Thomas hatte ein paar Minuten mit der Sichtung der aus Calthrops Wohnung mitgenommenen Papiere und Unterlagen verbracht, als der Kriminalinspektor aus der auf dem Fußboden des Büros ausgebreiteten Dokumentensammlung ein kleines blaues Buch herausgriff, zum Fenster ging und die Seiten im Licht der eben aufgehenden Sonne überflog.»Sehen Sie sich das an, Super«, sagte er und deutete auf einen Stempel, der die aufgeschlagene Seite des Passes in seiner Hand schmückte.»Hier… >Republica de Dominica, Aeropuerto Ciudad Trujillo, Diciembre 1960, Entrada...< Er war also da. Das ist unser Mann.«
Thomas ließ sich den Paß geben, warf einen Blick auf das darin befindliche dominikanische Visum und starrte dann aus dem Fenster.
«Allerdings, das ist er«, sagte er schließlich.»Aber macht es Sie nicht stutzig, daß wir seinen Paß haben?«
«Oh, dieser Hund…!«fluchte der Inspektor, als er begriffen hatte.
«Sie sagen es«, bemerkte Thomas, der seinerseits nur äußerst selten Kraftausdrücke zu gebrauchen pflegte.»Wenn er nicht auf seinem eigenen Paß reist, unter welchem Namen reist er dann? Reichen Sie mir das Telephon herüber und verbinden Sie mich mit Paris.«
Zur gleichen Stunde hatte der Schakal Mailand bereits ein gutes Stück weit hinter sich gelassen. Das Verdeck des Alfa war heruntergeklappt, und auf der Autostrada 7 nach Genua spiegelte sich schon der Glanz der Morgensonne. Auf der breiten, geraden Straße drehte der Schakal den Motor voll auf und ließ die Tachonadel unmittelbar unter dem roten Strich tanzen. Der kühle Wind wühlte in seinem langen hellblonden Haar, das seine Stirn wild umflatterte, aber die dunkle Brille schützte seine Augen.
Auf der Straßenkarte war die Entfernung bis zur französischen Grenze bei Ventimiglia mit rund 210 Kilometer angegeben, und er hatte bereits ein gut Teil der von ihm auf eine Fahrzeit von zwei Stunden geschätzten Strecke zurückgelegt. Kurz nach sieben wurde er vorübergehend durch den in Richtung Hafen rollenden Lastwagenverkehr von Genua aufgehalten, aber schon fünfzehn Minuten später befand er sich auf der A 10 nach San Remo und zur französischen Grenze.
Der Straßenverkehr und die Hitze hatten beträchtlich zugenommen, als er um zehn Minuten vor acht die verschlafenste aller Grenzstationen Frankreichs erreichte. Nach einer halbstündigen Wartezeit in der Fahrzeugschlange wurde er aufgefordert, vor der Zollbaracke vorzufahren. Der Polizeibeamte, der ihm den Paß abgenommen und eine Weile darin herumgeblättert hatte, murmelte »Un moment, monsieur« und ging in die Baracke.
Nach ein paar Minuten kehrte er mit einem Mann in Zivilkleidung, der seinen Paß in der Hand hielt, zurück.
«Bonjour, monsieur.«
«Bonjour.«
Ist dies Ihr Paß?«
«Ja.«
Neuerliches Durchblättern des Passes.
«Was ist der Zweck Ihrer Reise nach Frankreich?«
«Ich will an die Cöte d'Azur fahren.«
«Der Wagen gehört Ihnen?«
«Nein. Das ist ein Mietwagen. Ich hatte geschäftlich in Italien zu tun, und es ergab sich überraschend, daß ich erst in einer Woche wieder in Mailand sein muß. Deswegen habe ich mir den Wagen geliehen, um die Zeit zu nutzen und einen Ausflug nach Frankreich zu machen.«
«Ich verstehe. Kann ich die Wagenpapiere sehen?«Der Schakal reichte ihm den internationalen und den britischen Führerschein, den Leihvertrag und die beiden Versicherungspolicen. Der Beamte in Zivil prüfte die Dokumente eingehend.»Haben Sie Gepäck, Monsieur?«»Ja, drei Stück im Kofferraum und eine Reisetasche.«»Bringen Sie bitte alles zur Zollkontrolle in die Baracke. «Der Polizist half dem Schakal beim Ausladen des Gepäcks und faßte auch mit an, als er es in die Zollstation schaffte.
Bevor er von Mailand abgefahren war, hatte er den alten Militärmantel, die abgetragene Hose und die Schnürstiefel von Andre Martin, dem nichtexistenten Franzosen, dessen Papiere in das Futter des dritten Koffers eingenäht waren, zu einem Bündel zusammengerollt und in die hintere Ecke des Kofferraums geschoben. Die Kleidungsstücke aus den beiden anderen Koffern waren auf alle drei verteilt worden. Die Medaillen befanden sich in seiner Jackentasche.
Zwei Zollbeamte untersuchten jedes Gepäckstück, während der Schakal das übliche Formular für englische Touristen, die nach Frankreich einreisen, ausfüllte. Nichts von dem, was sich in den Koffern befand, erregte besondere Aufmerksamkeit. Einen flüchtigen Augenblick lang schien die Situation kritisch zu werden, als die Zollbeamten die Flaschen mit den Haarfärbemitteln zur Hand nahmen. Er hatte die Vorsichtsmaßnahme getroffen, sie in geleerte Rasierwasserflaschen umzufüllen. Zu jener Zeit war Pre-Shave-Lotion in Frankreich noch nicht im heutigen Umfang eingeführt, und die beiden Beamten wechselten fragende Blicke, bevor sie die Flaschen in die Reisetasche zurücklegten.
Aus dem Augenwinkel sah der Schakal, daß draußen vor dem Fenster ein weiterer Beamter den Kofferraum und den Kühler des Alfa untersuchte. Glücklicherweise schaute er nicht unter den Wagen. Er entrollte den Militärmantel und die Hose, die er im Kofferraum verstaut hatte, und betrachtete sie mit deutlichem Abscheu. Offenbar nahm er jedoch an, der Mantel sei zum Bedecken der Kühlerhaube in kalten Winternächten bestimmt, und legte die Kleidungsstücke, die auch bei unterwegs etwa vorzunehmenden Reparaturen von Nutzen sein mochten, in den Kofferraum zurück.
Als der Schakal das Formular ausgefüllt hatte, waren die beiden Zollbeamten dabei, die Kofferdeckel zu schließen. Sie nickten dem Beamten in Zivil zu, der seinerseits die Einreisekarte zur Hand nahm, die darauf vermerkten Eintragungen mit den Angaben im Paß verglich und diesen dem Schakal zurückgab.
«Merci, monsieur. Bon voyage.«
Zehn Minuten später hatte der Alfa den östlichen Stadtrand von Mentone erreicht. Nach einem ausgiebigen Frühstück in einem Cafe mit Aussicht auf die alte Hafenreede und den Jachthafen setzte er die Fahrt auf der Corniche Littorale in Richtung Monaco, Nizza und Cannes fort.
In seinem Londoner Büro rührte Superintendent Thomas in dem starken schwarzen Kaffee, den er sich hatte heraufbringen lassen, und fuhr sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn. Ihm gegenüber saßen die beiden Kriminalinspektoren, die beauftragt waren, Calthrops derzeitigen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Die drei Männer warteten auf die zur Unterstützung angeforderten sechs Sergeants des Sicherheitsdienstes, die Thomas von ihren üblichen dienstlichen Obliegenheiten befreit hatte.
Nachdem sie sich bei ihren Abteilungen zum Dienst gemeldet und dort erfahren hatten, daß sie ab sofort zeitweilig Thomas' Sonderkommission zugeteilt waren, fanden sie sich einer nach dem anderen in dessen Büro ein. Kurz nach 9 Uhr waren alle zur Stelle, und Thomas begann, ihnen die nötigen Anweisungen zu geben.
«Wir fahnden nach einem Mann. Es ist nicht erforderlich, daß Sie wissen, warum wir das tun. Erforderlich ist einzig und allein, daß wir ihn fassen, und das so rasch wie möglich. Wir wissen inzwischen oder glauben doch zu wissen, daß er sich gegenwärtig im Ausland aufhält, und zwar unter falschem Namen und mit gefälschten Papieren. Hier — «sagte er und überreichte jedem von ihnen einen vergrößerten Abzug der Reproduktion, die nach dem Photo auf Calthrops Paßantrag angefertigt worden war —,»so sieht er aus. Vermutlich wird er sein Äußeres jedoch durch maskenbildnerische Tricks verändert haben. Sie, meine Herren, werden jetzt zum Paßamt fahren und sich eine vollständige Liste aller kürzlich gestellten Paßanträge geben lassen. Nehmen Sie sich zunächst die letzten hundert Tage vor. Wenn Sie nichts gefunden haben, gehen Sie nochmals um hundert Tage zurück. Es wird, weiß Gott, kein Vergnügen für Sie sein, aber ich kann es Ihnen nicht ersparen. «Er schilderte ihnen kurz die üblichste Methode, wie man sich falsche Papiere beschafft — es war in der Tat diejenige, deren sich der Schakal bedient hatte —, und schloß: