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«Wichtig ist vor allem, daß Sie sich nicht mit Geburtsurkunden zufriedengeben. Überprüfen Sie die Totenscheine. Sobald Sie die vollständige Liste vom Paßamt erhalten haben, verlegen Sie die gesamte Aktion ins Somerset House. Verteilen Sie die Namenlisten unter sich und machen Sie sich über die Totenscheine her. Wenn Sie einen Paßantrag finden, den ein Mann gestellt hat, der nicht mehr am Leben ist, dürfte es sich bei dem Betrüger vermutlich um den Gesuchten handeln. Und jetzt vorwärts, meine Herren. An die Arbeit!«

Während die acht Männer den Raum verließen, griff Thomas zum Telephon, um sich mit dem Paßamt und anschließend mit der Zentralregistratur für Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle verbinden und von beiden Ämtern zusichern zu lassen, daß seiner anrückenden Sonderkommission bei deren Arbeit jede Hilfe gewährt werden würde.

Zwei Stunden später, als er sich gerade mit einem geborgten Apparat rasierte, meldete sich der dienstältere der beiden Kriminalinspektoren, der als Leiter der Sonderkommission fungierte, telephonisch. Im Zeitraum der letzten hundert Tage seien insgesamt 841 Paßanträge gestellt worden, sagte er. Die hohe Zahl der Anträge sei jahreszeitlich bedingt; im Sommer, wenn die Leute verreisen wollten, pflege sie immer zu steigen.

Bryn Thomas hängte ein und schneuzte sich in sein Taschentuch.

«Verdammter Sommer«, sagte er.

Kurz nach elf erreichte der Schakal das Stadtzentrum von Cannes. Er hielt nach einem ihm zusagenden Luxushotel Ausschau, und nachdem er ein paar Minuten lang herumgefahren war, steuerte er in den Vorhof des Majestic. Er kämmte sich rasch das windzerzauste Haar und betrat das Foyer.

Zu dieser Tageszeit lagen die meisten Hotelgäste am Strand, und die Halle war menschenleer. Sein eleganter leichter Anzug und sein selbstbewußtes Auftreten machten ihn auf den ersten Blick als englischen Gentleman kenntlich, und dem Hotelpagen, den erfragte, wo die Telephonzellen seien, kam es gar nicht in den Sinn, die Brauen hochzuziehen.

Die Telephonzentrale vom Eingang zur Garderobe trennte, blickte auf, als er auf sie zutrat.»Bitte verbinden Sie mich mit Paris, Molitor 5901«, sagte er. Wenige Minuten später wies sie ihm eine Telephonzelle zu, deren schalldichte Tür er hinter sich schloß. »Allo, ici Chacal.«»Ici Valmy. Gott sei Dank, daß Sie anrufen. Seit zwei Tagen haben wir versucht, Sie zu erreichen.«

Wer den Engländer durch das Fenster der Telephonzelle beobachtet hätte, würde ihn erstarren und die Stirn runzeln gesehen haben. Während des etwa zehn Minuten dauernden Gesprächs blieb er zumeist stumm. Nur gelegentlich, wenn er eine knappe Zwischenfrage stellte, bewegten sich seine Lippen. Aber es beobachtete ihn niemand. Die Telephondame war in die Lektüre eines Liebesromans vertieft und sah erst wieder auf, als der hochgewachsene Engländer vor ihr stand und durch seine dunkle Brille auf sie hinabstarrte. Sie las die Gebühren für das Gespräch von dem am Klappenschrank angebrachten Zähler ab und nahm den geforderten Betrag entgegen.

Der Schakal trank ein Kännchen Kaffee auf der Terrasse, von der aus man auf die Croisette und das in der Sonne glitzernde Meer hinausblickte, an dessen Strand sich braungebrannte Sommerfrischler tummelten und balgten. Nachdenklich zog er an seiner Zigarette.

Wie man Kowalsky nach Frankreich gelockt hatte, konnte er sich zusammenreimen; er erinnerte sich an den bulligen Polen in der Wiener Pension. Was ihm nicht in den Kopf wollte, war dagegen, wie der Leibwächter, der vor der Tür gestanden hatte, seinen Decknamen erfahren haben mochte und woher er wußte, zu welchem Zweck er, der Schakal, engagiert worden war. Vielleicht hatte die französische Polizei das selbst herausbekommen. Vielleicht auch hatte Kowalsky seinerseits geahnt, was er war, denn er war selbst ein Killer gewesen, wenn auch nur einer von der tumben, stümperhaften Sorte.

Der Schakal zog Bilanz. Zwar hatte ihm Valmy dringend geraten, auszusteigen und so rasch wie möglich heimzufahren; aber er hatte auch zugeben müssen, daß er von Rodin nicht ermächtigt worden war, die Aktion abzublasen. Was er dem Schakal zu berichten gewußt hatte, bestätigte dessen Vermutungen über die Laxheit der OAS in Sicherheitsfragen. Aber er wußte etwas, wassie nicht wußten und auch die französische Polizei nicht ahnen konnte: daß er unter falschem Namen reiste, einen auf den falschen Namen ausgestellten echten Paß in der Tasche trug und darüber hinaus noch drei weitere gefälschte ausländische Personalausweise mitsamt den dazu passenden Verkleidungen in Reserve hatte.

Eine ungefähre Personenbeschreibung war alles, wovon die französische Polizei ausgehen konnte. Hochgewachsen, blond, ausländischer Nationalität — mehr wußte dieser Kommissar, den Valmy erwähnt hatte, Lebel hieß er, nicht von ihm. Es mußte Tausende und aber Tausende von Ausländern geben, die sich im August in Frankreich aufhielten und dieser Beschreibung entsprachen. Sie konnten sie unmöglich alle verhaften.

Ein weiterer Vorteil für ihn lag in der Tatsache, daß die französische Polizei nach einem Mann fahndete, der den Paß Charles Calthrops trug. Sollte sie nur! Er war Alexander Duggan, und das konnte er jederzeit nachweisen.

Jetzt, wo Kowalsky tot war, wußte niemand mehr — auch Rodin nicht —, wer er war und wo er sich aufhielt. Er war endlich ausschließlich und ganz allein auf sich selbst gestellt, und genau das war es, was er von Anfang an gewollt hatte.

Dessenungeachtet hatten die Risiken zweifellos zugenommen. Da die Tatsache, daß ein Anschlag bevorstand, aufgedeckt worden war, würde er es jetzt mit einem ganzen System zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen aufnehmen müssen. Die Frage war, ob sein bis ins einzelne festgelegter Mordplan sich unter diesen Umständen noch als ausführbar erwies. Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugter war er, daß dies der Fall sei.

Aufgeben oder Weitermachen: das blieb dennoch die Frage — und sie mußte beantwortet werden. Aufgeben hieße, sich mit Rodin und seinen Kumpanen auf eine Auseinandersetzung über den Verbleib der auf seinem schweizerischen Konto befindlichen Viertelmillion Dollar einzulassen. Wenn er sich weigerte, ihnen das Geld — oder doch den größten Teil davon — zurückzugeben, würden sie ihn, wo immer er sich vor ihnen verbergen mochte, aufspüren und so lange foltern, bis er die Anweisung zur Rückerstattung der Summe unterschrieb. Und anschließend würden sie ihn dann umbringen. Ihnen zu entkommen würde viel, viel Geld kosten — ja, vermutlich die Viertelmillion, die er jetzt besaß, gänzlich verschlingen.

Weiterzumachen bedeutete dagegen, erhöhte Gefahren in Kauf zu nehmen, bis der Job erledigt war. Je näher das Datum heranrückte, desto schwieriger würde es werden, auszusteigen.

Als die Rechnung kam, warf er einen Blick darauf und zuckte zusammen. Mein Gott, die Preise, die diese Leute verlangten? Um sich ein menschenwürdiges Leben leisten zu können, mußte ein Mann reich sein, Dollars haben, Dollars und nochmals Dollars. Er blickte aufs Meer hinaus und zu den geschmeidigen, braungebrannten Mädchen hinüber, die den Strand bevölkerten, sah die Cadillacs und Jaguars, gesteuert von sonnengebräunten, ständig nach attraktiver Weiblichkeit Ausschau haltenden jungen Herren, über die Croisette rollen. Dies war das Leben, das er sich seit der Zeit, als er seine Nase noch an den Schaufenstern der Reisebüros platt drückte, immer schon gewünscht hatte. Sehnsüchtig hatte er die Plakate angestarrt, die ihm ein anderes Leben zeigten, eine andere Welt als die überfüllter Vorortszüge, dreifach ausgefertigter Konnossemente und aus Pappbechern geschlürften lauwarmen Tees. In den letzten drei Jahren schien er es fast geschafft zu haben; maßgeschneiderte Anzüge, kostspielige Mahlzeiten und elegante Frauen waren ihm zur Gewohnheit geworden. Er hatte sich ein modernes Apartment gemietet und einen Sportwagen gekauft. Aufzugeben hieße, auf alles das verzichten.