelltes Ticket nach Mailand vorliegen haben, das vor zwei Tagen von London aus gebucht wurde«, sagte er.
Sie sah die Liste mit den Buchungen für die Nachmittagsmaschine nach Mailand durch, die in anderthalb Stunden startete.
«Stimmt«, sagte sie strahlend.»Mister Duggan. Das Ticket ist gebucht, aber noch nicht bezahlt. Wollen Sie das gleich erledigen?«
Der Schakal zahlte wiederum bar, erhielt sein Ticket und wurde darauf hingewiesen, daß der Flug in einer Stunde abgerufen werden würde. Mit Hilfe eines Gepäckträgers, der vom Gipsfuß des Schakals viel Aufhebens machte, holte er seine drei Koffer aus dem Schließfach und gab sie bei der Gepäckaufnahme der Alitalia ab. Nachdem er die Paßkontrolle passiert hatte, verbrachte er die bis zum Start verbleibende Zeit damit, in dem an die Abflughalle angrenzenden Restaurant ein spätes, aber ausgezeichnetes Mittagessen einzunehmen.
Eine Bodenhosteß half ihm beim Einsteigen in den Bus, der die Fluggäste zur Maschine beförderte, und als er unter allseitigen
Bekundungen der Besorgnis und des Mitgefühls die Treppe erklommen hatte, wurde er von der charmanten italienischen Stewardeß mit einem besonders herzlichen Lächeln belohnt und zu einem unmittelbar hinter dem Cockpit befindlichen Platz geleitet, der es ihm erlaubte, das Bein mit dem Gipsverband bequem auszustrecken. Die mitfliegenden Passagiere waren ungemein bemüht, beim Betreten der Kabine nicht gegen seinen in Gips gelegten Fuß zu treten, während der Schakal sich im Sitz zurücklehnte und tapfer lächelte.
Um 16 Uhr 15 hob die Maschine von der Startbahn ab und erreichte bald die für ihren Nonstopflug nach Mailand vorgesehene Reiseflughöhe.
Als Superintendent Bryn Thomas gegen 15 Uhr das Büro des Assistant Commissioner verließ, fühlte er sich schlechtweg hundsmiserabel. Auch wenn seine Sommererkältung nicht die schwerste und hartnäckigste gewesen wäre, die ihn jemals geplagt hatte, würde ihm der Auftrag, der ihm soeben aufgehalst worden war, den Tag gründlich verdorben haben.
Wie immer am Montag war der Vormittag verheerend gewesen. Zunächst hatte er erfahren, daß einer seiner Leute von einem Mitglied der sowjetischen Handelsdelegation, das er hätte beschatten sollen, abgehängt worden war; und gegen Mittag hatte er eine interne Beschwerde von MI-5 erhalten, in der seine Abteilung höflich ersucht wurde, die Sowjetdelegation nicht länger zu behelligen — ein unmißverständlicher Hinweis darauf, daß MI-5 der Ansicht war, die ganze Angelegenheit solle doch besser ihnen überlassen bleiben.
Der Montagnachmittag begann unter noch fataleren Vorzeichen. Es gibt kaum etwas, was einem Polizeibeamten, ob er nun dem Sicherheitsdienst angehört oder nicht, unheimlicher ist als das Gespenst des politischen Meuchelmörders. Aber bei dem Auftrag, den ihm sein Vorgesetzter soeben erteilt hatte, existierte noch nicht einmal ein Name, von dem er hätte ausgehen können.
Obschon die Liste der notorisch Verdächtigen alles andere als lang sein würde, machte ihre Aufstellung eine zeitraubende Überprüfung aller Karteikarten, Strafregister und Dossiers politischer Unruhestifter, Umstürzler, Konspiranten und — anders als bei der Kriminalpolizei — sogar solcher Personen erforderlich, die der vorerwähnten Tatbestände bloß verdächtig waren. Es gab nur einen einzigen Lichtblick bei der ganzen Geschichte: Wie Dixon gesagt hatte, mußte der Mann als professioneller Killer auf seinem Spezialgebiet ein As und also nicht dem üblichen Kleinvieh zuzurechnen sein, das dem Sicherheitsdienst vor und während jedes Besuches eines ausländischen Staatsmannes das Leben zur Hölle macht.
Er rief zwei junge Kriminalinspektoren an, von denen er wußte, daß sie an einer kriminalwissenschaftlichen Studie arbeiteten, deren Dringlichkeitsgrad niedrig eingestuft war, und eröffnete ihnen, daß sie alles stehen- und liegenlassen und sich umgehend in seinem Büro einfinden sollten. Ihre Einweisung durch ihn fiel wesentlich kürzer aus als die, welche Dixon ihm hatte zuteil werden lassen. Er beschränkte sich darauf, ihnen lediglich zu erklären, wonach sie suchen sollten, aber nicht, warum. Die Vermutung der französischen Polizei, daß ein solcher Mann es darauf abgesehen haben könne, General de Gaulle umzubringen, brauchte nicht unbedingt mit der Durchsicht der Archive und Dossiers von Scotland Yards Sicherheitsdienst in Verbindung gebracht zu werden.
Die drei Männer räumten alle Papiere und Akten von den Tischen und gingen an ihre Arbeit. Kurz nach 18 Uhr setzte die Maschine des Schakals zur Zwischenlandung auf dem Mailänder Flughafen Linate an. Die Stewardeß war ihm beim Verlassen des Flugzeugs behilflich, und eine der Bodenhostessen geleitete ihn über das Vorfeld zum nahe gelegenen Flughafengebäude. Bei der Zollkontrolle machten sich dann mit Zinsen und Zinseszinsen die Mühen bezahlt, die er aufgewendet hatte, um die den Koffern entnommenen Einzelteile des Gewehrs zu einem vergleichsweise unverdächtigen Gerät zusammenzusetzen, wie es Gehbehinderten als Stütze zu dienen pflegt. Die Paßkontrolle war eine reine Formalität, aber als das Förderband zu laufen begann und die ersten Gepäckstücke vor den Zollbeamten abgestellt wurden, setzte das Risiko ein.
Der Schakal winkte einen Gepäckträger herbei, der die drei Koffer ergriff und sorgfältig ausgerichtet nebeneinanderstellte. Der Schakal setzte seine als Handgepäck mitgeführte Reisetasche ab, humpelte schwerfällig zu einer Bank hinüber und nahm Platz. Einer der Zollbeamten trat auf ihn zu.